Montaigne lebte in einer Epoche kultureller Umwälzungen. Die konfessionellen Auseinandersetzungen und die Religionskriege sowie die Entdeckung der Neuen Welt bilden einschneidende gesellschaftliche Erfahrungen, die Instabilität und Gewalt erzeugen. Die Essais erscheinen zunächst 1580 in zwei Bänden und 1588 um einen dritten Band erweitert. Sie dienen der autobiographischen Selbstdarstellung („car c’est moy que je peins“) und bekräftigen in der Rezeption antiker und zeitgenössischer Autoren eine Erfahrung von Welt, die von dem Einzelnen Urteilsvermögen (jugement) verlangt, um sich in ihr zurechtzufinden. Mit der neuen literarischen Form des essai erfindet Montaigne im Widerstand zu der ihn umgebenden Welt eine Sprache der Toleranz. Die Essais sind eine Reflexion über die gesellschaftsbildende Macht der Sprache und menschlicher Kommunikation. Sie sind ein Remedium gegen Gewalt und Zensur. Durch welche sprachliche Form gelingt es Montaigne, eine Offenheit oder eine „Vorbehaltlichkeit“ – d. h. eine Einstellung, die eine Position vertritt und zugleich von der Annahme ausgeht, dass andere Menschen differente, aber ebenfalls legitime Positionen haben können – zu erzeugen?

Anhand ausgewählter Essais werden wir – auch in Absprache mit den TeilnehmerInnen und ihrem Interesse – im Seminar u. a. folgende Themen erarbeiten: die Darstellung von Gewalt und die Reflexion über Gewalt anhand ausgewählter Essays, die Wissens- und Erkenntnistradition, in die sich Montaigne als Autor u. a. mit „Des livres“ stellt, die Rezeption der Antike und die Entdeckung der überseeischen Welt („Des cannibales“), die autobiographische Selbstdarstellung und den besonderen Stil der Essais.

Kurs im HIS-LSF

Semester: ST 2020