Sportwissenschaft und Nonlinear Science


Die Sportwissenschaft beschäftigt sich im Allgemeinen mit den komplexen Phänomenen der menschlichen Bewegung, wobei sich der wissenschaftliche Untersuchungsgegenstand nicht einzig auf eine Maximierung der sportlichen Leistung beschränkt, sondern die vielschichtigen Aspekte der menschlichen Bewegung im Allgemeinen untersucht werden. Diese Aspekte sind im sozialwissenschaftlichen, geschichtlichen, pädagogisch-didaktischen Bereich anzusiedeln, aber auch in den naturwissenschaftlich orientierten Bereichen Trainingswissenschaft, Sportmedizin, teilweise Psychologie, Biomechanik und Bewegungswissenschaft.

Die Bewegungswissenschaft ist die Wissenschaft von der Bewegung des Menschen und der Tiere. Es werden Fragen untersucht, die sich mit der motorischen Kontrolle und Regelung von Bewegungen beschäftigen, aber auch mit den mechanischen Eigenschaften des Bewegungsapparates, bzw. des neuromuskuloskelettalen Systems des Menschen und der Tiere.  Eine aktive Bewegung wird durch koordinierte Muskelkontraktionen generiert. Die Kontrolle und Stabilisierung einer Bewegung wird durch neuronale Regelkreise gewährleistet, indem eine Störung durch Rezeptoren detektiert, dann durch Regelkreise kompensiert und kontrolliert wird. Die neuronale Form der Kontrolle und Stabilisierung von Bewegungen ist bereits umfassend untersucht und weitgehend verstanden. Dies gilt jedoch nicht in gleichem Maße für den Einfluss des mechanischen Systems auf die Stabilität einer Bewegung. Insbesondere durch die Kopplung des mechanischen Bewegungsapparates mit dem zentralen Nervensystem, also dem Versuch das sensomotorische System des Menschen und der Tiere besser verstehen zu können, macht die Verwendung nichtlinearer Methoden und komplexer Systeme notwendig.

Durch die Verwendung der Nonlinear Sciences im Bereich der Bewegungswissenschaft wird ein grundsätzliches Verständnis des komplexen Phänomens der menschlichen Bewegung möglich, mit Anwendungsbereichen in der Sportwissenschaft, aber auch in angrenzenden Gebieten, wie z.B. der Biologie, Psychologie, Medizin und Robotik.

  • Arbeitsgruppe Wagner

    Biomechanik motorischer Kontrolle

    Der Arbeitsbereich Bewegungswissenschaft vertritt zwei Forschungs- und Lehrbereiche: - die Biomechanik, naturwissenschaftlich, physikalisch geprägt und - die Bewegungslehre als eine motorisch orientierte Fachwissenschaft. Obwohl diese Integration in den gemeinsamen Arbeitsbereich Bewegungswissenschaft auf den ersten Blick schwierig erscheint, so ist sie doch eine logische Konsequenz aus der modernen Entwicklung beider Bereiche, da die motorische Kontrolle und die biomechanischen Eigenschaften des Muskel-Skelett-Systems eng miteinander verbunden sind. Der Arbeitsbereich Bewegungswissenschaft hat sich zur Aufgabe gemacht, diese Gegensätze zu überwinden; es soll die Biomechanik der motorischen Kontrolle untersucht werden. Hier ergeben sich viele interessante Fragestellungen, nicht nur für die Sportwissenschaft im Speziellen sondern auch für angrenzende Fachgebiete im Allgemeinen.

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    Selbststabilität als Prinzip der Bewegungswissenschaft Bereits die mechanischen Eigenschaften des Muskel-Skelett-Systems tragen zur Stabilisierung der von Bewegungen bei. Somit kann die Stabilisierung der Bewegung von Mensch und Tier nicht nur durch neuronale Rückkopplung sondern auch durch mechanische Eigenschaften des Muskel-Skelett-Systems realisiert werden. Diese mechanische Stabilität wurde von uns mit dem Begriff ‚Selbststabilität’ benannt. Der Begriff ‚Selbststabilität’ beschreibt biologische oder technische Systeme deren Bewegungen ohne neuronale Kontrolle, z.B. Reflexe, positive oder negative Rückkopplung, einzig durch die mechanische Interaktion zwischen der Kinematik und der Dynamik stabilisiert werden können.

    Die Untersuchungen vieler unterschiedlicher Muskel-Skelett-Systeme, ergaben jeweils dieselben stabilisierenden mechanischen Eigenschaften, z.B. die Form der Kraft-Geschwindigkeits-Funktion, und der ansteigende Bereich der Kraft-Längen-Funktion eines Muskels.

    Es kann angenommen werden, dass die Muskulatur sowie der geometrische Aufbau des Muskel-Skelett-Systems nicht allein zur aktiven Erzeugung einer Bewegung genutzt wird, sondern auch die Stabilisierung einer Bewegung erfolgt in weiten Bereichen durch die mechanischen Eigenschaften des Systems.

    Bereits die Untersuchungen an einem einzelnen Muskel zeigen deutlich, dass auch ohne eine neuronale Kontrolle externe Störungen kompensiert werden können. Ein Muskel in Verbindung mit einem Gelenk stellt eine komplexere Situation dar, hier entstehen dementsprechend neue Anforderungen an das System, aber auch neue Möglichkeiten einer Stabilisierung.

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    Das Prinzip der Selbststabilität ist hierarchisch organisiert. Biologische Systeme besitzen eine sehr große Komplexität und sind im Allgemeinen hierarchisch Aufgebaut. Es ist nicht nur ein Gelenk an einer Bewegung beteiligt, sondern das Zusammenspiel mehrerer Gelenke führt zu dem gewünschten Ziel. Nicht nur die Bewegung eines Gelenks sollte stabilisiert werden, sondern die Aktion aller beteiligten Gelenkbewegungen; selbststabile Systeme sollten auf allen hierarchischen Ebenen selbststabil sein. Das hat eine weitreichende Bedeutung bis hin zum molekularen Aufbau eines Muskels. Die Funktion aller mikroskopischen Einheiten eines Muskels kann die Selbststabilität des Systems unterstützen, wäre eine Einheit unstabil, hätte dies weitreichende Folgen für die makroskopische Bewegung.

    Die Einbettung eines Muskels in ein Skelett erhöht die Komplexität des betrachteten Systems, was auf der einen Seite neue Möglichkeiten für das Auftreten von Störungen aber auch neue Möglichkeiten zur Kompensation von Störungen bietet. So tragen z.B. zweigelenkige Muskeln oder eine wandernde Drehachse im Kniegelenk zur Stabilität des Systems bei.

    Auch die Bewegung des Rückens stellt eine große Anforderung an die Stabilitätseigenschaften des Systems. Die Wirbelsäule des aufrecht stehenden Menschen kann als ein invertiertes Pendel bestehend aus vielen übereinander angeordneten Segmenten verstanden werden. Diese geometrische Anordnung ist prinzipiell sehr instabil, weshalb es vieler, zum Teil redundanter Mechanismen bedarf, um die Wirbelsäule zu stabilisieren. ‚Instabilitäten’ werden in vielen Fällen mit dem Auftreten von Rückenschmerzen in Verbindung gebracht. Aus diesem Grund haben wir untersucht, ob auch die Funktion der Wirbelsäule durch die mechanischen Eigenschaften des Systems stabilisiert werden kann.

    Der Einfluss selbststabiler Eigenschaften des Bewegungsapparates auf die senso-motorische Kontrolle von Bewegung ist momentan Forschungsgegenstand unseres Arbeitsbereichs. Hierfür fokussieren wir uns zunächst auf die Beschreibung spinaler Mustergeneratoren. Auf spinaler Ebene existieren neuronale Verschaltungen, deren nichtlineares Zusammenspiel komplexe Bewegungsmuster erzeugen können. Insbesondere zyklische Bewegungen, aber auch reflektorische Reaktionen auf externe Störungen können bereits auf spinaler Ebene verarbeitet werden.
    Das nichtlineare Verhalten, insbesondere die Stabilität diese spinaler Mustergeneratoren in Verbindung mit den selbststabilen Eigenschaften des Bewegungsapparates ist Ziel unserer aktuellen Untersuchungen.

    Themen der Arbeitsgruppe

    • Biomechanik der motorischen Kontrolle
    • Selbststabilität
    • Spinale Mustergeneratoren
    • Chronisch unklassifizierter Rückenschmerz

    Webseite der AG Wagner