Für Albert Camus gibt es nur ein einziges wirklich ernstes philosophisches Problem: den Selbstmord. Alle übrigen philosophischen Probleme sind für Camus sekundär. Den Grund dafür sieht er in den Handlungen, die die jeweiligen Probleme nach sich zögen: Ob die Erde sich um die Sonne drehe oder die Sonne um die Erde, sei zutiefst gleichgültig, gar eine nichtige Frage. Niemand sei bereit, für derlei Wahrheiten zu sterben – auch ein Galileo nicht. Wohl aber stürben viele Menschen freiwillig, weil sie das Leben nicht für lebenswert hielten. Andere wiederum ließen sich paradoxerweise für die Ideen oder Illusionen umbringen, die ihnen einen Grund zum Leben bedeuteten. Die Frage nach dem Sinn des Lebens sei daher die dringlichste aller Fragen – und Selbstmord das Geständnis, dass man mit dem Leben nicht fertig werde, man es nicht verstehe oder es „es nicht wert“ sei. Leben sei natürlich niemals leicht. Aus vielerlei Gründen, vor allem aus Gewohnheit, vollführe man weiterhin die Gesten, die das Dasein verlange. Aus freiem Willen sterben setze voraus, dass man, und sei es nur instinktiv, das Lächerliche dieser Gewohnheit erkannt habe, das Fehlen jedes tiefen Grundes, zu leben, die Sinnlosigkeit dieser täglichen Betriebsamkeit, die Nutzlosigkeit des Leidens. Die Entzweiung zwischen dem Menschen und seinem Leben, zwischen dem Handelnden und seinem Rahmen, nennt Camus das Gefühl der Absurdität. Gegenstand seines Essays „Der Mythos des Sisyphos“ ist der Zusammenhang zwischen dem Absurden und dem Selbstmord und inwiefern der Selbstmord für das Absurde eine Lösung für einen Menschen ist, der gewillt ist, mit sich selbst in Einklang zu sein.

Kurs im HIS-LSF

Semester: WiSe 2015/16