Im Bürgerlichen Gesetzbuch (BGB) der Bundesrepublik Deutschland ist gegenwärtig in § 1631 Absatz 2 Satz 1 festgeschrieben, dass Kinder ein Recht auf gewaltfreie Erziehung haben. Der zweite Satz des Absatzes lautet: „Körperliche Bestrafungen, seelische Verletzungen und andere entwürdigende Maßnahmen sind unzulässig.“ Derselbe Passus lautete bei Inkrafttreten des BGB im Jahr 1900 noch ganz anders: „[1] Der Vater kann kraft des Erziehungsrechts angemessene Zuchtmittel gegen das Kind anwenden. [2] Auf seinen Antrag hat das Vormundschaftsgericht ihn durch Anwendung geeigneter Zuchtmittel zu unterstützen.“ – Dazwischen liegen rund hundert Jahre Rechtsgeschichte, kleinschrittige Änderungen des Paragrafen und der gesellschaftlichen Auffassungen über die angemessene Behandlung von Kindern (nicht nur) durch ihre Eltern. Seit 1990 setzt das Übereinkommen der Vereinten Nationen über die Rechte des Kindes (kurz: UN-KRK) einen menschenrechtlichen Kontrapunkt (in deutscher Sprache siehe hier: https://www.bmfsfj.de/blob/93140/78b9572c1bffdda3345d8d393acbbfe8/uebereinkommen-ueber-die-rechte-des-kindes-data.pdf). Art. 19 UN-BRK soll Kinder u.a. „vor jeder Form körperlicher oder geistiger Gewaltanwendung, Schadenzufügung oder Misshandlung“ schützen. Das Züchtigungsverbot wird dennoch nach wie vor nicht durchgehend anerkannt (vgl. etwa die anhaltende Diskussion in der Schweiz um die Zulässigkeit einer elterlichen Ohrfeige: https://www.humanrights.ch/de/menschenrechte-schweiz/inneres/gruppen/kinder/zuechtigungsverbot-schweiz). Auch das BGB hat die eingangs genannte Formulierung erst im Jahr 2000 erhalten.

In diesem Seminar werden wir uns der Frage von ‚Menschenrechten von Kindern‘ bzw. ‚Kinderrechten‘ nicht (rechts-)historisch nähern, sondern systematisch vorgehen, indem wir uns zunächst aus der Perspektive der philosophischen Ethik mit dem moralischen Status von Kindern beschäftigen. Wir werden uns mit unterschiedlichen Positionen zur Statusfrage auseinandersetzen und deren Implikationen untersuchen. Von hier aus ergeben sich Forderungen moralischer Rechte von Kindern. In der Dreieckskonstellation Kinder – Eltern – Staat kann schließlich zwischen moralisch angemessenen Handlungen sowie rechtlich ge- oder verbotenen Handlungen unterschieden, der Bogen zum Ausgangspunkt der rechtlichen Menschenrechtslage gespannt werden. Wir müssen uns vorab darüber verständigen, was überhaupt unter einem ‚Kind‘ verstanden werden soll und ob ein Kind in dem von uns bestimmten Sinne ein geeigneter Träger von Rechten ist. Weitere Probleme, die uns en cours begleiten werden, sind die Frage danach, gegen wen Kinderrechte überhaupt gerichtet sind, was es heißt, dem ‚Kindeswohl‘ verpflichtet zu sein, wie es um die Autonomie von Kindern bestellt ist und als Anschlussfrage, ob und wann Eltern gegenüber Kindern ‚paternalistisch‘ handeln – handeln dürfen, sollen oder gar müssen. Bei Interesse kann neben der Frage der Rechtfertigung von Erziehung auch das Thema ‚Schulpflicht‘ zum Gegenstand des Seminars gemacht werden.  

Kurs im HIS-LSF

Semester: WiSe 2019/20