Teilprojekt C4:
Übergangsriten in der Frühen Neuzeit
(16. - frühes 18. Jahrhundert)
| Projektbeschreibung |
Das Projekt untersuchte am Beispiel der Eheschließungen die Struktur, Funktion und Bedeutung ritueller und symbolischer kommunikativer Handlungen in Übergangsritualen der Frühen Neuzeit. Zusammenfassend lässt sich derzeit sagen, dass das Übergangsritual Hochzeit als komplexer Sinnstiftungsprozess anzusehen ist, in dem (Teil-)Gesellschaften bzw. soziale Subsysteme durch das spezifische Zusammenspiel von gesellschaftlicher, gruppenspezifischer und individueller Sinnstiftung konstituiert werden. In diesem Kontext ließ sich auch untersuchen, wie die sich entwickelnde obrigkeitlichen Vorstellungen des Sinns von Hochzeitsritualen durchgesetzt wurden, wie eine 'Alphabetisierung' mittels der neu implementierten kirchlichen Symbolik vollzogen wurde. Dieser Prozess wird im Teilprojekt als Verkirchlichung bezeichnet, insofern bislang volkskulturell definierte Bedeutungszuweisungen von kirchlicher Normierung überlagert und zum Teil verdrängt werden. Durch den Rückgriff auf konstruktivistische Ansätze wurde das Übergangsritual Hochzeit als ein bedeutungsoffenes soziokulturelles Phänomen interpretiert, das notwendigerweise individuell wie gruppenspezifisch immer wieder mit sinnstiftenden Prozessen belegt werden muss. Der individuelle, körperliche Vollzug des Übergangs Heiraten verschob dabei jeweils obrigkeitliche bzw. kirchliche Vorgaben. Das Projekt leistet hier einen Beitrag zur jüngst interdisziplinär diskutierten performativen Wende. In diesem Kontext konnte die besondere Bedeutung körperlicher Handlungen aufgezeigt werden, wie sie für Initiationsrituale südamerikanischer Ethnien bereits bekannt sind, aber auch nach den Ergebnissen des Projekts für die europäische Geschichte als zentral angenommen werden müssen. Dieses Zusammenspiel eines notwendigen körperlichen Vollzugs mit einer situationsbedingten Bedeutungszuschreibung führte zu einem Ansatz, der über die bisherigen phänodeskriptiven und normativ-obrigkeitlichen Untersuchungen hinausgeht. Ein zentrales bisheriges Resultat war damit, dass in einer komplexen Gesellschaft Symbole keine eindeutigen Bedeutungen haben, die Sinnintention und Sinnwahrnehmung kohärent erscheinen lassen, sondern dass sich um deren Besetzung und Beherrschung gesellschaftliche Konflikte entwickeln können und in der Neuzeit auch entwickelt haben. Parallel dazu trugen körperliche performative Akte zur Sinnbildung im Übergangsritual Heirat aufgrund ihres Überschusses an Bedeutung, die nicht in den Intentionen der beteiligten Gruppen und Personen aufging, bei. Die Generierung von Bedeutung in Übergangsritualen lässt sich daher nicht allein durch die Konflikte um intentionale Bedeutungszuschreibungen rekonstruieren.
Um diese Ergebnisse auf eine breitere thematische Basis zu stellen, wurden Forschungen zur Bedeutung von Initiationsritualen im zünftischen Handwerk durchgeführt. Pfister hat in zwei Beiträgen den Zusammenhang zwischen zünftischen Werten, wie sie sich in Petitionen etc. äußern, und der Entwicklung eines lokalen Wirtschaftssektors angesprochen. Im Vergleich verschiedener Städte erwies sich dabei der Grad an zünftischer Autonomie als wichtige Variable bei der Erklärung von Unterschieden. Diese Autonomie ihrerseits wird im Alltag zu einem erheblichen Teil in der spezifischen Ausgestaltung von (Übergangs-)riten konstituiert. Wir erhoffen uns, dass es trotz der schwierigen Quellensituation zu zünftischen Übergangsriten am Ende möglich sein wird, den Zusammenhang zwischen ihnen und der (Re-)produktion spezifisch zünftischer Werte zu untersuchen.
Ebenfalls als Beispiel mit dem Ziel, eine allgemeine Systematik von Sinnstiftungsprozessen in Übergangsritualen der Frühen Neuzeit zu erarbeiten wurden Wallfahrten als Übergänge während der Laufzeit des Projekts erforscht. Seit Turner kann man in der Wallfahrt einen liminalen Zustand sehen, der am Ende durch die rituelle Reinigung (Kommunion, Ablassgewinnung) oder die physische Heilung den/die WallfahrerIn in einen neuen Status versetzt. Dieser Ansatz wurde in Publikationen des Teilprojekts unter anderem anhand der Auswertung des Mirakelbuchs von Eberhardsklausen (17. Jh.) und des Beizugs einzelner Hexenprozesse. Im Ergebnis werden analog zu den oben referierten Ergebnissen zur Heirat die Bedeutung der individuellen Performanz und die vergleichsweise geringe Ritualisierung dieses Übergangs festgestellt.
Zusammenfassend hat das Projekt nachzuweisen versucht, wie in Übergangsritualen performativ körperliche und symbolische Sinnstiftungsstrategien einen emergenten Bedeutungsüberschuss hervorbringen und Rituale so jenseits intentionaler Zuschreibungen autopoietisch wirklichkeitsgenerierend und damit geschichtsbildend wirken.
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