Inhaltliche Schwerpunkte: Vorurteile gegen die mittelalterliche Epoche führen bis heute dazu, dass das Bild des finsteren Mittelalters in den Köpfen der meisten Zeitgenossen immer noch das vorherrschende ist. Theologie- und kirchengeschichtlich scheint diese Epochen nur als Negativfolie für die sich als modern, reformatorisch oder aufgeklärt verstehende eigene religiöse und theologische Selbstdefinition zu eignen. Aber einerseits hat die Geschichtsschreibung – wenn sie ihrer Aufgabe treu bleiben will – jedes Zeitalter für sich und aus seinen eigenen Voraussetzungen und Kontexten heraus zu verstehen, getreu dem Motto von Leopold von Ranke, nach dem jede geschichtliche Periode „unmittelbar zu Gott ist“, und sie nicht einseitig nach den Maßstäben der eigenen Zeit zu beurteilen und bewerten, zum anderen ist die nachmittelalterliche Epoche keineswegs – so sehr sie sich selbst auch so verstanden haben mag – durch einen unmittelbaren Rückgriff auf die Antike bestimmt gewesen, sondern war von der Antike durch eine Situation, andere Vorstellungen und Voraussetzungen getrennt, die ihr eben durch die mittelalterliche Geschichte, Kultur und Religion vermittelt worden waren. Nicht nur stellte das Mittelalter der Renaissance die Handschriften jener antiken Werke zur Verfügung, die ohne den Fleiß mönchischer Schreiber des Mittelalters gar nicht zur Kenntnis der neuzeitlichen Verehrer der Antike gelangt wären, sondern auch die Denkvoraussetzungen und die Optik, mit der man die antiken Texte erneut zu lesen begann, waren durchaus vom antiken Selbstverständnis verschieden, hatten sich durch eine über tausendjährige Geistesgeschichte gegenüber der Antike verschoben. Erwies sich schon der Rückgriff der Humanisten über das Mittelalter hinweg letztlich hermeneutisch als Schein, so kann dies als Indiz dafür verstanden werden, dass die mittelalterliche Prägung unseres heutigen Bewusstseins nicht übersprungen werden kann, will sich die kirchliche und religiöse Gegenwart selber verstehen und in ihren Voraussetzungen und Grundeinstellungen selbst durchsichtig werden.

Kurs im HIS-LSF

Semester: WiSe 2019/20