In der deutschen Literatur des 19. Jahrhunderts finden sich auffallend häufig eingeschobene Rückwendungen. Zumeist dienen sie der nachträglichen Erzählung eines Ereignisses, das vor Beginn der dargestellten Handlung, in Kindheit oder Familiengeschichte einer Figur, stattgefunden hat. Indem auf diese Weise ein kausaler Zusammenhang zwischen Vergangenheit und Gegenwart konstruiert wird, verbindet sich mit Form und Inhalt der Vorgeschichten ein Erklärungsanspruch für Unstimmigkeiten oder Irritationen in der erzählten Gegenwart. Tatsächlich erhalten die Protagonisten in manchen Fällen durch diese Nachträge einen wichtigen Verständnisschlüssel für ihre aktuellen Probleme. Logisch und ästhetisch interessanter wird es indes, wenn die Figuren die Vorgeschichten gar nicht deuten können und nur der Leser die entscheidenden Informationen zu verwerten vermag, und in manchen Texten gelingt sogar das nicht. Das Erzählmodell ‚Vorgeschichte‘ thematisiert folglich das prekäre Verhältnis von Wissen und Nicht-Wissen, und die von ihm strukturierten Texte ziehen aus diesem Spannungsfeld subversive ästhetische Effekte. Am Beispiel ausgewählter Texte von Tieck, Brentano, Stifter, Storm u.a. will das Seminar narratologische und rhetorische Eigenschaften der Erzählform analysieren, zugleich aber diese Analysen durch Seitenblicke in die komplexe Wissensgeschichte des frühen 19. Jahrhunderts anreichern. Schließlich ist die Entdeckung der ‚Tiefenzeit‘ in der Geologie, der Lichtgeschwindigkeit in der Physik, der Zeitlichkeit von Wahrnehmung und anderen Lebensprozessen das beherrschende Thema der Epoche und birgt ein großes Potential an Verunsicherung und Faszination.

 

Zu Ihrer Vorbereitung beachten Sie bitte die vor Zimmer 105 aushängende Literaturliste zu diesem Seminar; bitte kaufen Sie die Bücher und lesen Sie sie. Außerdem wird vor Semesterbeginn im Copyshop M&M ein Reader mit Semesterprogramm, Bibliographie und theoretischen Texten für Sie ausliegen; bitte erwerben Sie ihn rechtzeitig!

Kurs im HIS-LSF

Semester: WT 2018/19
ePortfolio: No