Alexander der Große ist nicht nur eine herausragende, schillernde Figur der Geschichte, sondern auch der antiken und mittelalterlichen Literatur. Alexander erscheint hier als Welteneroberer und Forscher, als Werkzeug Gottes (instrumentum Dei), aber auch als Exempel für superbia und für die Vergänglichkeit menschlicher Macht (exemplum vanitatis). Um 1150/60 entsteht mit dem ›Alexanderroman‹ des Pfaffen Lambrecht der erste deutsche Antikenroman, der zugleich der erste deutsche Roman nach romanischer Vorlage ist und den Anfang der deutschen Großepik markiert. Der Roman ist in drei Handschriften und damit in drei verschiedenen Fassungen erhalten, die nach den Aufbewahrungsorten der Handschriften benannt sind: Der ›Vorauer Alexander‹, um 1160 entstanden, erzählt die Geschichte von Alexanders Jugend, seinen Heldentaten und seinem Sieg über den Perserkönig Darius. Der ›Straßburger Alexander‹ (nach 1185) erweitert die Handlung nicht nur um weitere Kriegszüge, sondern erzählt auch von den Wundern des Orients und den Reisen Alexanders an die Ränder der damals bekannten Welt. Er führt den Helden bis an die Pforten des Paradieses und endet schließlich mit Alexanders Tod. Der Ende des 13. Jhs. entstandene ›Basler Alexander‹ kürzt einerseits, berichtet andererseits aber von weiteren spektakulären Versuchen Alexanders, Grenzen zu überschreiten (z.B. durch eine Tiefseefahrt in einer Taucherglocke).
Der ›Eneasroman‹ Heinrichs von Veldeke (1170-1190), der als der erste höfische Roman in deutscher Sprache gilt, muss schon im Mittelalter „eine literarische Sensation“ (Bumke) gewesen sein. Gottfried von Straßburg rühmt dementsprechend in seinem ›Tristan‹ Veldeke als den Begründer der deutschen höfischen Literatur: er inpfete daz êrste ris / in tiutischer zungen („Er propfte das erste Reis in deutscher Sprache“, V. 4738f.). Der ›Eneasroman‹ behandelt einen der großen Stoffe der Weltliteratur: Erzählt wird die Geschichte des Helden Eneas, Sohn der Göttin Venus, der auf Weisung der antiken Götter aus dem zerstörten Troja flieht, nach längerer Irrfahrt schließlich in Italien landet und dort zum Stammvater der Römer (und damit letztlich auch der deutschen Kaiser) wird. Veldekes Vorlage ist der anonyme altfranzösische ›Roman d’Eneas‹ (um 1160), der wiederum auf Vergils ›Aeneis‹ (ca. 29-19 v. Chr.) beruht. Wie aus dem römischen Nationalepos durch die mittelalterlichen Bearbeiter ein höfischer (Minne-)Roman wird, soll eine der Leitfragen des Seminars sein.
Die Kenntnis beider Texte wird zu Semesterbeginn vorausgesetzt.
- Lehrende/r: Heike Bismark