Forschungsbericht 1999-2000   
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"Symbolische Kommunikation und gesellschaftliche
Wertesysteme vom Mittelalter bis zur
französischen Revolution"

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Sonderforschungsbereiche
Sonderforschungsbereich 496 "Symbolische Kommunikation und gesellschaftliche Wertesysteme vom Mittelalter bis zur französischen Revolution"
Teilprojekt C4/Prof. Dr. Ulrich Pfister
 


Übergangsrituale in der Frühen Neuzeit

Unter der Chiffre der 'Übergangsriten' werden hier allgemein Vorgänge des Übergangs von einem sozialen Status zu einem anderen sowie teilweise damit verbunden von einem Lebensalter zu einem anderen verstanden. Übergänge bzw. ihre einzelnen Stadien sind unterschiedlich ritualisiert, unterschiedlich stark mit symbolischem Gehalt aufgeladen, werden in variablem Ausmaß durch reflexive Vorgänge erfasst und sind schließlich durch unterschiedliche Akteurkonstellationen und soziale Orte geprägt (von der Zweisamkeit eines Paars bis zum Fest). Sich an klassischen Autoren orientierende Studien analysieren primär die Morphologie von Übergangsriten im Hinblick auf ihren funktionalen Beitrag für die Bildung sozialer Gruppen bzw. für die Bewältigung, aber z. T. auch den Ausbruch sozialer Konflikte. Darüber hinaus will das gegenwärtige Vorhaben unter Rückgriff auf neuere konstruktivistische Ansätze auch systematisch das zum Teil reflexive Erfahren und Erleben von symbolischen Handlungen anlässlich von Übergangsriten durch individuelle Akteure, das für ihren zukünftigen Handlungsraum und damit auch für das Funktionieren der durch einen Übergang konstituierten Gruppe maßgeblich sein kann, ins Blickfeld nehmen.

In der laufenden ersten Projektphase erfolgt eine Konzentration auf das Beispiel der Heirat. Eine bessere Kenntnis der Morphologie dieser Übergänge sowie deren zum Teil erheblichen Wandel im Verlauf der Frühen Neuzeit wird durch die umfangreiche systematische Analyse von normativen Quellen sowie von bildlichen Darstellungen erreicht. In begrenztem Umfang werden für regionale bzw. lokale Fallbeispiele auch Quellen, die über den Vollzug von gezielt angestrebtem Wandel Auskunft geben, bearbeitet (Visitationsakten, Gerichtsprotokolle). Eine Analyse des Erlebens und der reflexiven Konstruktion von Übergängen in der Erinnerung durch Akteure wird anhand von Ehegerichtsprotokollen für zwei regionale Fallbeispiele, im Fall der Übergangsbräuche im Handwerk anhand von Selbstzeugnissen sowie anhand einer sich mit der symbolischen Praxis des Handwerks kritisch auseinandersetzenden Publizistik durchgeführt. Derzeit liegen die Schwerpunkte der Recherchen auf der Analyse bildlicher Quellen und auf einer Erforschung der Bedeutung körperlicher Praktiken und ihrer Varianzen in den verschiedenen Untersuchungsregionen.

Parallel wurden andere Vorhaben der beteiligten Wissenschaftler an das laufende Projekt angeglichen, so dass die Möglichkeit zu einem Transfer von Forschungsleistungen besteht. In seiner Habilitationsschrift über die Kultur- und Kommunikationsgeschichte der preußischen Verwaltung im 19. Jahrhundert, die im Juni 2001 eingereicht wurde, hat Stefan Haas die Übergangsrituale innerhalb des administrativen Systems untersucht und gezeigt, wie diese im Alltag der Behörden zunehmend zugunsten rechtlich abgesicherter Verfahren verdrängt werden. Gleichzeitig werden u.a. am Beispiel der Ziviluniformen die spezifischen Wirkungsweisen symbolischer Kommunikation in modernen Institutionen untersucht, deren Ergebnisse mit dem Teilprojekt insofern in Verbindung gesetzt werden sollen, als sie einen langfristigen Vergleich vormoderner und moderner Wirkungsweisen symbolischer Kommunikation im städtischen und dörflichen Alltag ermöglichen. Ein Aufsatz von Aline Steinbrecher und Oliver Becher behandelt die kirchliche Umdeutung von volkskultureller Hochzeitssymbolik am Beispiel der calvinistischen Grafschaft Lippe.

Das Projekt wurde auf mehreren Tagungen vorgestellt. So haben beispielsweise Oliver Becher und Aline Steinbrecher jüngst auf einer Konferenz an der Universität Zürich zum Thema "Volkskultur in der Schweiz" die symbolische Semantik von Hochzeitsritualen behandelt. Auf derselben Tagung sprach Ulrich Pfister über populäre Glaubenspraxis in Graubünden und stellte eine Verbindung zwischen seinen Forschungen zur Konfessionalisierung und dem Projekt her. Aufgrund seiner besonderen transdisziplinären Ausrichtung der Fragestellung und der anzuwendenden Methoden wurde im ersten Jahr besonderen Wert auf den Aufbau interdisziplinärer Konzepte gelegt. So haben Oliver Becher und Stefan Haas u.a. das Projekt vor einem Kreis von Geoinformatikern vorgestellt, um so einen Austausch über die Darstellbarkeit von Erkenntnissen über symbolische Strukturen voranzutreiben.

Beteiligte Wissenschaftler:

O. Becher M.A., Dr. St. Haas (Co-Leiter), Prof. Dr. U. Pfister (Leiter), A. Steinbrecher M.A.

Veröffentlichungen:

Becher, O., A. Steinbrecher: Die Ordnung der Ringe. Verkirchlichung von Eheschließung im Calvinismus, in: Holtz, S. (Hg.), Die Kirche im Dorf (erscheint 2001)

Haas, St.: Erinnerung in administrativen Systemen. Gedächtnisstrukturen der preußischen Verwaltung in Westfalen im 19. Jahrhundert: die Weitergabe der Vergangenheit (Westfälische Forschungen, Bd. 51) (erscheint 2001)

--,: Im Kleid der Macht. Symbolische Kommunikation als Herrschaftsstrategie in der preußischen Verwaltung des späten 18. und frühen 19. Jahrhunderts, in: Proeve, R./Winnige, N. (Hgg.), Kommunikation in Preußen (erscheint 2001)

 
 
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Hans-Joachim Peter
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Datum: 2001-10-18 ---- 2001-11-30