"Utopie" ist ein Kunstwort, das vor mehr als 500 Jahren von dem englischen Humanisten Thomas Morus geprägt wurde. Wörtlich übersetzt, bezeichnet es einen Nicht-Ort, einen idealen Staat, den es nicht gibt. Mit seiner Schrift "Utopia" (1516) hat Morus in satirisch gebrochener Form einen solchen Idealstaat auf einer fiktiven Insel entworfen und damit zugleich ein neues Textmuster kreiert, das vor allem in der Frühen Neuzeit zahlreiche Nachahmer fand. Literarische Utopien versuchen ihre Leserinnen und Leser zur Einnahme einer kritischen Haltung zu überreden, indem sie ein utopisches Gegenbild entwerfen, das die moralischen und politischen Defizite der Erfahrungswirklichkeit erkennbar machen soll. Die Vorlesung verfolgt und reflektiert die Geschichte der literarischen Utopie durch die gesamte Frühe Neuzeit bis in die Moderne: Im 18. Jahrhundert entsteht die Variante der Zeitutopie, bei der das Bild des idealen Staats nicht mehr auf eine ferne Insel, sondern in die Zukunft projiziert wird. In der Philosophie des 20. Jahrhunderts schließlich löst sich der Utopie-Begriff von dem literarischen Textmuster, das ihn hervorgebracht hat, und bezeichnet nun auch eine psychische Bewusstseinshaltung, den Willen, die Gesellschaft im Namen eines Ideals sofort und umfassend zu verändern. Vor allem für die Protestbewegungen der 1970er wurde dieser intentionale Utopie-Begriff zum zentralen Schlagwort.

Kurs im HIS-LSF

Semester: WiSe 2020/21