Zur Progression rechter Ressentiments. Nur ein Phänomen des „abgehängten“ Prekariats? Bereits seit einiger Zeit ist von einem Rechtsruck in den Gesellschaften die Rede – nicht nur in Deutschland, sondern auch in anderen Ländern Europas und der Welt. Schaut man sich die Wahlerfolge der Alternativen für Deutschland (AfD) der vergangenen Jahre an, so scheint dieser Rechtsruck zum einen in der politischen Landschaft stattzufinden. Zum anderen scheint aber auch der Umgangston innerhalb der Gesellschaft rauer geworden zu sein, was allgemeiner mit der Salonfähigkeit rechter und fremdenfeindlicher Rhetorik be-schrieben werden könnte (Schutzbach 2018). All diese Wandlungsprozesse werden bereits seit den 1990 Jahren unter dem Thema „neue soziale Bewegung von rechts“ verhandelt und nehmen heute in der aktuel-leren Literatur erneut Raum ein (Koopmans, Rucht 1996; Leggewie 1994; Häusler, Virchow 2016). Aus sozio-logischer Perspektive gilt es daher zum einen zu betrachten, was das Neue an dieser Bewegung heute noch ist und welche Menschen sich von rechten Parteien angesprochen fühlen oder gar antipluralistische Vorur-teile verfestigen. Das Seminar zielt in einem ersten Schritt auf Sensibilität und eine genauere Differenzierung des sog. Rech-ten. Diskurs- und erkenntnisleitende Fragen werden sein: Welche Problematiken treten bei der Abgrenzung von Rechtspopulismus, Rechtsradikalismus, Rechtsextremismus und Rechtsterrorismus aus sozialwissen-schaftlicher Perspektive auf? Welche Kommunikationsweisen des Rechten (Symbolik, Musik, Soziale Medi-en, Journalismus, Wissenschaft) finden wir aktuell vor und was genau macht das Rechte daran aus? Welche sich wiederholende Konzepte sind erkenn- und benennbar (Rassismus, „völkischer Nationalismus“, Chau-vinismus) und bieten Argumente für eine angemessene Diskussionsgrundlage? Welche Organisationsfor-men des Rechten (lose, subkulturell, parteilich organisiert) liegen vor und welche Herausforderungen brin-gen neuen Organisationsformen mit sich, die unter einer „Arbeiterbewegung von rechts“ (Becker et al. 2018) und der Bildung rechter Gewerkschaften, wie bspw. das „Zentrum Automobil“ bei Daimler, subsu-miert werden können? In Anschluss dieser Grundlagen wird letztlich der Frage nachgegangen, inwiefern sozialstrukturelle Aspek-te einen geeigneten Erklärungsansatz für die „Entfesselung von Ressentiments“ (Funke, Gabriel 2016) bie-ten. Denn, soviel ist gewiss: die Klischees des „glatzköpfigen Nationalsozialisten mit Springerstiefeln und Bomber-Jacke“ wie auch das des „abgehängten Wutbürgers“ greifen heute deutlich zu kurz (Hertel, Esche 2019; Droste 2019b). Neue Rechte, wie die „Identitäre Bewegung“, treten konformistisch und intellektuell auf. Sie studieren und agitieren KommilitonInnen an Hochschulen. Sie gründen wissenschaftlich anmuten-de Forschungsinstitute wie das „Institut für Staatspolitik“ und Förderwerke, wie die AfD nahe „Desiderius-Erasmus-Stiftung“. Rechte Gesinnungsmuster und Tendenzen sind also keineswegs ein milieuspezifisches Phänomen des Prekariats, sondern können in allen gesellschaftlichen Milieus sowie über Bildungs- und Alterskategorien hinweg auftreten (Heitmeyer 2018). Gerade wegen dieser sozialstrukturellen Varianz bleibt die Frage nach einem angemessenen Umgang mit rechten AkteurInnen – selbst nach jahrzehntelanger Aus-einandersetzung – weitestgehend offen und stellen Organisationen der Politik und Bildung auch heute vor Herausforderungen.

Kurs im HIS-LSF

Semester: SoSe 2020