Was ist normal und was nicht? Welche Norm bestimmt das Normale und wer stellt diese Norm auf? Im Frühjahr 1975 widmete Michel Foucault den Anormalen, denjenigen, die der Norm nicht entsprechen, seine Wintervorlesung am Collège de France. Dabei untersuchte er im Übergang vom 18. zum 19. Jahrhundert das Entstehen einer neuen sozialpolitischen Macht, die nicht bloß über Subjekte regiert, sondern regierbare Subjekte erst erschafft. Durch den Zusammenschluss von Psychiatrie und Justiz verwandelte sich dann der Gerichtssaal von jenem Ort, an dem die Norm verwaltet wird, zu einem Ort, an dem die Norm produktiv wird – normalisiert. Seitdem werden nicht mehr Taten bestraft, sondern es ist der Täter selbst, der genormt werden muss. Die Bestrafung eines von der Norm abweichenden Subjekts erhält dementsprechend ihren Sinn nur in Funktion einer Korrektur, der der Anormale und mit ihm die gesamte Gesellschaft unterzogen werden. Das Ergebnis ist ein soziales Gebilde, das keinen mehr ausschließt, weil es alle durch den Zwang einer normalisierenden Norm einschließt. „Inklusion” heißt dann das Instrument einer Macht, die sich nach Belieben psychiatrischer und Strafanstalten, Sozial- und Integrationsprogramme bedient, um alles Diverse auf ein Normales, Normalisiertes zurückzuführen.

Kurs im HIS-LSF

Semester: WiSe 2020/21