Das Seminar dient nicht zur Vorbereitung der Semesterferien. Vielmehr widmet es sich einem Thema, dem in der literaturwissenschaftlichen Forschung bislang kaum Beachtung geschenkt wurde: dem Strand. Schon die Etymologie des Wortes weist den Strand über die Ableitung von ‚Rand‘ als einen Ort der Grenze aus, der Grenze zwischen Land und Meer. Während das mittelhochdeutsche Wort ‚strant‘ auffallend spät erst belegt ist, ist in literarischen Texten meist nur vom Sand die Rede, der gleichsam pars pro toto aber die Grundlage bietet, um den Strand als eigenständigen, nach allen Seiten hin offenen Raum und Schauplatz für ganz unterschiedlichste Handlungen zu etablieren: Am Strand begegnen sich einander fremde Kulturen und Religionen, begegnen sich Liebespaare oder werden getrennt, am Strand wird gekämpft und gejagt, geliebt und vergewaltigt, ins Unbekannte aufgebrochen oder in die Heimat zurückgekehrt. Der Strand firmiert dabei als Ort des Anfangs wie des Endes, als Ort der Begegnung wie der Trennung, der Ankunft, der Umkehr wie des Aufbruchs. Als Ort der Grenze wie des Übergangs ist ihm letzthin eine eigentümliche Dialektik eigen, die sich in und für die unterschiedlichsten Erzählungen als überaus produktiv erweist und ihren Ausdruck zumeist in Ambivalenzen findet, in Situationen der Verzweiflung, der Angst, der Täuschung oder auch der Hoffnung.

Das Seminar möchte ebendieses narrative Potenzial des Strandes in der mittelalterlichen Literatur aufdecken, um nicht zuletzt den Strand als Raum der Grenzerfahrung des Subjekts und immer auch der kulturellen Reflexion begreifen zu können. Als Grundlage für die ebenso theoriegeleiteten wie textnahen Lektüren sollen daher bewusst ganz unterschiedliche Texte herangezogen und Auszüge aus mittelhochdeutschen Heldenepen (Nibelungenlied, Kudrun, Willehalm) gelesen werden sowie aus höfischen wie späthöfischen Romanen (Eneasroman, Alexanderroman, Tristanroman, Partonopier, Magelone), darüber hinaus auch kürzere Erzählungen (Hero und Leander, Der Schwanritter) und legendarische Texte (Gregorius, St. Brandan). Das Seminar richtet sich somit vornehmlich an Studierende, die in eigenständiger Auseinandersetzung mit mittelalterlicher Literatur mitunter Neuland betreten wollen.

Voraussetzung für die Teilnahme am Blockseminar ist die Anwesenheit bei der Vorbesprechung am 6.05.2018, Beginn 19 Uhr s. t. (!), Raum SH06, bei der Arbeitsgruppen eingeteilt werden, sowie die Bereitschaft, sich aktiv am Seminar zu beteiligen. Ein Reader mit Texten zum Seminar (Auszüge mittelhochdeutscher, teils einsprachiger Texte sowie Forschungsliteratur) wird bis zur Vorbesprechung vorliegen.

Kurs im HIS-LSF

Semester: ST 2019