Das Hohelied gilt als Perle der Weltliteratur und ist eines der bekanntesten und faszinierendsten Bücher der Bibel. Rabbi Akiba (50-135 n.Chr.), einer der bedeutendsten jüdischen Gelehrten des Altertums, erklärte: „Alle Zeiten sind nicht dem Tag ebenbürtig, an dem das Hohelied verliehen wurde, denn alle heiligen Schriften sind heilig, aber das Hohelied ist hochheilig, das heiligste vom Heiligen.“ Dies ist eine erstaunliche Wertschätzung angesichts der Tatsache, dass im Judentum lange Zeit umstritten war, ob das Hohelied überhaupt in den Kanon der heiligen Schriften aufgenommen werden soll, galt es doch vielen als sehr weltliche Liebeslyrik, die eher ins Weinhaus gehört. Die allegorische Deutung, die die Liebe zwischen einer jungen Frau und ihrem Geliebten als Bild für das Verhältnis zwischen der ‚Braut‘ Israel und Gott als ‚Bräutigam’ deutete, rettete das Buch für den Kanon. Auch im Christentum entfaltete das Buch eine reiche Wirkungsgeschichte, geprägt von den unterschiedlichsten Allegorisierungen. Gleichermaßen inspirierte es die bildende Kunst und Musik und wurde für viele Jahrhunderte – neben der Offenbarung des Johannes – zu einem der am intensivsten rezipierten biblischen Bücher. Das macht einen Gang durch die Auslegungsgeschichte des Hohenliedes zugleich zu einem Gang durch die Kirchen- und Theologiegeschichte. Mit dem Rückgang der allegorischen Deutungen entdeckte man das Hohelied seit der Aufklärung neu als Sammlung von Liebesliedern, die für die theologische Anthropologie, vorab für die Reflexion auf Partnerschaft und Sexualität, von hoher Bedeutung ist. Die Vorlesung will zunächst den Text des Hohenliedes exegetisch diskutieren (z. B. den Aufbau, die Genese, die Gattungen), um dann auf dieser Grundlage die wichtigsten Deutungsversuche vorzustellen und zu diskutieren.

Kurs im HIS-LSF

Semester: ST 2019