Interdisziplinarität gilt in der Scientific Community als unumgängliches Gebot. Ihre Verwirklichung ist an den Dialog der Wissenschaften auf Augenhöhe gebunden. Eine fruchtbare Kooperation ist mehr als die Anwendung einer fachfremden Methodik, sie muss vielmehr auf der Basis der aus differenten Perspektiven gewonnenen Erkenntnisse aufbauen, um neue Konvergenzen zu erzeugen. Die Kanonistik ist von ihrem Wesen als Teil der Theologie interdisziplinär angelegt, denn die „Rechtswissenschaft der Theologischen Fakultät“ arbeitet unter anderem mit systematisch-, praktisch-, historisch-, wie auch bibeltheologischen Erkenntnissen. Dieser innertheologische Dialog gestaltet sich als ein ebenso intensives wie umfängliches Vorhaben. Darüber hinaus hat das Kirchenrecht als religiöses Recht unumstritten zahlreiche Berührungspunkte mit außertheologischen Wissenschaften, die verstärkt als Anknüpfungspunkte für einen interdisziplinären Austausch genutzt werden sollten, um aus jenem Diskurs Erkenntnisse für die je eigenen Forschungsvorhaben zu gewinnen. Aus diesem Grund tritt das Kirchenrecht im Rahmen der Tagung „Kirchenrecht im Dialog“ anhand aktueller Forschungsfragen mit der Rechtswissenschaft, der Psychologie, der Soziologie und der Geschichtswissenschaft in einen intensiven Dialog. An der Universität als Wissenschaftsgemeinschaft ist dieser Dialog zwingend anzustreben.

Zum Setting

In vier thematisch unterschiedlich ausgerichteten Panels werden jeweils ein Vertreter / eine Vertreterin der Kanonistik und ein fachfremder Wissenschaftler / eine fachfremde Wissenschaftlerin die Thematik aus ihrer jeweiligen theoretischen Perspektive betrachten. Im Anschluss an die ersten beiden Vorträge wird der Referent / die Referentin des dritten Vortrags die Erkenntnisse der Theorie für die Praxis fruchtbar machen bzw. ihre praktische Umsetzung analysieren. Im Anschluss an die drei Vorträge wird unter Anleitung eines Moderators / einer Moderatorin die Diskussion für das Plenum eröffnet. Die Tagung schließt mit einem gemeinsamen Mittagessen bei Tischgesprächen zum vertieften Austausch mit den Referentinnen und Referenten.

 

1. Panel: Recht zwischen Kontingenz und überhistorischer Relevanz

Abstract:

In diesem Panel soll es um die mögliche Konvergenz historischer und kanonistischer Erkenntnisse gehen. Sofern sich Historiographen mit rechtlichen Themen und Kanonisten mit historischen Themen beschäftigen, scheinen in den meisten Fällen die Forschungen isoliert voneinander stattzufinden. Der Kanonist hat jedoch einen besonderen Blick und dadurch auch ein eigenes Verständnis normativer Gegebenheiten, welches theologisch geprägt ist. Der Historiker wiederum hat einen besonderen Blick und daraus resultierendes Verständnis historischer Phänomene und Prozesse in ihrem jeweiligen Kontext. Der Rekurs aus rechtlicher Perspektive auf Rechtstraditionen ist ein viel bemühtes Mittel um Reformen auf der Grundlage der Geschichte anzustreben. Die Analyse normativer Texte ermöglicht dem Historiker die Analyse gesellschaftlicher, ritualtheoretischer oder weiterer Prozesse und Phänomene. Die Frage in Bezug auf das Thema der Tagung ist, inwiefern eine Rechtstradition aus historiographischer Perspektive kontingent ist und daher nicht ohne ahistorische Konsequenzen in heutige Rechtssysteme integriert werden kann und weiterhin die Frage, ob Recht aufgrund seines Entstehungskontextes als überkommen gelten müsste. Auf der anderen Seite steht die Frage, ob es aus kanonistischer Perspektive Rechtsprinzipien wie „quod omnes tangit ad omnibus approbari debet“ gibt, die eine über die historische Situation hinausweisende Bedeutung haben und bis heute das Rechtssystem der Kirche prägen, also letztendlich nicht kontingent sind. Im dritten Vortrag soll auf die Praxis der Ehelehre hin eine Synthese der beiden Disziplinen erfolgen und die aus historiographischen Erkenntnissen resultierende Chancen für das geltende Eherecht dargelegt werden.

 

2. Panel: Recht zwischen Globalität und Partikularität in Staat und Kirche

Abstract:

In dem Panel geht es um zwei gegensätzliche Prozesse im staatlichen und kirchlichen Rechtsbereich. Im staatlichen Rechtsbereich firmiert unter dem Schlagwort „Globalisierung des Rechts“ das Bestreben übernationales Recht, möglichst auf globaler oder zumindest auf der Ebene von transnationalen Zusammenschlüssen durchzusetzen. Als Ursprung des transnationalen Rechts gilt hier der europäische Rechtsraum, jedoch muss hierbei beachtet werden, ob es sich wirklich um globales Recht handelt, oder nur um eine Kolonisierung durch das europäische Recht, welches den außereuropäischen Rechtssystemen fremd ist. Es gilt die Frage zu klären wie die Transformation zu globalem Recht gelingen kann. Beispiele hierfür sind ein gemeinsames Wirtschafts-, Umweltrecht oder eine gemeinsame Vereinbarung über die Menschenrechte. Auf der anderen Seite ist nicht erst seit Papst Franziskus unter dem Schlagwort der „heilsamen Dezentralisierung“ die entgegengesetzte Tendenz weg vom globalen bzw. universalen Recht hin zum partikularen Recht zu beobachten. Ein besonderes Beispiel für eine starke Dezentralisierung in partikulare Rechtsräume sind die unierten Ostkirchen, die mit dem CCEO ein wirkliches universales Rahmenrecht besitzen, welches weitgehende partikulare Ausgestaltungen erfährt. In Bezug auf das Thema der Tagung soll hier der Vergleich und Erfahrungsaustausch ermöglicht werden welche Vor- und Nachteile sich aus einer Globalisierung/Universalisierung des Rechts und einer Partikularisierung des Rechts ergeben können. Im dritten praxisorientierten Beitrag soll aus der Perspektive der Judikative eines übernationalen Gerichts berichtet werden, welche Prinzipien bei der Klärung religionsrechtlicher Fragen angewendet werden, wenn diese durch einen Urteilsspruch für ein bestimmtes Land auch Konsequenzen für weitere Länder haben können, die dieses Gericht anerkennen. Welche partikularen/lokalen Gesetze und Rechtssprechungstendenzen müssen beachtet werden und welche transnationalen Überlegungen fließen dabei mit in die Urteilsfindung ein.

 

3. Panel: Herausforderungen der Pluralisierung der Gesellschaft für das geltende Religionsrecht

Abstract:

In diesem Panel geht es in den ersten beiden Vorträgen um die rechtswissenschaftliche Analyse aktueller religionspolitischer Phänomene. Konkret geht es um die Frage, wie adäquat auf die religiöse Pluralisierung der Gesellschaft mit religionsrechtlichen Mitteln reagiert werden kann. Hat die Pfadabhängigkeit des deutschen Religionsverfassungsrechts Konsequenzen für dessen Anwendbarkeit auf nicht-christliche Religionsgemeinschaften und werden die christlichen Kirchen durch nicht-grundgesetzliche Gesetzgebungen gegenüber anderen Religionen stark bevorzugt? Auf der anderen Seite soll die Analyse der religionsrechtlichen Gesetzgebung eines islamisch geprägten Landes wie Syrien oder dem Libanon stehen, in dem der religiöse Einfluss selbst das Privatrecht prägt bzw. die Anwendbarkeit religiösen Rechts durch den Staat eingeräumt wird. Im dritten auf die Praxis hin orientierten Vortrag soll aus soziologischer Perspektive betrachtet werden, welche Prozesse zu dem starken Einfluss religiöser Vorstellungen auf das staatliche Recht geführt haben und ob eine Säkularisierung der Gesellschaft ebenfalls eine Säkularisierung des Rechts zur Folge hat. Weiterhin soll analysiert werden, welche Konsequenzen die Migration bestimmter religionsrechtlicher Prägungen in ein anderes religionsrechtliches System haben. Konkret wie z. B. islamisch-rechtliche Vorstellungen gesellschaftlich und damit aber auch letztendlich rechtlich in das deutsche Religionsverfassungsrecht integriert werden können.

 

4. Panel: Rechtlicher Umgang mit und Gründe für Scheitern

Abstract:

In diesem Panel geht es um den rechtlichen Umgang der kirchlichen Autoritäten mit Scheitern und Fehlverhalten, sei es moralisch oder strafrechtlich sanktioniert. Beispiele hierfür sind die erneute Eheschließung nach ziviler Scheidung, sexueller Missbrauch durch Kleriker, die Grundordnung im kirchlichen Dienstrecht sowie der Verlust des klerikalen Standes strafweise oder auf dem Verwaltungsweg. Über welche straf- und disziplinarrechtlichen Mittel verfügt die Kirche und wie werden diese angewendet. Auf der anderen Seite steht die psychologische Analyse der möglichen Gründe für das Scheiter / Fehlverhalten und eine Einschätzung wie diesen Verhaltensformen aus psychologischer Perspektive adäquat begegnet werden kann. In Bezug auf das Thema der Tagung soll reflektiert werden, ob der kontemporäre rechtliche Umgang ausreicht, um die Ziele des Strafrechts (c. 1341 CIC/1983), die Behebung des Ärgernisses, die Herstellung der Gerechtigkeit und die Besserung des Täters zu verwirklichen, oder für die Prävention und fortlaufende Behandlung der Sache psychologische Erkenntnisse einbezogen werden müssten. Im dritten Vortrag soll auf die Praxis hin ausgerichtet aus der Perspektive der systematischen Theologie der Versuch unternommen werden, ein Modell einer Theologie des Scheiterns zu entwerfen. Im religiösen bzw. kirchlichen Bereich deutet das mehr der Religion an, dass nicht nur ein rechtlicher Umgang, sondern ein theologisch fundierte Handlungsweise erforderlich ist, um das Problem des Scheiterns aufzufangen.

Kurs im HIS-LSF

Semester: WiSe 2018/19