Im Mittelpunkt des Seminars stehen deutsch- wie tschechischsprachige literarische Werke der Moderne, die sich auf die Stadt Prag beziehen. Das Textkorpus umfasst damit einerseits Klassiker der so genannten Prager deutschen Literatur wie Rainer Maria Rilkes Larenopfer (1896) und seine Zwei Prager Geschichten (1899), G. Meyrinks Golem (1913) oder Paul Leppins Severins Gang in die Finsternis (1914), aber auch Egon Erwin Kischs Reportagen. Nicht zuletzt sollen aber auch Texte Franz Kafkas vor diesem Hintergrund beleuchtet werden. Während in dem zu Lebzeiten nicht publizierten frühen Text Beschreibung eines Kampfes deutliche Verweise auf Prager Lokalitäten zu finden sind, lassen sich spätere Texte wie etwas Das Stadtwappen eher implizit auf den plurikulturellen Prager Kontext beziehen. Um einen Einblick in die kulturelle Vielfalt des damaligen Prag zu gewinnen, sollen auch (in deutscher Übersetzung vorliegende) tschechische Texte betrachtet werden: Einen klassischen Bezugspunkt bilden hier die Kleinseitner Geschichten (Povídky malostránské, 1867-77) des auch von Kisch hoch geschätzten Autors Jan Neruda. Der in der Großstadtliteratur häufig anzutreffenden Variante des zivilisationskritischen Romans entspricht Vilém Mrstíks Santa Lucia (1893). Im avantgardistischen Modus bezieht der Lyriker Vítezslav Nezval sich in seiner surrealistischen Phase auf Prag (Praha s prsty deste, 1935 [Prag mit den Fingern des Regens]).

Die Parallellektüre der an einem Ort zur selben Zeitspanne entstandenen Texte soll begleitet werden durch Diskussionen zur geeigneten theoretischen Fundierung und methodischen Herangehensweise an dieses komparatistische Unternehmen. Hier werden Ansätze des spatial turn, der Geopoetik, der Kultursemiotik und der von Deleuze/Guattari angestoßenen Diskussionen um Kafka und die kleinen Literaturen eine Rolle spielen.

Es wird insbesondere um den Fragenkomplex gehen, inwieweit die Texte Prag als einen symbolischen Raum von Identitätsbildung(en) entwerfen bzw. problematisieren, die Stadt ggf. als Ort der eigenen Nationalität zu vereinnahmen suchen oder Identitätsbrüche ausstellen bzw. zu überbrücken suchen oder die Stadt als einen Ort des Miteinanders der verschiedenen Nationen und Religionen entwerfen.

Alle im Seminar behandelten tschechischen Texte liegen in Übersetzung vor oder werden in Übersetzung zur Verfügung gestellt.

Es ist geplant, die erste Sitzung (je nach technischen Gegebenheiten) als Videokonferenz oder Chat durchzuführen. Dabei sollen auch die weiteren Arbeitsformen besprochen werden. Denkbar ist neben regelmäßigen Online-Formaten auch – in der Hoffnung auf die Ermöglichung der Präsenzlehre im Laufe des Frühsommers – die Vereinbarung von Blockterminen in der zweiten Semesterhälfte, die durch eine Lektürephase vorzubereiten wären.

Kurs im HIS-LSF

Semester: SoSe 2020