Im Frühjahr 1649 verließen die letzten Gesandten Münster. Nach fünf ereignisreichen Jahren endete damit der Westfälische Friedenskongress, der das Leben in der Stadt tiefgreifend geprägt hatte. Nun sah sich Münster wie auch andere Städte nach dem Friedensschluss mit einer Vielzahl an Herausforderungen konfrontiert. Die Angst, dass der Krieg zurückkommen könnte, war nach 1648 allgegenwärtig. Die Versorgung der Soldaten und Söldner stellten ein großes Problem dar, die Umsetzung der Friedensbestimmungen ging mit finanziellen Belastungen für die Städte, so auch für Münster, einher. Wie aber genau gingen Städte wie Münster mit diesen Problemen und Herausforderungen der Nachkriegszeit um? Wie genau erfolgte der Übergang vom Krieg zum Frieden – und speziell in Münster von der Ausnahmezeit des Friedenskongresses zu einer ‚neuen Normalität‘? Und wie gestaltete sich das soziale und wirtschaftliche Alltagsleben in der Stadt in den 1650er Jahren? Wie stellte sich die politische Lage dar angesichts von Versuchen von Seiten des Bürgertums, die zu Kongresszeiten gewonnene Neutralität zu einem autonomen Status auszubauen - was zu Konflikten mit dem neuen Bischof, Stadt- und Landesherrn, Christoph Bernhard von Galen führte, die 1675 schließlich gewaltsam eskalierten. Wir wollen versuchen, diese Fragen unmittelbar am Quellenmaterial zu beantworten, denn die Forschungslage zur städtischen Alltagsgeschichte der ‚langen 1650er Jahre‘ ist eher dünn. In konzeptioneller Hinsicht wollen wir dabei auch fragen, was eigentlich (städtische) Alltagsgeschichte nach dem cultural turn noch leisten kann und inwiefern dieses vor allem in den 1990er Jahren populäre historiographische Genre neu konfiguriert werden muss. Dazu wollen wir im Stadtarchiv Münster vor allem anhand von vier Quellengruppen: Ratsprotokolle, Suppliken, Kriminalakten und Testamente (ergänzt um Sach- und Bildquellen), eigene Erkenntnisse gewinnen, ordnen und präsentieren. Geplant ist, die Ergebnisse in Form einer Ausstellung über das erste Nachkriegsjahrzehnt in Münster (die in jedem Fall auch eine digitale Seite haben soll) öffentlich zugänglich zu machen.

 

Hierfür sind zwei miteinander verbundene Veranstaltungen im Sommer- und Wintersemester 2021/22 vorgesehen. Im Seminar des Sommersemesters wird es um Erhebung und Auswertung der archivalischen Quellen sowie um die wissenschaftliche Grundlegung gehen. Für das Wintersemester ist, darauf aufbauend, eine Übung vorgesehen, um das Ausstellungsprojekt zu konzipieren und zu planen. Insofern ist es dringend angeraten und sinnvoll, sowohl am Seminar als dann auch an der Übung teilzunehmen. 

 

Das Seminar bietet die Möglichkeit, erste eigene Forschungserfahrungen mit der Arbeit an archivalischen Quellen zu sammeln. Zugleich vermittelt es auch Kompetenzen auf dem Bereich der Digital Humanities (bei Editionen) und der Public History (bei der Präsentation im Rahmen von Ausstellungen und online). All dies sind Kompetenzen, die auf dem Arbeitsmarkt für Historiker:innen, aber ebenso in der Schule, nützlich sein können. Allerdings setzt der Besuch des Seminars die Bereitschaft voraus, sich paläographische Fertigkeiten anzueignen, neben den Blockterminen individuell im Stadtarchiv an den jeweiligen Quellen zu arbeiten und am Gesamtprojekt mitzuwirken. Ein Leistungsnachweis kann sowohl über die Projektarbeit (Seminar+Übung) als auch über eine Hausarbeit erworben werden.

 

Zur frühzeitigen Einarbeitung in die Paläographie empfehlen wir die Online-Übung „ad fontes“ der Universität Zürich (beginnen Sie z.B. hier: https://www.adfontes.uzh.ch/33140/training/deutsche-transkriptionsuebungen/speiseordnung). Digitalisate von Akten aus der Mitte des 17. Jahrhunderts, als Anschauungsbeispiel dafür, womit wir arbeiten werden, stellt das Stadtarchiv hier online:

https://www.archive.nrw.de/archivsuche?link=VERZEICHUNGSEINHEIT-A92x02143770456314020201210124852893

Kurs im HIS-LSF

Semester: SoSe 2021