Forschungsbericht 1999-2000   
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Direktor: Prof. Dr. R. Santo

 
 
 
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Fachbereich 11 - Physik
Institut für Kernphysik
Prof. Dr. R. Santo
 


Experimente mit ultrarelativistischen schweren Ionen

Mit der Entwicklung intensiver hochenergetischer Strahlen schwerer Ionen sind seit einigen Jahren systematische Untersuchungen der Wechselwirkung zwischen schweren Kernen möglich geworden, in denen die Eigenschaften von Kernmaterie unter extremen Bedingungen (Druck und Temperatur) studiert werden können. Besonders motiviert sind diese Experimente durch Vorhersagen theoretischer Modellrechnungen (Quantenchromodynamik - Gitterrechnungen), in denen ein Übergang von Kernmaterie zu einem sogenannten Quark-Gluon-Plasma und die Wiederherstellung der chiralen Symmetrie vorhergesagt werden. Derzeit gibt es drei Beschleunigerkomplexe, mit denen diese Fragestellungen bearbeitet werden können: Der SPS-Beschleuniger am CERN, Genf, der seit 1985 Schwerionenstrahlen liefert, der RHIC-Speicherring im Brookhaven Nat. Lab, USA, der in diesem Jahr in Betrieb gehen wird, und der LHC-Speicherring am CERN, der ab 2005 zur Verfügung stehen wird. An allen drei Projekten ist unsere Arbeitsgruppe aktiv mit Experimenten oder Planungen beteiligt. Am SPS-Beschleuniger wurden im Rahmen des WA98-Experiments bis 1996 Messungen durchgeführt, die inzwischen zum größten Teil ausgewertet sind. Mithilfe des aus 10.000 Einzelmodulen bestehenden Bleiglasphotonendetektors LEDA gelang es erstmals in Schwerionenreaktionen, das Spektrum sog. "direkter Photonen" zu messen, welches Aussagen über die frühe dichte und heiße Phase der Kernkollisionen ermöglicht. Inzwischen gibt es eine große Zahl von theoretischen Arbeiten, welche diese Daten auf der Grundlage verschiedener Szenarien analysieren - insbesondere auch unter der Annahme, dass ein Phasenübergang von normaler Kernmaterie zu Quarkmaterie auftritt. In einer systematischen Studie wurde weiterhin das Skalierungsverhalten von Kernreaktionen mit Protonen und schweren Ionen untersucht. Es zeigte sich dabei, dass die relevanten Größen wie die transversale Energie Et und Multiplizität Nch nicht genau mit der Zahl der an der Reaktion teilnehmenden Nukleonen skalierten, sondern stärker anwuchsen. Da diese Effekte mit sog. "harten Prozessen" zusammenhängen, sollten sie bei höheren Energien stärker sichtbar werden. Solche Energien (bis =200 GeV) stehen seit Sommer 2000 am Relativistic Heavy Ion Collider (RHIC) des Brookhaven National Lab. (USA) zur Verfügung. Unsere Arbeitsgruppe ist im Rahmen einer internationalen Kollaboration aus fast 500 Wissenschaftlern aus 38 Ländern an dem PHENIX-Experiment beteiligt und hat hierin den Bleiglasdetektor des früheren CERN-Experiments WA98 eingebracht und mithilfe von Technikern und Wissenschaftlern des Instituts aufgebaut.

Inzwischen sind in einer ersten Meßzeit im Herbst 2000 Experimente bei einer Energie von =130 GeV durchgeführt worden und haben erste vorläufige Daten geliefert. Dabei wurde wiederum zunächst das Skalierungsverhalten untersucht, und es zeigte sich in der Tat bei diesen Energien eine stärkere Abhängigkeit der Größen ET und Nch von der Zahl der binären Kollisionen, wobei das Verhältnis, dh. die transversale Energie pro Teilchen konstant und in Übereinstimmung mit den Werten bei SPS-Energien blieb. Die Daten erlaubten auch eine erste Abschätzung für die besonders interessante Größe der Energiedichte. Es ergaben sich Werte, die ca. 50 % höher liegen als bei SPS-Energien und damit deutlich über den theoretisch vorhergesagten kritischen Energiedichten für einen Phasenübergang zur Quarkmaterie. Bei der Auswertung der Daten war unsere Arbeitsgruppe besonders an den Transversalimpulsspektren von pº-Mesonen beteiligt, welche über die Messung der Zerfallsphotonen im elektromagnetischen Kalorimeter rekonstruiert werden. Der Verlauf dieser Spektren kann mit herkömmlichen Modellen nicht ohne weiteres beschrieben werden. Eine Beschreibung der Daten ist möglich in einem Modell, das einen hohen Energieverlust der Partonen in Quark-Gluon-Materie annimmt. Dies könnte der erste Hinweis auf sog. Jet-Quenching und damit indirekt eine Bestätigung für die Existenz von Quarkmaterie sein. Diese und andere erste Daten der RHIC-Experimente wurden auf der Quark Matter Conference 2001 im Januar 2001 in Stony Brook (USA) vorgestellt.

Für Experimente bei noch höheren Energien wird derzeit im CERN, der LHC-Beschleuniger gebaut, mit welchem ab 2005 schwere Ionen bis zu =5.5 TeV Energie beschleunigt werden können. Unsere Arbeitsgruppe ist hier an dem internationalen ALICE-Experiment beteiligt und arbeitet im Rahmen eines vom BMBF geförderten Vorhabens an der Entwicklung und dem Aufbau eines Übergangsstrahlungsdetektors (TRD) mit. Die vorbereitenden systematischen Tests von Prototypdetektoren an verschiedenen Beschleunigern sind abgeschlossen; ein Technical Design Report, wie er vom CERN verlangt wird, ist eingereicht.

Drittmittelgeber:

Bundesministerium für Bildung, Wissenschaft, Forschung und Technologie, Gesellschaft für Schwerionenforschung (GSI), Darmstadt, INTAS, PROCOPE, DFG

Beteiligte Wissenschaftler:

Dipl.-Phys. S. Bathe, Dipl.-Phys. D. Bucher, Dipl.-Phys. K. Reygers, HDoz. Dr. Th. Peitzmann (Leiter), Dr. R. Glasow, Prof. Dr. R. Santo (sowie Wissenschaftler der WA98-Kollaboration, der PHENIX-Kollaboration und der ALICE-Kollaboration)

Veröffentlichungen:

Aggarwal, M.M. et. al: WA98 Collaboration,. Freeze-Out Parameters in Central 158 AGeV Pb-Pb Collisions Phys. Rev. Lett. 83 (1999) 926

Aggarwal, M.M. et al: WA98 Collaboration, Observation of Direct Photons in Central 158 AGeV 208 Pb+208Pb Collisions Phys. Rev. Lett. 85 (2000) 3595

Peitzmann, T.: Scaling Properties of Pion Production Phys. Lett. B 450 (1999) 7

 
 
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Hans-Joachim Peter
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Datum: 2001-09-20 ---- 2001-09-25