Eine der bekanntesten liberalen Fiktionen besagt zwar, dass Sport und Politik zu trennen seien, gleichwohl aber sind die Problemkreise, bei denen gerade der Fußball als politisch relevantes, hochbrisantes Phänomen evident wird, überaus zahlreich. Ob es sich dabei eher um ,Begleiterscheinungen‘ handelt wie etwa die Gewalt in den Stadien, die Radikalisierung der Fan- und Hooligan-Szene, die verbreitete Korruption im Funktionärswesen oder auch das globale Transfersystem, das Kritiker schon länger mit modernem Menschenhandel vergleichen, oder aber um Aspekte, die das ,Fußballspiel‘ selbst als lohnenswerten Gegenstand politiktheoretischer Reflexionen demonstrieren, will der Kurs klären.

Im Fokus steht insbesondere die Frage, inwieweit der Fußball mit seinem Changieren zwischen Fairness und (Doping-)Betrug, Kommerzialisierung und Traditionsverbundenheit der heutigen politischen Gesellschaft lediglich einen Spiegel vorhält (der sich z. B. in der Unterscheidung von ,rechtem‘ und ,linkem‘ Fußball niederschlägt) oder ob der Fußball vielmehr progressiv (z. B. bei den Themen Integration und Feminismus) bzw. reaktionär (z. B. im Hinblick auf Rassismus und Homophobie bzw. als postkolonialer Machtzusammenhang) auf das Gemeinwesen einwirkt. Überdies ist kritisch zu diskutieren, inwieweit der Fußball heute als positive Resonanzachse der Gesellschaft andere, konfliktanfälligere Ressourcen kollektiver Identität wie Nationalismus oder Religion entschärft oder ob auch der ,Party-Patriotismus‘ bei näherem Hinsehen keineswegs harmlos ist und der Fußball als moderner ,Gladiatorenkampf ohnehin nur von dekadenten sozialen Strukturen ablenken soll.

Diesen und anderen Themenbereichen rund um den Fußball will sich der Kurs u. a. mit Hilfe politiktheoretischer Ansätze von Carl Schmitt, John Rawls, Niklas Luhmann oder Andreas Reckwitz nähern und sie empirisch sowohl anhand von historischem Material als auch bei der im Sommer 2020 stattfindenden Europameisterschaft aktuell überprüfen.

 

Studienleistung: Kurzreferat und einschlägige Medienanalyse

Prüfungsleistung: Hausarbeit nach Maßgabe der Prüfungsordnung

 

Empfohlene Literatur zur Einführung:

 

Azzellini, Dario/Thimmel, Stefan (Hg.): Futbolistas. Fußball und Lateinamerika. Hoffnungen, Helden, Politik und Kommerz, Berlin/Hamburg: Assoziation A 2006.

Galeano, Eduardo: Der Ball ist rund, Zürich: Unionsverlag 2014.

 

Weitere Literatur wird in der ersten Sitzung bekanntgegeben.

Kurs im HIS-LSF

Semester: SoSe 2020