Dr. W. Pohlkamp
Römisch-kirchliche Geschichtskultur im ersten Jahrtausend
Mit dem seit 2002 im Rahmen des Projektes "Mythen Europas" diskutierten Konzep tes "Schlüsselfiguren der Imagination" läßt
sich für die christlich-kirchliche Ge schichtskultur eine essentielle Ordnungsstruktur gewinnen. Insofern dieses Konzept nicht allein auf die (rekonstruierbare)
historische 'Wirklichkeit' der Schlüsselfiguren rekurriert, sondern sich vor allem ihrer Ausstrahlung in den Bereich der 'Imaginationen' annimmt, eignet es sich
besonders gut für einen Gründerheros wie Konstantin den Großen (306 - 337), den wir als 'ersten christlichen Kaiser' rühmen, als Urheber
für die 'Konstantinische Wende' namhaft machen und als Patron des 'Konstantinischen Zeitalters' wahrnehmen.
Mit den bis heute eher unzureichend
gewürdigten Silvester-Akten (Actus Silvestri), die in Rom selbst als einem europäischen Erinnerungsort par excellence entstanden sind, ist an die Seite
des ersten christlichen Kaisers eine zweite Schlüsselfigur getreten: der römische Confessor und Bischof Silvester I. (314 - 335). Dass dieser römische
Bischof zum Partner des ersten christlichen Kaisers stilisiert wird, was er historisch niemals gewesen sein dürfte, charakterisiert das römisch-kirchliche
Geschichtsbewußtsein des ausgehenden 4. Jahrhunderts, wie es sich literarisch in den Silvester-Akten artikuliert hat. Deren Text wurde im Laufe der Jahrhunderte
zum materiellen Substrat der spätestens an der Wende vom 5. zum 6. Jahrhundert greifbaren kultischen Verehrung Silvesters I., insbesondere am 31. Dezember
jeden Jahres. Die somit gewährleistete Wiederholungstruktur der kultischen Kommemoration Silvesters I., die eine jahrhundertelange und europaweite Verbreitung
der römischen Actus Silvestri zur Folge hatte und von der auch die Memoria des ersten christlichen Kaisers profitierte, brachte im späteren 8. Jahrhundert eine
der genialsten Erfindungen römisch-kirchlichen Geschichtsbewußtseins hervor: die berühmt-berüchtigte Konstantinische Schenkung
(Constitutum Constantini), von ihrem anonymen Verfasser vorgestellt als Textrekonstruktion eines in kirchlichen Archiven nicht mehr auffindbaren, jedoch in den
Actus Silvestri bezeugten und verbürgten Privilegium des ersten christlichen Kaisers für den Bischof von Rom.
Der Versuch, das spezifische, römisch-kirchliche
Portrait der Schlüsselfigur Konstan tin d.Gr. zu rekonstruieren, ist im Projektumfeld des Editionsunternehmens einer historisch-kritischen Textausgabe der
lateinischen Silvester-Akten entstanden und er fordert deshalb zugleich die Fortsetzung dieser editorischen Bemühungen.
Beteiligter Wissenschaftler:
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