Was macht Wörter und besonders literarische Rede gefährlich?

Redefreiheit, d. h. die Freiheit im sprachlichen Ausdruck, ist in romanischen Ländern über Jahrhunderte durch staatlich-politische und theologische Zensur eingeschränkt worden. Für die Ausbildung von Pluralität und Toleranz im religiösen, aber auch im politischen Feld hat die Literatur – wie sie sich z. B. im Spannungsfeld humanistischer Erneuerungen und der Religionskriege ausbildet – in kaum zu überschätzender Weise beigetragen.

Über ein anderes Feld der Zensur reflektiert z. B. die Dichterin Louise Labé (1524-1566) im Vorwort ihrer Lyrik, das die Bedingungen weiblichen Schreibens erläutert. Sie setzt antizipierend voraus, dass nunmehr die Zeit gekommen sei, „que les severes loix des hommes n’empeschent plus les femmes de s’apliquer aus sciences et disciplines”, und legt selber tatkräftig ein dichterisches Werk vor. Hier richtet sich die weibliche Rede folglich gegen zensierende Regeln des Diskurses, die einzig dem Mann eine aktive und öffentliche Rolle bei der Deutung und Versprachlichung von Welt zugestehen.

Die Vorlesung will einen Überblick über die Instanzen und Mechanismen der Zensur (Verbot und Strafe, das Druckerprivileg des Königs) geben und exemplarisch für die französische Literaturtradition den Widerstand von Schriftstellern und Werken gegen gedankliche Bevormundung aufzeigen. Neben einem kurzen Einblick in die mittelalterliche Situation sollen Druck- und Denkverhältnisse in Humanismus und Renaissance (Rabelais, Ronsard, Montaigne) sowie die Reglementierung der Autoren im Grand Siècle unter der absolutistischen Herrschaft von Ludwig XIV. (Molière und der Tartuffe-Skandal) vorgestellt werden. Die Umgehung und Herausforderung der Zensurbehörden während der Aufklärung durch Autoren wie Voltaire, Diderot und Rousseau sollen ebenso Beachtung finden wie die Zensurgesetze unter Napoleon gegenüber Mme de Staël und Chateaubriand. Auch im bürgerlichen Zeitalter schränken Louis-Philippe (1830-1848) und Napoleon III. (1851-1870) die Verbreitung von Bildern (Karikaturen) ein, sie zensieren das Theater, den Roman (Honoré de Balzac, Gustave Flaubert) wie die Lyrik (Charles Baudelaire). Mit einem Ausblick auf das 20. Jahrhundert (vgl. den Surrealismus) endet die Vorlesung, die intendiert, das Medium Sprache als kritische Instanz von Gesellschaft zu würdigen.

Kurs im HIS-LSF

Semester: SoSe 2020