Die Begriffe Krankheit und Behinderung sind mehrdeutig. Erstens handelt es sich um Fachbegriffe, die in gleich mehreren Wissenschaften (in Medizin, Psychologie, Soziologie, (Heil-)Pädagogik, Disability studies etc.) in – mehr oder minder – wohldefinierter Bedeutung verwendet werden. Zweitens gibt es in Bezug auf die Ver­wendung der Prädikate „ist krank“ und „ist behindert“ einen fest etablierten alltagssprachlichen Wortge­brauch und drittens gibt es auch einen kodifizierten juridischen Sprachgebrauch, der mitbestimmt, wie die Rechts­ansprüche und -pflichten kranker und behinderter Menschen geregelt werden.

Aufgrund dieser Mehrdeutigkeit findet sich innerhalb der Philosophie eine breit gefächerte Auseinandersetzung um Krankheit und Behinderung – einerseits in der Wissenschaftsphilosophie (vornehmlich in der Philosophie der Medizin), aber auch in der angewandten Ethik und in der Sozialphilosophie.

Im Seminar werden wir den Verästelungen dieses unübersichtlichen Begriffsfeldes nachgehen. Leitende Fragen sind dabei: Welchen Dingen kann man überhaupt sinnvoll die Eigenschaften des Krank- bzw. des Behindert­seins zuschreiben? Ist dies nur bei Menschen oder auch bei anderen Lebewesen (Tieren, Pflanzen) möglich – oder gibt es pathologische Veränderungen auch bei sozialen Kollektiven oder gar „Pathologien der Vernunft“ (Honneth)? Sind Krankheit und Behinderung rein deskriptive Begriffe, die wertfrei expliziert werden können, oder fließen in die Definition von Krankheit und Behinderung – zumindest implizit – stets Wertungen (gesell­schaft­liche Setzungen, moralische Normen) ein?

Von diesen Leitfragen ausgehend werden wir im Seminar klassische und aktuelle philosophische Beiträge zu den Kon­troversen um Krankheit und Behinderung lesen, diskutieren und kritisieren. Mein besonderes Anliegen ist dabei, das Verhältnis dieser beiden umstrittenen Begriffe zueinander zu problematisieren und präziser zu bestimmen.

Kurs im HIS-LSF

Semester: SoSe 2020
ePortfolio: Nein