Das Feiern der Liturgien stellt zumindest temporär eine Gemeinschaft unter den feiernden Menschen her, die sie selbst und andere von außerhalb als Darstellung einer von der Feier unabhängigen oder sogar zeit- und raumumspannenden Gemeinschaft deuten können. Die Liturgien lassen sich in dieser Hinsicht funktional erklären. Dabei muss die Problematik des Begriffes „Volk Gottes” in liturgischer Hinsicht bearbeitet werden. Mit diesem Titel wird und wurde christlicher Antijudaismus, der die Kirchen als Ersatz für Israel, das Volk Gottes, ausgibt, assoziiert. In der Organisation und konkreten Feier der Liturgien werden auch Aspekte der inneren Hierarchie der Katholischen Kirche dargestellt oder durch Änderungen von erwarteten und normativen Handlungs- und Sprachmustern infrage gestellt. Schließlich führte und führt ein innerkirchliches wie außerkirchliches Gespräch über die Liturgien (oder sogenannte Liturgieinterpretationen quer durch die Geschichte) zu Prozessen der Legitimierung und Delegitimierung von Machtstrukturen oder der Amtsführung einzelner Amtsträger (in einem weiteren Sinn auch Amtsträgerinnen). Obwohl Liturgien keine Gelegenheiten sind, anlässlich derer ein inhaltlich bedeutungsvoller Austausch zwischen Menschen auf Augenhöhe stattfindet, bieten sie dennoch mannigfaltige Gelegenheiten, durch den leiblichen Vollzug bestimmter Normen und durch die Verweigerung oder Abwandlung dieses Vollzugs ambige Botschaften über die Gruppe, ihre internen Beziehungen und eben auch ihre Machstrukturen zu übermitteln. In der Vorlesung werden anhand von Beispielen die hier angedeuteten Fragen anschaulich gemacht. Entlang der Beispiele gilt es auch, sich mit grundlegenden Feiern der katholischen Liturgie vertraut zu machen.

Kurs im HIS-LSF

Semester: SoSe 2020