Der Schweizer Literaturwissenschaftler Peter von Matt hat einmal die weit reichende These aufgestellt, Literatur würde von nichts anderem handeln als vom Tod, von der Liebe oder dem Wahnsinn. Auch wenn gerade mit Blick auf die mittelalterliche Literatur sicher noch anderes genannt werden könnte, sind mit Tod, Liebe und Wahnsinn doch wesentliche Fluchtpunkte genannt, an denen eine literarische Anthropologie sich auszurichten, mit denen sie sich notgedrungen auseinanderzusetzen hat, um eine Erkenntnis über den Menschen zu erlangen. Das Seminar möchte auf Basis theoretischer Grundlagen diskutieren, inwiefern schon die höfische Literatur des 12. und 13. Jahrhunderts am reflektierten Entwurf eines Menschenbildes teilhat. Darüber hinaus soll anhand konkreter Beispiele vor allem aber der Frage nachgegangen werden, ob und inwiefern eine spezifisch höfische Anthropologie hier auszumachen ist, die die Bandbreite von Leben und Tod, von Liebe und Hass, von Normativität und Wahnsinn abdeckt. Unter anderem Hartmanns von Aue „Iwein“ mag hier verschiedentlich Diskussionsstoff geben, darüber hinaus auch andere prominente Texte wie etwa Wolframs von Eschenbach „Parzival“ oder das „Nibelungenlied“. So treten gleichermaßen Themen wie Identität und Sozialität sowie Körperlichkeit und Emotionalität in den Fokus, die den Einzelnen je anders perspektivieren oder auch innerhalb eines Kollektivs situieren lassen und unterschiedliche poetische und/oder narrative Verfahren ausbilden können. Deren Funktionen sind hinsichtlich des entworfenen Menschenbildes dabei stets zu hinterfragen, zumal jeder Erzähler – um mit Walter Benjamin zu sprechen – vom Tod her seine Autorität hat.
Voraussetzung für die Teilnahme am Seminar ist neben der Bereitschaft, sich regelmäßig und aktiv am Seminar zu beteiligen, die Lektüre von Hartmanns von Aue „Iwein“ bis Semesterbeginn (empfohlene Ausgabe: Hartmann von Aue: Iwein. Mittelhochdeutsch/Neuhochdeutsch. Hrsg. und übersetzt von Rüdiger Krohn. Kommentiert von Mireille Schnyder. Stuttgart 2012 [RUB 19011]). Ein Reader mit weiteren Texten in Auszügen wird zu Beginn des Semesters vorliegen.
- Lehrende/r: Ulrich Hoffmann