Das „Nibelungenlied“ wurde 2009 mit seinen drei Haupthandschriften von der UNESCO in die Liste des Weltdokumentenerbes aufgenommen, wodurch es gemäß dem Programm „Memory of the World“ gemeinsam mit unter anderem Beethovens Neunter Symphonie oder auch der Erklärung der Menschenrechte vor dem Vergessen bewahrt werden soll. Als Begründung wurde im Nominierungsschreiben unter anderem angeführt, die im „Nibelungenlied“ erzählte Geschichte markiere „the ending of antiquity and the birth of Europe“. Doch erzählt das „Nibelungenlied“ nicht nur von der in die Zeit der Völkerwanderung zurückverweisenden Verbindung des sagenumwobenen Drachentöters Siegfried mit der burgundischen Prinzessin Kriemhild, sondern ebenso von Verrat und Mord, gipfelnd in einer alles überbietenden, in den unabwendbaren Untergang führenden Schlacht, einem regelrechten Fanal von Gewalt und Tod. Irritierenderweise galt der Text in der Moderne dann lange Zeit als das nationale Epos schlechthin und diente in völkischen und nationalsozialistischen Kreisen ideologischer Propaganda, für die „Dolchstoßlegende“ etwa oder zum Einhalten der berühmt-berüchtigten „Nibelungentreue“ nicht zuletzt auf den Schlachtfeldern Europas.

Das Seminar möchte dem ebenso nachhaltigen wie widersprüchlichen Erinnern an die Nibelungen nachgehen. Leitend wird dabei eine intensive Lektüre des „Nibelungenliedes“ sein, zumal der Text seinerseits bereits um 1200 als Dokument des Erinnerns an altbekannte Maeren aufgeschrieben wurde. Berücksichtigung finden soll daneben auch die „Klage“, die als eine Art Fortsetzung des Epos Aufschluss über die eigentümliche Erinnerungskultur geben kann, die sich spätestens seit der Wiederentdeckung des „Nibelungenliedes“ im 18. Jahrhundert in ganz unterschiedliche Richtungen entwickelt hat, sei es in wissenschaftlichen Editionen oder poetischen Bearbeitungen, sei es in politischer oder kultureller Hinsicht.

Dem Seminar ist zu drei separaten Blockterminen eine obligatorische Übung zugeordnet, die es in methodischer und praktischer Hinsicht ergänzt. Im Seminar besprochene Einzelaspekte können dabei vertieft, verfolgte wissenschaftliche Ansätze und Methoden darüber hinaus kritisch reflektiert und auf ihren Ertrag hin hinterfragt werden. Im Zentrum wird dabei stets die eigene praktische Arbeit stehen. In gemeinsamer Auseinandersetzung mit der Vorbereitung, Durchführung und Präsentation von Referaten und Hausarbeiten sollen Grundlagen wissenschaftlichen Arbeitens eingeübt und gefestigt werden.

Voraussetzung für die Teilnahme an Seminar und Übung ist die Lektüre des „Nibelungenliedes“ sowie der „Klage“ bis Semesterbeginn sowie die regelmäßige und aktive Teilnahme in Arbeitsgruppen.

Textgrundlage: Das Nibelungenlied und die Klage. Nach der Handschrift 857 der Stiftsbibliothek St. Gallen. Mittelhochdeutscher Text, Übersetzung und Kommentar. Hrsg. von Joachim Heinzle. Berlin 2015 (Deutscher Klassiker Verlag im Taschenbuch. 51). ISBN 978-3-618-68051-2

Weitere Texte zur Vor- und Nachbereitung werden im Laufe des Semesters bei Learnweb bereitgestellt.

Kurs im HIS-LSF

Semester: WiSe 2020/21