Für einen Menschen des Mittelalters hatte Otto von Freising erstaunlich viele, unterschiedliche Rollen inne. Er entstammte dem österreichischen Herrscherhaus der Babenberger, war aber zugleich Enkel Kaiser Heinrichs IV. Er verbrachte einige Studienjahre in Frankreich und schloß sich dort dem ersten neu entstandenen Mönchsorden überhaupt, den Zisterziensern, an, die eine Rückkehr zur ursprünglichen Strenge der Mönchsregel des heiligen Benedikt propagierten und mit diesem Erneuerungsprogramm eine geradezu umwerfende Resonanz erfuhren. Schließlich wurde Otto Bischof der bayerischen Diözese Freising und mußte sich dort mit konkurrierenden Territorialgewalten auseinandersetzen. Berühmt wurde er jedoch vor allem als Geschichtsschreiber: Nicht nur verfaßte er eine Lebensbeschreibung seines Neffen, Kaiser Friedrich Barbarossas, sondern auch ein Hauptwerk mittelalterlicher Weltchronistik, die „Geschichte der zwei Staaten“, in dem er die berühmte Unterteilung des Kirchenvaters Augustinus zwischen einem himmlischen Gottesstaat und einem irdischen Weltstaat aufgriff und diese Unterscheidung auf den von ihm dargestellten Ablauf der geschichtlichen Ereignisse anwandte. Aus heutiger Perspektive erscheint merkwürdig, daß das achte und letzte Buch dieser Chronik der Geschichte der Zukunft gewidmet ist, der Zeit bis zum Jüngsten Gericht. Das Proseminar behandelt die unterschiedlichen Lebensstationen Ottos von Freising und ordnet sein Leben in den politischen und geistesgeschichtlichen Kontext des Hochmittelalters ein.

Kurs im HIS-LSF

Semester: ST 2019