Jahrbuch für Christliche Sozialwissenschaften, Band 49 (2008): Kindheit und Jugend in alternder Gesellschaft

Vorwort

Das Schlagwort von der ‚Überalterung der Gesellschaft‘ ist inzwischen fester Bestandteil des öffentlichen, vor allem des medialen und des politischen Alltags. Angesprochen sind mit dieser Formulierung die durch eine deutlich höhere Lebenserwartung auf der einen Seite und die zurückgehenden Geburtenzahlen auf der anderen Seite hervorgerufenen demographischen Verschiebungen: Der Anteil von Kindern und Jugendlichen an der Gesamtbevölkerung nimmt ab, während der Anteil älterer Menschen zunimmt. Statistisch wirkt sich diese Verschiebung beispielsweise im steigenden Durchschnittsalters der Bevölkerung aus, in den konkreten Lebenskontexten aber ergibt sich ein differenziertes Bild veränderten (Zusammen-)Lebens von älteren und jüngeren Menschen. Man mag diesen Prozess in der eigenen Umgebung vielleicht tatsächlich als ‚Überalterung‘ wahrnehmen, als Fehlen von jüngeren Menschen und Kindern, wobei die Wahrnehmung wiederum zweifellos durch die praktisch permanent präsente These der Überalterung geprägt ist.

Mit dem vorliegenden 49. Band des Jahrbuchs für Christliche Sozialwissenschaften soll ein differenziertes Bild des demographischen Wandels gezeichnet und sollen Konsequenzen aus dem demographischen Wandel erörtert werden. Eine Vorüberlegung wurde dabei vorausgesetzt: Gerade die Situation von Kindern und Jugendlichen ändert sich mit dem demographischen Wandel grundlegend. Und diese Veränderungen dürften die Gesellschaft der Zukunft noch stärker prägen als die Veränderungen, die für die älteren Menschen mit dem demographischen Wandel verbunden sind.

In den Beiträgen dieses Bandes werden deshalb Phänomene der gegenwärtigen Bevölkerungsentwicklung und ihre Folgen, die damit verbundenen ethischen Probleme, Perspektiven und Möglichkeiten, darauf zu reagieren, vor allem im Hinblick auf die jüngeren Generationen in den Blick genommen. Diese Entscheidung für eine besondere Rücksicht auf die Perspektive jüngerer Generationen beruht nicht zuletzt auch auf der Annahme, dass einige der zuletzt besonders breit diskutierten sozialethischen Themen – wie Bildung, politische Beteiligung, Politik zum Wohl von Kindern, familienethische und -politische Fragen – ebenfalls aus dieser Perspektive der jüngeren besondere Relevanz, eine größere Relevanz wohl auch als aus der Perspektive älterer Generationen entfalten. Kindheit, Jugend und Alter knüpfen an anthropologische Gegebenheiten menschlichen Lebens an. Erst in modernen Gesellschaften wird aber die Abfolge der Lebensalter bzw. der Lebenslauf zu einer gesellschaftlichen Institution, die einen zeitlichen Ordnungsrahmen für die Verschränkung von Individuum und Gesellschaft bereit hält. Historisch bot die Erfindung und schrittweise Einrichtung des Lebenslaufs als Institution die Möglichkeit, den Zusammenbruch ständischer Ordnungen aufzufangen und dem Alltagsleben eine neue, für alle im Prinzip gleiche zeitliche Struktur zu geben. Gesetzliche Definitionen von Unmündigkeit bzw. Mündigkeit und Ruhestand bilden die juristische Grundlage, die Ordnung rituell ausgestalteter Übergänge markieren den symbolischen Rahmen. Insofern haben Kindheit, Jugend und Alter im modernen Sinne den Charakter von gesellschaftlichen Konstruktionen. Sie stehen in einem engen Zusammenhang mit Institutionen, die ihr Gegenüber bilden: für die Kindheit die moderne Familie, für die Jugend die modernen Bildungseinrichtungen und für das Alter der moderne Ruhestand bzw. das Ende der Pflicht zur Erwerbstätigkeit. Heute sind so viele Kontingenzen, Unsicherheiten und Spielräume in diese Struktur eingelassen, dass sie auf den ersten Blick ihre prägende Wirkung verloren zu haben scheint. Historisch hat allerdings erst die schrittweise Verallgemeinerung des Lebenslaufs für alle durch die Programmatik des modernen Sozialstaats die Voraussetzung für die heute ins Auge springenden Phänomene der Pluralisierung, Differenzierung und Individualisierung von Kindheit, Jugend und Alter geschaffen. Wenn auch immer wieder vom Ende der Kindheit, der Jugend oder auch des Alters die Rede ist, so handelt es sich um Diagnosen, die die Existenz dessen, was sich heute tiefgreifend verändert, zur Voraussetzung haben. Insofern bleibt die Institution des Lebenslauf als Hintergrundsstruktur nach wie vor in Geltung. Die Institutionalisierung des Lebenslaufs steht auch in einem engen Zusammenhang mit der Konstruktion von Generationen und ihrer Verhältnisbestimmung zueinander. Die rechtlichen Definitionen von Mündigkeit und Ruhestand grenzen drei Generationen als gesellschaftliche Gruppen voneinander ab: Kinder und Jugendliche als Noch-Nicht-Erwerbstätige, Erwachsene im Erwerbsalter und Personen im Ruhestand. In der Rede von der ‚alternden Gesellschaft‘ kommt zum Ausdruck, dass in den kommenden Jahren gravierende Veränderungen in der zahlenmäßigen Größe der drei Gruppen zu erwarten sind. Da das durchschnittliche Lebensalter weiter steigt, gleichzeitig die Zahl der Geburten auf einem niedrigen Niveau verharrt, wird sich die Zahl der nicht mehr erwerbstätigen Personen in Relation zu den beiden anderen Gruppen deutlich erhöhen. Kinder und Jugendliche werden seltener, die Zahl der Erwerbstätigen im Erwachsenenalter kleiner, und die Gesellschaft als ganze altert als Ausdruck der Verschiebung der zahlenmäßigen Relation zu Gunsten der Älteren. In den letzten Jahren hat sich eine gesellschaftliche Problemdefinition und -wahrnehmung durchgesetzt, die in der Verschiebung der Relationen zwischen den Generationen das Schlüsselproblem der deutschen und ähnlich strukturierter Gesellschaften sieht. Dabei drohen eine Reihe von Fragen auf der Strecke zu bleiben: Welche Veränderungen bekommen heute Kinder und Jugendliche in ihrer materiellen und kulturellen Situation zu spüren? Welche Deutungen und Kompetenzen bringen sie mit, um mit den veränderten Anforderungen fertig zu werden? Wie sind die Bezugsinstitutionen der Kinder und Jugendlichen in Gestalt von Familie und Bildungseinrichtungen auf die neue Situation eingestellt? Die Phänomene, die unter dem Stichwort ‚alternde Gesellschaft‘ zusammen gefasst werden, haben offensichtlich Einfluss auf die Veränderungen von Kindheit und Jugend, aber welche sind dies?

Eine zweite Fragerichtung nimmt Ernst, dass es sich beim Lebenslauf und Generationenverhältnis um institutionelle Strukturen handelt, die nicht vom Himmel gefallen, sondern historisch entstandenen sind und sich durch menschliches Handeln verändern lassen. Es ist leicht einsichtig, dass die Frage nach der Gerechtigkeit als der Tugend der Institutionen (John Rawls) bis in die scheinbaren Determinationen der Demographie hinein gestellt werden können und müssen. Schon geringe Veränderungen in der institutionellen Struktur des Ruhestands zum Beispiel haben gravierende Auswirkungen auf die Problemkonstellationen, die heute der Demographie zugerechnet werden. Wenn Kindheit, Jugend und Alter gesellschaftliche Konstrukte darstellen, dann sind sie auch unter gerechtigkeitstheoretischen Perspektiven befragbar und veränderbar. Auf die damit angesprochenen Fragerichtungen konzentriert sich dieser Band. Auf der einen Seite fragt er nach den gegenwärtigen Veränderungen von Kindheit und Jugend und stellt sie in den Kontext einer alternden Gesellschaft. Dabei kommt die materielle Lebenslage von Kindern ebenso zur Sprache wie der Umbruch auf dem Feld des Kulturellen und Religiösen. Der Blick richtet sich aber auch auf die Herausforderungen von Familien und Bildungseinrichtungen angesichts des demographischen Wandels.

Die Situationsanalyse besitzt für den Band aber keinen Selbstzweck. Deshalb geht es im zweiten Schwerpunkt um Fragen der Gerechtigkeit und des guten Lebens: Was bedeutet Gerechtigkeit zwischen den Generationen und was brauchen Kinder und Jugendliche zu einem guten Leben? Neben der Thematik der intergenerationellen Gerechtigkeit stehen Annäherungen an das, was heute als Kindes- und Famlienwohl definiert werden kann, im Zentrum des Interesses. Dem Blick auf die heutige Realität von Kindheit und Jugend in ihren institutionellen Kontexten und dem Diskurs um die neu aufbrechenden Fragen der Gerechtigkeit und des Wohls der Kinder und Familien schließen sich politische und praktische Perspektiven von und für Jugendliche und junge Erwachsene an. Die Autorinnen und Autoren des Bandes wurden mit dieser konzeptionellen Ausrichtung des Bandes vertraut gemacht und relativ genau um Aufsätze zu ganz bestimmten Fragestellungen gebeten, die wiederum eine ganz bestimmte Funktion in der Gesamtkonzeption erfüllen. So konnte es gelingen, Beiträge zusammenzustellen, die der oben skizzierten Fragestellung recht präzis entsprechen bzw. die der Fragestellung tatsächlich angemessene Antwortvorschläge enthalten. Das konnte im Rahmen des Entstehungsprozesses noch besonders forciert werden, indem einige Beiträge auf der – inzwischen fest etablierten – ‚Jahrbuchtagung‘ in Münster vorgestellt und diskutiert wurden. Auf diese Weise konnte – insofern die Beiträge unabhängig von der Tagung abgesprochen, konzipiert und geschrieben wurden – einerseits vermieden werden, dass es sich um einen ‚Tagungsband‘ mit Standardaufsätzen handelt; andererseits konnten dennoch die Beiträge miteinander vermittelt sowie zum Teil noch besser aufeinander und auf die Fragestellung der Gesamtkonzeption des Bandes bezogen werden. Als überhaupt nicht nebensächlich hat sich – auf der Tagung ebenso wie in diesem Band – die Idee erwiesen, Angehörige der jüngeren Generation zu Wort kommen zu lassen, die gemäß der Konzeption besondere Berücksichtig finden sollte, zu der aber Wissenschaftler/innen, die in wissenschaftlichen Periodika publizieren, in der Regel nicht gehören: Der Beitrag der Studierenden mag auf den ersten Blick den Beigeschmack einer wohlfeilen Alibifunktion haben; die Lektüre des Beitrags dürfte aber den Verdacht der Vereinnahmung zerstreuen – und sei es nur, weil die Studierenden sich ihrerseits einfach nicht vereinnahmen ließen.

Im Einzelnen wird in den Beiträgen zunächst der ‚Sachverhalt Überalterung‘ differenziert in den Blick genommen: Welche Tendenzen prägen die demographische Entwicklung? Gibt es milieuspezifische oder regionale Besonderheiten? Wird das Phänomen mit dem Ausdruck ‚Überalterung‘ überhaupt treffend bezeichnet? Welche Konsequenzen haben Geburtenrückgang und höhere Lebenserwartung – jenseits populärer Dramatisierungen – für das Zusammenleben? Jürgen Dorbritz fasst die empirische Faktenlage zusammen und erläutert, auf die Fragestellung des Bandes zugeschnitten, die demographischen Veränderungen. Dass diese Veränderungen – bei aller Zurückhaltung in Bezug auf Dramatisierungen – schließlich doch eminent für die Wahrnehmung, Interpretation und zu prognostizierende Entwicklung der Gesellschaft sind, zeigt Herbert Schweizer in seinem Neuentwurf einer ‚Soziologie der Kindheit‘. Der Autor geht davon aus, dass mit den gesellschaftlichen und insbesondere mit den demographischen Veränderungen auch eine grundlegende Veränderungen dessen, was wir ‚Kindheit‘ nennen, verbunden ist. Im Beitrag werden die gesellschaftlichen Voraussetzungen und wissenssoziologischen Horizonte einer neuen Kindheitssoziologie erläutert und auf die Situation von Kindern und Heranwachsenden in der ‚alternden Gesellschaft‘ hin zugespitzt.

Zwei Beiträge setzen sich mit Fragen der ‚Wertorientierungen‘ und der ‚religiösen Orientierungen‘ von Jugendlichen auseinander. Die Beiträge unterscheiden sich erheblich in der sozialwissenschaftlichen Arbeitsweise und in der Interpretation dessen, was als ‚Wertorientierung‘ und ‚religiöse Orientierung‘ bezeichnet werden kann, bieten aber beide aufschlussreiche Verknüpfungen von empirischer Arbeit mit Interpretationsleistungen. Andreas Feige und Carsten Gennerich schildern die Vorüberlegungen, die Durchführung und die Ergebnisse eines empirischen Forschungsprojekts zur Erforschung von ‚religiösen‘ Orientierungen bei Jugendlichen. Dafür haben sie eine neuartige Theoriebasis entwickelt, die es erlaubt, jenseits von eher klischeeartigen Vorstellungen von Religion und Religiosität ein Bild der ‚Transzendenzdimensionen‘ in den Werthaltungen von Jugendlichen und jungen Erwachsenen zu erfassen, um schließlich Bedingungen der Möglichkeit der Kommunikation mit einer religiös-transzendenten Dimension beschreiben zu können. Bei dem Beitrag von Thomas Gensicke handelt es sich um eine im Hinblick auf die Jahrbuch-Thematik erstellte Neuauswertung der 15. Shell-Jugendstudie. Aus der Fülle der Daten wurden – in Abstimmung mit weiteren an der Shell-Studie beteiligten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern – die Bezüge zur Fragestellung dieses Bandes gesammelt und kombiniert. Es ergibt sich ein außerordentlich differenziertes Bild, das zu einer übersichtlichen Gesamtschau zusammengefasst wurde.

Zweifellos bedeuten die demographischen Veränderungen, wie immer man ihr Ausmaß interpretiert und bewertet, auch eine sozialethische Herausforderung. Nicht zuletzt die christliche Sozialethik ist zu einer Stellungnahme herausgefordert: Können die Grundsätze christlicher Sozialethik vor dem Hintergrund veränderter Bedingungen reformuliert werden? Können auf der Basis christlich-sozialethischer Überlegungen wichtige Beiträge für den Umgang mit der veränderten Situation – etwa im Hinblick auf Bildung oder familiales Zusammenleben – geleistet werden? Haben normative Orientierungen, wie jene der Generationengerechtigkeit, vielleicht sogar wachsende Bedeutung? Werner Veith beginnt die normativen Überlegungen des Bandes mit Ausführungen zu einer Konzeption ‚intergenerationeller Gerechtigkeit‘. Er differenziert einerseits den Begriff der Generation, andererseits skizziert er eine Systematik des Gerechtigkeitsbegriffs, in den er der Aspekt intergenerationeller Gerechtigkeit integrieren kann. Auf dieser Grundlage werden unter anderem im Anschluss an die Konzeption der Gerechtigkeit als Fairness von John Rawls die Grundzüge einer Theorie der Gerechtigkeit zwischen den Generationen entwickelt. Eine andere Konzeption der ‚Generationengerechtigkeit‘ entwickelt Matthias Möhring-Hesse. Unterschiedliche Generationenkonzepte haben, so seine These, gemein, dass sie mehr oder weniger klare Grenzen zwischen einer nachwachsenden (noch nicht erwerbsfähigen), einer aktiven (erwerbsfähigen) und einer (nicht mehr erwerbsfähigen) Generation im Ruhestand ziehen. Dabei werden Unterschiede innerhalb der Generationen, also zwischen Angehörigen ein und derselben Generation, häufig kaum oder auch gar nicht berücksichtigt. Dies kritisiert Möhring-Hesse und weist darauf hin, dass diese Unterschiede – etwa im Einkommen und im Vermögen – ein erhebliches Potenzial für die Lösung der Probleme der Alterssicherung angesichts des demographischen Wandels bieten. Mit dem Problem der Kinderarmut setzt sich Christoph Butterwegge in seinem Beitrag auseinander. Beim Umgang mit dieser besonderen Form der Armut fällt auf, dass es neben – eher diskreten – Strategien tatsächlicher Armutsbekämpfung auch – und zwar zunehmend – Strategien der ideologischen ‚Entsorgung‘ der (Kinder-)Armut gibt, nämlich die Kulturalisierung bzw. Pädagogisierung der Armut einerseits und die Biologisierung bzw. Demographisierung von Armut andererseits. Dass dabei auch der Begriff der Generationengerechtigkeit nicht zur systematischen Klärung, sondern als politisch-strategischer Begriff eingesetzt wird, macht die Diskussion gegenwärtig besonders unübersichtlich. Deshalb wendet sich der Autor gegen eine solche strategische Gerechtigkeitsargumentation und warnt davor, dass sich die Entwicklung von der Alters- zur Kinderarmut wieder umkehren werde und es zu einer Re-Seniorisierung der Armut komme, dabei aber eine Lösung des Problems der Kinderarmut hartnäckig vermieden werde. Marianne Heimbach-Steins sondiert in ihrem Beitrag zunächst Herausforderungen, die aus dem demographischen Wandel für die Fortentwicklung des Bildungswesens und die Ermöglichung umfassender Bildungsbeteiligung für alle resultieren. Sie diskutiert vor diesem Hintergrund normative Gehalte des gegenwärtig stark beanspruchten Topos ‚Bildungsgerechtigkeit‘, um darauf aufbauend sozialethische Kriterien für eine generationen- und beteiligungsgerechte Bildungspolitik zu entwickeln. Mit familienethischen Aspekten des demographischen Wandels befasst sich der Beitrag von Bernhard Laux, wobei die Familie insbesondere als Ort der ‚riskanten Kopplung‘ der Geschlechter- und Generationenbeziehung thematisiert wird. Laux geht unter anderem der Frage nach, wem die Kinder und wem die Eltern ‚gehören‘: Der demographische Wandel, der die optimale Ausnutzung des ‚Humankapitals‘ verlangt, führt verstärkt zu einem ‚Zugriff‘ von Seiten der Gesellschaft bzw. der Wirtschaft auf die Kinder und damit zu Konflikten mit den Familien. Benötigt wird für diese Problemlage ein Familienleitbild, das die Einseitigkeiten und Risiken eines nur ökonomischen Entwicklungspfades erkennt sowie Lebensbereichen und Sozialformen mit nichtmateriellen Werten entsprechende Freiräume gewährt.

Im Zusammenhang mit den jüngsten Fällen von Vernachlässigung von Kindern wurde der Ruf nach einer stärkeren staatlichen Überwachung von Kindern in Familien bzw. von Familien mit Kindern laut, häufig verbunden mit der Forderung sanktionierter medizinischer Standarduntersuchungen. In der Regel steht dabei das ‚Wohl des Kindes‘ als normative Legitimation im Hintergrund. In den entsprechenden Debatten wird allerdings kaum darauf reflektiert, wie eine Vorstellung vom ‚Kindswohl‘ zu bestimmen, geschweige denn, wie sie normativ zu begründen ist und wie entsprechende politische Maßnahmen zu legitimieren sind. Darauf weist Franz-Josef Bormann hin, der, nach einer Erörterung der ethischen Konzeptionen von John Rawls und Martha Nussbaum im Hinblick auf die einschlägige Fragestellung, in seinem Beitrag eine eigene ethische Position entwickelt, um diese schließlich an drei Anwendungsfeldern – Lebensschutz, Gesundheitsfürsorge, Bildungsförderung – zu präzisieren und zu konkretisieren. Die beiden abschließenden Beiträge des thematischen Teils weichen insofern von der Jahrbuch-Konvention ab, als sie keine wissenschaftlichen Aufsätze darstellen. Mit Andrea Hoffmeier wurde die Bundesvorsitzende des Bundes der deutschen katholischen Jugend (BDKJ) gebeten, die jugendpolitische Position des Dachverbands der katholischen Jugendverbände darzustellen. Ihr Beitrag gibt einen umfassenden Überblick über ganz unterschiedliche, Kinder und Jugendliche direkt oder indirekt betreffende Politikfelder. Dabei wird nicht nur deutlich, wie weit und vielfältig die Interessen der jüngeren Generation in diese Politikbereiche hineinreichen, sondern auch, wie differenziert ein Jugendverband heute sein Position bestimmen muss, wenn er diese Interessen wirkungsvoll vertreten möchte. Schließlich wurden Studierende der Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität Münster gebeten, ihre Sicht der Dinge auf die Thematik zu schildern: Die Einlassungen von Daniel Bugiel, Vanessa Görtz, Peter Meiners, Eva Schröer und Sandra Upgang bieten ein heterogenes Bild – und sind gerade darin wohl kennzeichnend für die Perspektive der jüngeren Generation auf die Gesellschaft des demographischen Wandels. Diese Gesellschaft im Wandel kommentieren die Studierenden – implizit und explizit – eindrucksvoll in ihrer ganzen Ambivalenz.

Der erste ‚Bericht‘ dieses Jahrbuchs von Helge Wulsdorf und Ulrich Dickmann ist ebenfalls dem Generationenthema gewidmet und beschreibt ein Planspiel zur Generationengerechtigkeit. Alexander Filipović berichtet über das Berliner Werkstattgespräch 2007 der deutschsprachigen Sozialethikerinnen und Sozialethiker zum Thema ‚Religion und Zivilgesellschaft‘. Über das Forum Sozialethik und dessen mittlerweile 17. Tagung in der Kommende Dortmund, die im Jahr 2007 unter dem Thema ‚Solidarität und Toleranz‘ stand, berichtet Katja Winkler. Traditionsgemäß schließen die ‚Mitteilungen aus der deutschsprachigen katholischen Sozialethik‘ mit Informationen über laufende und gerade abgeschlossene wissenschaftliche Qualifikationsprojekte sowie die Autor/innennotizen diesen 49. Band des Jahrbuchs für Christliche Sozialwissenschaften ab.

Zu den schönen Jahrbuch-Gepflogenheiten gehört es, an dieser Stelle verdienten Kollegen gute Wünsche zu ‚runden‘ Geburtstagen auszusprechen. Anton Rauscher SJ vollendet im Jahr 2008 sein 80. Lebensjahr. Auch Rudolf Weiler wird 80 Jahre alt. Seinen 75. Geburtstag feiert Valentin Zsifkovitz und seinen 70. Geburtstag feiert Lothar Schneider. Ihr 65. Lebensjahr vollenden Johannes Müller SJ und Manfred Spieker. Und Gerhard Droesser wird 60 Jahre alt. Ihnen allen wünsche ich, auch im Namen der Arbeitsgemeinschaft, alles Gute und Gottes Segen, verbunden mit einem aufrichtigen Dank für die Verdienste um unsere Disziplin. Abschließend danke ich dem Aschendorff-Verlag für die gute – und inzwischen darf man sagen: bewährte – Zusammenarbeit, der Deutschen Forschungsgemeinschaft für die Förderung des Jahrbuchs sowie Eva Schröer für die Mitarbeit bei der Manuskriptbearbeitung und Christian Spieß für die redaktionelle Betreuung des Bandes. Münster, Pfingsten 2008 Karl Gabriel

Inhaltsverzeichnis

I. BEITRÄGE

  • JÜRGEN DORBRITZ: Alternde Gesellschaft – der demographische Wandel in Deutschland. Ursachen, Verläufe und Herausforderungen
  • HERBERT SCHWEIZER: Neue Soziologie der Kindheit – ‚veränderte Kindheit‘ in einer ‚alternden Gesellschaft‘
  • ANDREAS FEIGE / CARSTEN GENNERICH: Zur Alltagsethik Jugendlicher und Junger Erwachsener zwischen Säkularisierungsparadigma und der These der ‚Wiederkehr der Religion‘. Anschlussmöglichkeiten für eine ‚religiös‘ zu nennende Kommunikation und Bewusstseinsbildung?
  • THOMAS GENSICKE: Jugend – Wertewandel – demographischer Wandel
  • WERNER VEITH: Intergenerationelle Gerechtigkeit. Sozialwissenschaftliche Analyse des Begriffs ‚Generation‘ und normative Reflexionen der Generationenrelationen
  • MATTHIAS MÖHRING-HESSE: Die Generationengerechtigkeit der Alterssicherung. Demographischer Wandel und bundesdeutscher Sozialversicherungsstaat
  • CHRISTOPH BUTTERWEGGE: Von der Alters- zur Kinderarmut und wieder zurück? Wie das Armutsproblem ‚demographisiert‘ statt gelöst wird
  • MARIANNE HEIMBACH-STEINS: Gerechte Beteiligung an und durch Bildung im Wandel gesellschaftlicher Generationenverhältnisse. Sondierungen zum Zusammenhang von Bildungs- und Generationengerechtigkeit
  • BERNHARD LAUX: In Verteidigung der Liebe. Konturen eines Familienleitbildes für die veränderte demographische und gesellschaftliche Situation
  • FRANZ-JOSEF BORMANN: Was brauchen Kinder? Ethische Überlegungen zur vernachlässigten Kategorie des ‚Kindswohls‘
  • ANDREA HOFFMEIER: Was ist eine ‚jugendfreundliche Politik‘? Die jugendpolitischen Positionen des BDKJ vor dem Hintergrund des demographischen Wandels
  • DANIEL BUGIEL/VANESSA GÖRTZ/PETER MEINERS/EVA SCHRÖER/SANDRA UPGANG - STUDIERENDE DER UNIVERSITÄT MÜNSTER - : Über die Köpfe hinweg? Überlegungen, Einwände und Thesen aus der Perspektive Studierender

II. Berichte

  • Helge Wulsdorf/Ulrich Dickmann: Der Generationenvertrag auf dem Prüfstand. Ein Planspiel zur Erschließung der Generationenfrage
  • Alexander Filipović: Religion und Zivilgesellschaft. Bericht über das achte Werkstattgespräch der Sektion ‚Christliche Sozialethik‘ in der Internationalen Vereinigung für Moraltheologie und Sozialethik (26.-28.02.2007, Berlin)
  • Katja Winkler: "Solidarität ist die Chance der Toleranz“ (Zygmut Bauman)? Sozialethische Reflexionen zu Solidarität und Toleranz Bericht zum 17. Forum Sozialethik (10.-12.09.2007 in der Kommende, Dortmund)