"Fassbinder I" von Richard Serra, 1982/83

Cortenstahl, H. 500 x B. 216 x T. 216 cm

Fotos

Die Skulptur "Fassbinder I" im Innenhof des Bibelmuseums
Die Skulptur "Fassbinder I" im Innenhof des Bibelmuseums
© tew
  • Die Skulptur "Fassbinder I" im Innenhof des Bibelmuseums
    © Bibelmuseum Münster
  • "Fassbinder II" ist im LWL-Museum für Kunst und Kultur in direkter Nachbarschaft zum Bibelmuseum zu sehen.
    © LWL/Hanna Neander
  • Richard Serra
    © Oliver Mark
  • Der Dramatiker, Fiilm- und Theaterregisseur Rainer Werner Fassbinder, dem das Kunstwerk von Richard Serra gewidmet ist
    © Gorup de Besanez
„The content is you! If you don’t walk into the work and engage with it, there isn’t any content.“

Wer vom Aegidiimarkt aus durch den Torbogen des Bibelmuseums tritt, sieht als erstes eine fünf Meter hohe, massive Stahlskulptur, die im von Backsteingebäuden umsäumten Innenhof wie ein Fremdkörper wirkt. Das 13 Tonnen schwere Werk des amerikanischen Bildhauers Richard Serra löst eine Irritation aus, die der Künstler bewusst hervorrufen wollte. Sein Anliegen war es, durch künstlerische Eingriffe Räume, Gebäude oder ganze öffentliche Plätze maßgeblich zu prägen. Ursprünglich hat Serra die Skulptur "Fassbinder I" nicht für die Pferdegasse, sondern für den Innenhof des gegenüberliegenden LWL-Museums geschaffen. Durch dessen Umbau musste ein neuer Standort gefunden werden, durch die Aufstellung im Hof des Bibelmuseums konnte ein Kompromiss gefunden werden, mit dem auch der Künstler einverstanden war.

Serra konzipierte die wuchtige, leicht asymmetrische Konstruktion gezielt für einen begrenzten Raum, wo es den sperrigen Charakter des namensgebenden Filmemachers Rainer Werner Fassbinder (1945 bis 1982) repräsentieren sollte. Selbst in vielfacher Hinsicht ein Außenseiter, befasste sich dieser in seinen Bühnenstücken und Filmen immer wieder mit jenen, die am Rand der Gesellschaft stehen. Die ihm gewidmete Skulptur passt sich dem Raum nicht ein, sie besetzt ihn und nimmt ihn in sich auf, verleiht ihm einen eigenen Charakter und definiert ihn neu. Überdies ist die räumliche Nähe zu dem Pendant im LWL-Museum gewährleistet. Für die dort aufgehängte Zeichnung "Fassbinder II (Drawing for Münster)" aus dem Jahr 1984 formte Serra aus geschmolzener Ölkreide Blöcke in Ziegelsteingröße, die er in gleichmäßigen, weitgehend mechanisierten Bewegungen auf die Leinwand aufbrachte. Dabei wollte er seine Leinwand-Installationen nicht als Malerei missverstanden wissen, sondern als Varianten seiner Skulpturen.

Die Vorliebe für den Werkstoff Stahl entstand schon in seiner Kindheit: Sein Vater arbeitete einige Jahre lang in einer Schiffswerft, er selbst während seines Literatur- und Kunststudiums von 1957 bis 1964 zeitweise in seinem Stahlwerk. Ausgehend vom Minimalismus begann Serra mit Blei und Stahl zu experimentieren, wobei seine Arbeiten immer größer und schwerer wurden. Erste begehbare Großplastiken im öffentlichen Raum, in denen die Wahrnehmung der Kunst von unmittelbaren körperlichen Erfahrungen begleitet wird, entstanden Anfang der 1970er Jahre. Dazu gehört beispielsweise die Installation "Circuit" für die documenta 5 - die weltweit einflussreichste Ausstellung Moderner Kunst nach dem Zweiten Weltkrieg. 1977 nahm Serra das erste Mal an der Skulptur Projekten in Münster teil, auch 1987 und 1997 war er hier zu Gast.

Dass das Ensemble "Fassbinder" einem Filmemacher gewidmet ist, ist kein Zufall. Serra setzte sich zeitlebens intensiv mit den künstlerischen Formen des historischen sowie des aktuellen Films auseinander. 1978 schuf er den "Berlin Block for Charlie Chaplin" für die Terrasse der Neuen Nationalgalerie in Berlin, sein letztes Werk vor seinem Tod erhielt den Titel "Blade Runners".

Serra galt als streitbarer Künstler - was wohl auch notwendig war, denn seine Werke erregten ob ihren schieren Größe immer wieder Anstoß in der Öffentlichkeit. "Tilted Arc", eine 37 Meter lange und drei Meter hohe, etwas geneigte Stahlwand, die sowohl die Sicht als auch die Überquerung der Federal Plaza in New York teilweise blockierte bezoehungsweise verhinderte, führte insbesondere durch die Anwohner zu Protestaktionen, was 1989 dazu führte, dass die große Stahlskulptur wieder entfernt werden musste. Die Skulptur "Terminal" wurde 1979 auf einer Verkehrsinsel am Bochumer Hauptbahnhof, installiert. Die CDU machte im Landtagswahlkampf eine Kampagne gegen die Aufstellung in Bochum, Diskussion um das Kunstwerk gibt es bis heute.

Die Grundidee zum Holocaust-Mahnmals in Berlin als begehbares Feld von Stelen stammte zwar von Serra, doch schied er 1998 aus der verantwortlichen Arbeitsgemeinschaft aus. Dabei zeigt sie einen künstlerischen Anspruch, der eine von Serras Leitlinien war: Das Publikum sollte sich in der Konfrontation mit monumentalen Stahlplatten, die auf es einzustürzen schienen, mit sich selbst auseinandersetzen müssen.