Kolloquium: "Fehler - Abweichung - Variation"

27. bis 28. Oktober 2017
Tagungsort: Romanisches Seminar der WWU, Bispinghof 3, Raum A 22

Programm (PDF)

Sprachnormen sind gesellschaftliche Normen, die auf der Regelhaftigkeit des Sprachgebrauchs (deskriptive Normen) oder auf der expliziten Festsetzung und Legitimation durch normierende Instanzen (präskriptive Normen) beruhen. Die Verletzung präskriptiver Normen, ob gewollt oder ungewollt, hat entsprechende soziale Folgen. Dies gilt dann umso mehr, wenn in einer Gesellschaft die Sprache als zu bewahrendes kulturelles Erbe definiert wird, und je aufwändiger der Erwerb der korrekten Norm ist. In Sprachgemeinschaften mit einem einzigen normgebenden Zentrum (sog. monozentrischen Sprachen) ist die Bedeutung der präskriptiven Norm dabei in der Regel höher als in Sprachgemeinschaften mit mehreren normgebenden Zentren (plurizentrischen Sprachen).

Sprachliche Abweichungen von der präskriptiven Norm gelten primär als unfreiwillig, da sie zu negativer Bewertung der Fähigkeiten einer Person und sogar zu negativer Bewertung der Person selbst führen und ein Nicht-Können, ein Nicht-Leisten eines Erwarteten zeigen. Dies gilt besonders für die Schriftlichkeit, deren Beherrschung separater Gegenstand der Bildung ist. Als besonders gravierend werden Abweichungen von der Norm in der Regel in Grammatik und Orthographie wahrgenommen. Beide Bereiche sind in den romanischen Sprachen unterschiedlich stark aufeinander bezogen, am stärksten zweifellos im Französischen im Bereich der orthographe grammaticale. Eher als bei anderen Sprachen, werden im Französischen Zahl und Art der orthographischen Fehlleistungen (traditionell als erreurs oder fautes bezeichnet) mit dem Grad der Schulbildung in Beziehung gesetzt, da der Erwerb als schwierig und aufwändig gilt. Fehler im Bereich der orthographe grammaticale werden als besonders schwerwiegend angesehen, da sie nicht durch eine punktuelle Prüfung zu vermeiden sind, sondern nur durch systematischen Erwerb von Regeln und deren Ausnahmen. Die Toleranz gegenüber sprachlichen Fehlern hängt dabei von deren Anzahl und Charakter ab: Je elementarer ein Fehler, desto stärker die Wirkung.

Während Schriftlichkeit traditionell an primär distanzsprachliche Textsorten gebunden ist, in denen die Beherrschung der präskriptiven Norm von großer Bedeutung ist, gestattet die Nähesprache aufgrund ihrer Tendenz zur Mündlichkeit und aufgrund ihres informellen Charakters, flexibel mit Normen umzugehen, da deren Verletzung nicht unbedingt zu Sanktionen führt.

Mit zunehmendem Vordringen der Schriftlichkeit in den Bereich der Nähesprache, vor allem in die private Kommunikation über Chats und Kurznachrichten, wird nähesprachliche Mündlichkeit, die sich durch ihren spontanen und dialogischen Charakter (z.B. in der Face-to-face- oder telefonischen Kommunikation) auszeichnet, jedoch immer stärker durch schriftliche Kommunikation ersetzt. Damit steigt die Schreibfrequenz generell, auch bei weniger schriftaffinen Gruppen. In gemeinsamen Räumen der Schriftlichkeit entstehen z.T. neue Gruppennormen, in denen unbeabsichtigte Regelverletzungen toleriert werden. In einigen Fällen werden Regelverletzungen sogar bewusst und systematisch eingesetzt, teils als spielerischer Angriff auf die Norm durch bestimmte Gruppen (z.B. als künstlerischer Ausdruck in Literatur oder Rap), teils als Akt sozialer Aggression. Die Frage stellt sich daher, ob und in welchen Bereichen die präskriptive Norm generell oder partiell durch das Vordringen der Schriftlichkeit in den Bereich der Nähesprache in Frage gestellt wird.

Die oben genannten Fragestellungen sollen beim Kolloquium „Fehler-Abweichung-Variation“ am Romanischen Seminar der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster (27. - 28.10.2017) diskutiert werden.

Das Kolloquium umfasst Beiträge mehrerer romanischer Sprachen (s. auch Tagungsprogramm (PDF)).

Veranstalterinnen:
Prof. Dr. Christina Ossenkop
Prof. Dr. Georgia Veldre-Gerner
WWU Münster
Romanisches Seminar
Bispinghof 3
Haus A
48143 Münster