Teilprojekt C6:
Profan und heilig: Kirchhöfe als Orte und Räume symbolischer Kommunikation in der ländlichen Gesellschaft Westfalens (15. - 18. Jahrhundert)
| Projektbeschreibung |
Das
Teilprojekt untersucht die symbolische Konstituierung von sakralen
Räumen in
der ländlichen Gesellschaft des Spätmittelalters und
der Neuzeit anhand von
Kirchhöfen ausgewählter Regionen Westfalens und
Mitteldeutschlands.
Der
Dorfkirchhof, das Gräberfeld mit der Dorfkirche im Zentrum,
war ein Ort des
Gottesdienstes. Die katholische Kirche machte ihn,
gemäß ihres
Sakralitätskonzepts. und mittels liturgisch-ritueller
Handlungen, wie
Beerdigungen, Prozessionen, Weihen und Entsühnungen, zu einem
Heiligen Raum.
Gleichzeitig war dem Kirchhof eine Multifunktionalität eigen:
Er war
Begegnungs- und Lagerort und wurde landwirtschaftlich genutzt. Aufgrund
dieser
Struktur, die verbunden war mit einer bestimmten Randbebauung
– Speichern,
Wirtschaften, Wohnhäusern, der Schule, dem Armenhaus
– sowie den dort lebenden
und ihrer täglichen Beschäftigung nachgehenden
‚Kirchhöfern‘, bestanden
permanente Berührungspunkte zwischen dem heiligen Raum und
innerweltlichen
Lebenspraktiken, die sich der Heiligkeit entzogen. Die daraus
resultierenden
Konflikte zwischen der Gemeinde und der Kirche in Gestalt von Pfarrern,
Archidiakonen und Visitatoren gelten als epochenübergreifendes
Phänomen.
Mit
der Konfessionsbildung traten sie in eine neue Phase. Aus der
tridentinischen
Heiligkeitskonzeption floss ein verstärkter disziplinierender
Zugriff auf
Bewohner und Nutzer des Kirchhofs. Dazu gehörten die
Entfernung von
potentiellen Quellen der Profanierung, die Herstellung von
Ritensicherheit –
bei Beerdigungen und Prozessionen – sowie die Bestrafung von
Devianz. Die
Bevölkerung partizipierte an der religiösen
Kommunikation, nahm die
Heiligkeitsdefinition wahr und verinnerlichte sie – oder
nicht. Damit stand und
fiel der Erfolg der symbolischen Konstituierung des heiligen Raums.
Unter dem
Einfluss der Aufklärung unterlagen die Kirchhöfe
einem neuerlichen Bedeutungs-
und Reglementierungswandel. Aufgrund hygienischer Überlegungen
wurden sie als
Friedhöfe ausgelagert.
Nachdem
in der ersten Bewilligungsphase die Kirchhöfe des Oberstifts
Münster zwischen
1500 und 1800 untersucht wurden (der Abschluss einer entsprechenden
Dissertationsschrift ist für Ende 2009 anvisiert), setzt das
Teilprojekt seit
01.01.2009 zusätzlich zwei Schwerpunkte: Zum einen verfolgt
Jan Brademann den Vergleich
zu protestantischen Kirchhöfen im Fürstentum Anhalt
(reformiert) und Erzstift
Magdeburg (lutherisch). Unter geänderten eschatologischen und
sakraltheologischen Vorzeichen unterlagen auch diese
Begräbnisplätze einem
verstärkten Zugriff seitens des Konfessionsstaats.
Konfessionsspezifisch war
hier vor allem der Wegfall der den Kirchhof heiligenden liturgischen
Handlungen.
Christof
Spannhoff untersucht zum anderen die Konflikte und
Aushandlungsprozesse, die
sich an den Bemühungen der aufgeklärten Obrigkeiten,
die Kirchhöfe auszulagern,
entzündeten, sowie die dahinter stehenden von
Wertvorstellungen der
Parochianen, die auf der Disziplinierung des Konfessionellen Zeitalters
fußten.
Seine Beispielsorte liegen im katholischen Oberstift Münster
sowie der benachbarten,
reformierten Grafschaft Tecklenburg. Auch hier gilt, anhand der
Raumwahrnehmung
der Kirchhöfe die ideengeschichtliche These vom
„Konfessionellen Tod“ als
konfessionsspezifischem Ensemble von Deutungsmustern im Umgang mit dem
Tod in einer
kulturgeschichtlichen Perspektive zu erweitern.
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