Arbeitsbereich Prof. Dr. R. de Jong-Meyer
Selbstregulationsprozesse und ihre Beeinflussbarkeit
Mit Beginn des Graduiertenkollegs "Integrative Kompetenzen und Wohlbefinden: Somatische, psychische, soziale und kulturelle Determinanten", das von der
DFG im Oktober 2002 an der Universität Osnabrück eingerichtet wurde (Sprecher: Prof. Dr. J. Kuhl) und an dem die eigene Arbeitsgruppe als
"externer" Partner beteiligt ist, erfuhren die auch früher schon untersuchten Selbstregulationsprozesse eine neue Einordnung. "Integrative
Kompetenzen" sind definiert als Selbstregulationskompetenzen bei Hindernissen oder Konflikten. In der Arbeitsgruppe geht es um Bedingungen, die die
Selbstregulationsprozesse des Abwägens und Entscheidens, der Planung, der (flexiblen)Umsetzung und der postaktionalen Bewertung von zielorientierten
Handlungen insbesondere bei depressiven und depressiv-ängstlichen Syndromen beeinflussen. Übereinstimmend mit Annahmen der Arbeitsgruppe um Kuhl
gehen wir davon aus, dass es für den Übergang von normaler Beanspruchung zu Affektiven und bestimmten Angst-Syndromen und für den weiteren
Verlauf dieser Syndrome (Intensität, Dauer) weniger auf die leichtere Auslösbarkeit negativer Affektivität unter bestimmten genetischen, biologischen
oder psychosozialen Risikobedingungen ankommt, sondern auf die "psychobiologische Ausstattung" eines Individuums mit Systemen, die angesichts negativer
Erfahrungen Gegenregulationen ermöglichen (z. B. auf psychophysiologischer Ebene die belastungsregulierende Funktion des Cortisolsystems). Auf der
psychologischen Ebene gibt es zwei Schwerpunkte: a) Postaktionale Bewertung und die durch dysfunktionale Bewertung ausgelösten Schwierigkeiten, Ruminations-
und Sorgenprozesse zu beenden, und b) zukunftsbezogene Selbstregulation unter den Fragestellungen, welche Aspekte prospektiver Kognitionen unter negativem Affekt
gehemmt sind und durch welche selbstregulativen Kompetenzen Handlungs- und Denkblockaden überwunden werden können. Dysfunktionale
postaktionale Bewertung und persistierend negatives Denken (Rumination, Worrying)
Funktionale bzw. dysfunktionale Bewertungen zielbezogenen Handelns wurden in der Klinischen Psychologie kaum systematisch untersucht, obwohl bestimmte
Selbstregulationsmodelle der Depression (u.a. Carver & Scheier, Pyszczynski & Greenberg oder Kuhl & Helle) ihnen im Zusammenhang mit ausbleibendem
Disengagement eine wichtige Rolle zuschreiben und auch im Zusammenhang mit Angststörungen das "post event processing" als dysfunktional
beschrieben wurde. Beckmann hatte differenziert zwischen selbstbezogenem und aufgabenbezogenem postaktionalen Bewerten und das Verharren bei selbstbezogener
Bewertung ohne Bildung einer neuen Zielintention als dysfunktionalen Prozess konzipiert. Mit der eigenen Fragebogenentwicklung (de Jong-Meyer & Wilken, 2005)
gelang es gut, dysfunktionale von funktionaler postaktionaler Bewertung zu trennen. Das als charakteristisch
für dysfunktionale postaktionale Bewertung bezeichnete "Verharren bei selbstbezogener Bewertung" stellt eine spezielle Unterform persistierend
negativer Gedanken dar, die bei Unterbrechungen zielbezogener Handlungen oder Misserfolg bei der Zielerreichung auftreten. Ebenfalls verknüpft mit im Zustand
der Selbstaufmerksamkeit fokussierten Ist-Soll-Diskrepanzen werden die Konstrukte Rumination und Worry als Störvariablen für Selbstregulation/Integrative
Kompetenzen konzeptualisiert (Martin & Tesser, Nolen-Hoeksema, Borkovec, Clark & Wells). Rumination ist - den Ergebnissen einer großen amerikanischen
Längsschnittstudie (Templeton-Wisconsin-Projekt) folgend - die entscheidende vermittelnde Variable, durch die andere Vulnerabilitätsfaktoren für
Depression (Pessimistischer Explanationstil, Dysfunktionale Kognitionen) ihren Einfluss auf Entstehung, Dauer und Intensität depressiver Episoden und die
Wiedererkrankungshäufigkeit ausüben. Eine ähnlich zentrale Rolle nimmt der Worry-Prozess in Modellen zur Generalisierten Angst ein. In den letzten
Jahren wurden zu diesen Konstrukten in der Arbeitseinheit zu folgenden Themen Studien durchgeführt:
- Dimensionalität von Rumination, Worrying
und verwandten Konstrukten bei dysphorischen und subklinisch ängstlichen Probanden und gesunden Kontrollen
- Reaktionsstile von Adoleszenten auf alltägliche
Belastungen und Beziehungen zu situationsübergreifenden Neigungen des Ruminierens, Sich-Sorgens und der Gedankenunterdrückung
- Überprüfung geschlechtsspezifischer
Modelle zu sozialer Orientierung und Ruminationsneigung in der Adoleszenz
- Experimentelle
Induktion von Rumination versus Distraktion und Prüfen der Effekte auf selektive Aufmerksamkeit, Spezifität des Autobiografischen Gedächtnis und
psychobiologische Stressreagibilität, Spezifität mentaler Zukunftsrepräsentationen, Selbstzugang, und differentielle Erinnerung selbst- versus
fremdgewählter Ziele (insgesamt 4 unterschiedliche Studien mit dysphorischen Probandengruppen).
- Experimentelle Induktion mentaler Zustände, die persistierend negativem Denken (Rumination, Worrying) entgegen wirken könnten (dezentrierte Aufmerksamkeit,
Achtsamkeit) und Prüfen der Effekte auf Selbstzugang und differentielle Erinnerung selbst- versus fremdgewählter Ziele sowie auf Gedankeninhalte und
metakognitive Prozesse (2 Studien).
Vorläufiges Fazit der bisherigen Arbeiten ist, dass Rumination und Distraktion bei gesunden Kontrollpersonen keinen differentiellen Einfluss auf Stimmung oder auf
Informationsverarbeitungsprozesse haben. Nur bei bereits depressiven oder dysphorischen Personen wurden Einflüsse auf die jeweiligen abhängigen
Variablen nachgewiesen. In Übereinstimmung mit Vorläuferstudien zeigte sich auch, dass Rumination ein mehrdimensionales Konstrukt mit zahlreichen
Gemeinsamkeiten aber auch einigen Unterschieden zu dem Konstrukt des Worrying ist und dass sowohl bei dysphorischen/depressiven wie ängstlichen Probanden
beide Varianten des persistierend negativen Denkens vorkommen. Ergebnisse aus diesen Studien wurden überwiegend bereits in Vorträgen und
Posterbeiträgen präsentiert und werden derzeit zur Publikation vorbereitet.
Zukunftsbezogene Selbstregulation
Eine gute Selbstregulation bei persönlichen Zielen, beim Abwägen von Entscheidungsalternativen und beim Planen setzt voraus, dass es eine lebendige und
möglichst uneingeschränkte Aktivierbarkeit von mentalen Repräsentationen zukünftiger Ereignisse gibt. Zentrale Symptome wie die
Hoffnungslosigkeit bei den depressiven Störungen und das zukunftsbezogene Sich-Sorgen bei den Angststörungen zeigen jedoch bereits an, dass bei diesen
Störungen Aspekte des Zukunftsdenkens verändert sind. Die Zukunftsvariante des "Autobiographical Memory Task" wird in der eigenen
Arbeitsgruppe als ein mögliches Paradigma zur Erforschung von zukunftsbezogenen Selbstregulationsprozessen eingesetzt, nachdem wir für Depressive
zeigen konnten, dass das Ausmaß von Unspezifität bei antizipierten Zukunftsereignissen höher war als bei den Kontrollen und ihre auf die
Vergangenheit und auf die Zukunft bezogenen Spezifitätswerte im Sinne der Verfügbarkeitsheuristik (Tversky & Kahnemann) sehr hoch korrelierten
(ähnlich wie das Williams et al für Suizidale gezeigt hatten). Ein anderes Paradigma ist der "Personal Future Task", der in Analogie zu einer
verbalen Wortflüssigkeitsaufgabe (FAS) konstruiert ist. Gefragt sind für unterschiedlich definierte Zeiträume (z.B. 1 Monat, 1 Jahr) zukünftige
Ereignisse, die entweder eine positive oder eine negative Valenz aufweisen. Die Arbeitsgruppe um MacLeod (vgl. MacLeod et al., 1997) konnte zeigen, dass
ängstliche Teilnehmer mehr negative Ereignisse nannten als Kontrollen, während depressive Teilnehmer sich nicht in der Nennung von negativen aber in der
reduzierten Nennung von positiven Ereignissen von den Kontrollen unterschieden. Letzteres konnte in der eigenen Arbeitsgruppe repliziert werden:
Depressive/dysphorische Teilnehmer und Kontrollpersonen nannten vergleichbar viele negativen Erinnerungen wie Zukunftsereignisse, während die Depressiven mit
hoch signifikant weniger positiven Erinnerungen und Zukunftsereignissen reagierten. In einer weiteren Studie wurden außer dem Zukunfts-AMT und der Personal
Future Task von MacLeod noch weitere Paradigmata zukunftsbezogenen Denkens verglichen. Die Resultate dieser Arbeiten, die von Schulz et al und Wimmer et al 2005
bereits auf Kongressen präsentiert wurden, ermutigen dazu, in Zukunft die Veränderbarkeit von prospektiven Kognitionen experimentell zu untersuchen.
Im Dissertationsprojekt von Schulz wird eine
Variante des Personal Future Tasks eingesetzt, die auf die Erhebung der Spezifität persönlicher Ziele und Pläne abzielt. In Studien von Dickson &
MacLeod (2004) zeigte sich, dass depressive Probanden weniger Annäherungsziele und -pläne zur Zielerreichung generierten als Kontrollprobanden und
zudem weniger spezifisch in ihren Zielen und Plänen waren. Anhand dieses Paradigmas sollen Zielsetzung und Planung von Probandengruppen, die unter
Aufschiebeverhalten (Procrastination) und erhöhter Depressivität leiden mit denen einer gesunden Kontrollgruppe verglichen werden. Zusätzlich
werden weitere Aspekte des Planungsverhaltens mit Hilfe anderer Tests (z.B. Tower of Hanoi) erhoben und zur Spezifität persönlicher Ziele und Pläne
in Beziehung gesetzt. Die Bedeutung von Planungsprozessen für Aufschiebeverhalten als dysfunktionale Verhaltensweise soll auf diese Weise näher
untersucht werden.
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