Ausgangssituation
In vielen Versicherungsunternehmen hat in jüngster Zeit aufgrund
unterschiedlicher Einflussfaktoren ein Paradigmenwechsel von der Umsatz- zur Wertorientierung stattgefunden.
Seit der Deregulierung des deutschen Versicherungsmarktes im Jahre 1994 und der damit verbundenen
marktweiten Preistransparenz sehen sich die Versicherungsunternehmen einem verstärkten
Wettbewerbsdruck und ausgeprägten Konzentrationstendenzen ausgesetzt. Der Margenverfall im
originären Versicherungsgeschäft konnte bis vor einigen Jahren jedoch im Rahmen des
sogenannten Cash Flow Underwriting durch hohe Kapitalanlagegewinne überkompensiert
und somit eine auskömmliche operative Verzinsung auf das eingesetzte Kapital sichergestellt werden.
Neben diesen durch das Marktumfeld geprägten Einflussfaktoren werden die Versicherungsunternehmen
auch durch institutionelle Rahmenbedingungen vermehrt zu einer integrierten Risikosteuerung auf
Gesamtunternehmensebene angehalten. Als Stichworte seien an dieser Stelle die erhöhten
Transparenzerfordernisse durch internationale Rechnungslegungsvorschriften, DRS 5-20 und KonTraG sowie
die aufsichtsrechtliche Anerkennung interner Risiko- und Solvabilitätsmodelle im Rahmen von
Solvency II genannt. Die deutschen Schaden- und Unfallversicherer bewegen sich somit in einem
Spannungsfeld zwischen aufsichtsrechtlichen Vorschriften und ökonomischer Realität.
Problemstellung
Der Unternehmenserfolg eines Schaden- und Unfallversicherers
ist grundsätzlich von Risiken beeinflusst, die sowohl aus der Schadenentwicklung als auch aus dem
Verlauf der Kapitalmärkte resultieren. Die jüngsten Marktentwicklungen legen den Schluss nahe,
dass durch die traditionell isolierte Betrachtung dieser Risiken keine hinreichende Unternehmenssteuerung
gewährleistet werden kann. Vielmehr haben sich die Interdependenzen zwischen
versicherungstechnischen Risiken und Kapitalmarktrisiken als kritische Faktoren erwiesen. Unter dem Begriff
des Asset Liability Management (ALM) wird daher eine simultane Aktiv-/ Passivsteuerung
intensiv diskutiert. ALM beinhaltet im Kern die zielgerichtete Abstimmung des Kapitalanlageportfolios (assets)
mit den durch das Versicherungsgeschäft induzierten versicherungstechnischen Verpflichtungen
(liabilities).
Ziel einer wertorientierten Steuerung ist die Maximierung des
Unternehmensmarktwertes, z.B. operationalisiert durch die Maximierung der Rendite auf das risikoadjustierte
Kapital. Der Einsatz eines wertorientierten Steuerungssystems birgt in der Schaden- und Unfallversicherung
insbesondere zwei Probleme: Einerseits die Bestimmung der Höhe des gesamten Risikokapitals auf
Unternehmensebene und andererseits die Allokation des Risikokapitals auf einzelne Teilkollektive (z.B. Sparten,
Geschäftsfelder, etc.). In diesem Kontext kann das ALM einen wertvollen Beitrag zu einem
wertorientierten Risikomanagement leisten.
Gegenstand und Ziele des Forschungsprojektes
Das Forschungsprojekt setzt sich mit Ansätzen wertorientierten
Risikomanagements in der Schaden- und Unfallversicherung auseinander. In diesem Zusammenhang soll auf der
Basis von Echtdaten ein für den deutschen Markt repräsentatives Versicherungsunternehmen
modelliert und analysiert werden. Die Untersuchung soll sich u.a. mit folgenden Aspekten und Fragestellungen
auseinandersetzen:
- Durchführung von deterministischen und stochastischen
Szenarioanalysen, welche Risiko- und Renditekonsequenzen für zentrale Unternehmenskennziffern
aufzeigen
- Projektion und integrierte Darstellung von Planbilanzen und Plan-GuV (handelsbilanzielle
Sicht) sowie Cash-Flow-Analysen (zahlungstrombasierte bzw. wertorientierte Sicht)
- Ermittlung von
Ruinwahrscheinlichkeiten bei alternativen Kapitalanlage- bzw.
Rückversicherungsstrategien
- Bewertung strategischer Handlungsoptionen anhand ihrer
Eintrittswahrscheinlichkeit bei vorgegebener Ruinwahrscheinlichkeit bzw. Ratingklasse
- Identifikation
kritischer Kapitalmarkt- und Schadenszenarien (Stresstests)
- Durchführung
stochastischer Sensitivitätsanalysen zur Ermittlung ökonomischer Werttreiber bzw. Wertvernichter
(Wird die Risikoposition stärker durch die Versicherungstechnik oder das
Kapitalanlagegeschäft beeinflusst?)
- Ermittlung der risikoadjustierten Solvenz- und
Ertragslage des Unternehmens
- Ermittlung des Risikokapitalbedarfs und Allokation des Risikokapitals
auf Teilkollektive (Sparten, Geschäftsfelder, etc.)
- Berechnung risikoadjustierter
Performancekennzahlen (z.B. RORAC) für einzelne Teilkollektive (Sparten, Geschäftsfelder,
etc.)
- Vergleich des im Rahmen der Modellprojektion ermittelten Risikokapitalbedarfs bzw.
Ausfallrisikos mit unterschiedlichen Solvenz- oder Ratingmodellen
- gegenwärtig in Deutschland
angewandtes Solvenzmodell
- amerikanisches Risk-Based-Capital-Modell
- modifiziertes
Capital-Adequacy-Modell von Standard & Poor's
- (noch zu entwickelndes) unternehmensspezifisches
Risikomodell
Wird die tatsächliche Kapitalisierung durch die aufsichtsrechtliche
Solvabilitätsquote adäquat abgebildet, oder erscheint eine stärkere Risikobetrachtung in der
Solvenzregulierung angezeigt?
Projektdauer:
Beteiligter Wissenschaftler: