So geht es nicht weiter! Die Reform von Kirche und Reichen ist eines der prägenden Themen des 11. Jahrhunderts. Die sogenannte Gregorianische Reform formte die Perspektive der Zeitgenossen auf den Zustand ihrer Gegenwart und strukturiert mit anderen Reformen noch heute unser Verständnis vom Mittelalter als einer dynamischen Epoche. Jedoch wurde die Reformbewegung im Kontext der verschiedenen europäischen Königreiche ganz unterschiedlich ausgetragen und auch von der Forschung verschiedenartig eingeordnet. Stand in der deutschen Forschung die institutionelle Auseinandersetzung zwischen Papst und Kaiser („Gang nach Canossa“) lange Zeit im Vordergrund, interveniert die Reform in Frankreich am Ende eines Zeitraums, der in der französischen Forschung lange Zeit als „chaotisch“ beschrieben wurde, weshalb der Reform eine befriedigende Rolle zugesprochen werden konnte. Eine geringere Bedeutung kommt ihr im Königreich England zu, wo der Einfluss der Reform vor dem Hintergrund der normannischen Eroberung und dem Umbau der englischen Gesellschaft erscheint. Bei aller Differenz wird von vielen Autoren der Versuch unternommen eine wohl durchdachte Ordnung der Gesellschaft aufzuschreiben, zu konzeptualisieren und zu imaginieren, deren Resultate sowohl die Wahrnehmung der Zeitgenossen formten als auch unsere Wahrnehmung vom Mittelalter prägen.

Ausgehend von neueren Forschungsdiskussionen über die Zeit von 9. Jahrhundert bis zum Ersten Kreuzzug werden wir die verschiedenen Forschungstraditionen einordnen und zugleich ein Überblick über politische, religiöse und soziale Grundstrukturen des 11. Jahrhunderts erarbeiten. An einschlägigen Quellen und Materialen werden wir dabei Techniken des historischen Arbeitens vorstellen und einüben. Die Veranstaltung stellt zugleich eine Einführung in das Studium der mittelalterlichen Geschichte dar und macht mit wichtigen Fragestellungen und Hilfsmitteln des Faches vertraut.

Kurs im HIS-LSF

Semester: SoSe 2020