Im Jahr 2002 resümierte der US-amerikanische Historiker David N. Myers, dass die jüdische Geschichtsschreibung noch immer in Abgeschiedenheit von der historischen Zunft betrieben werde: Geschichtswissenschaftler*innen hätten „das Gebiet oft als ein Rätsel betrachtet, provinziell und zugleich exotisch, zu klein und gleichzeitig zu groß, als daß es in ihre eigene Arbeit integrierbar wäre.“ Dabei hatte bereits 1823 Immanuel Wolf in einem wegweisenden Artikel große Hoffnungen in die Begründung einer „Wissenschaft des Judentums“ gelegt: Durch die Anwendung moderner wissenschaftlicher Methoden auf die zuvor vor allem religiös geprägte Erforschung der jüdischen Geschichte, Philosophie und Philologie glaubte er, „das Verhältnis der Fremdheit, in welchem Juden und Judenthum bisher zur Außenwelt gestanden“, auflösen zu können.

In dem Proseminar wird die Entwicklung der jüdischen Historiographie seit Beginn des 19. Jahrhunderts anhand ausgewählter Texte ihrer einflussreichsten Vertreter*innen – von Simon Dubnow über Selma Stern bis Tom Segev – betrachtet und ihre Beziehung zur nicht-jüdischen Geschichtsschreibung beleuchtet. Im Mittelpunkt stehen dabei wichtige Begriffe und Konzepte wie „Meisternarrativ“, „kollektives Gedächtnis“ oder „Gegengeschichte“ mit ihren jeweiligen Bedeutungszuschreibungen. Daran anschließend werden die grundlegenden Theorien, Methoden und Hilfsmittel der Neueren und Neuesten Geschichte multiperspektivisch erlernt und eingeübt.

Kurs im HIS-LSF

Semester: SoSe 2020