Forschungsbericht 1999-2000 | |
Freiherr-vom-Stein-Institut, Wissenschaftliche Forschungsstelle des Landkreistages Nordrhein-Westfalen an der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster Von-Vincke-Straße 10 48143 Münster Tel. (0251) 41 85 7 - 0 Fax: (0251) 41 85 7 - 20 e-mail: martell@uni-muenster.de WWW: http://www.uni-muenster.de/Jura.fsi/ Geschäftsführender Direktor: Prof. Dr. Janbernd Oebbecke | |
Forschungsschwerpunkte 1999 - 2000
Fachbereich 03 - Rechtswissenschaftliche Fakultät Freiherr-vom-Stein-Institut, Wissenschaftliche Forschungsstelle des Landkreistages Nordrhein-Westfalen an der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster Verwaltungswissenschaften | ||||
Die Kommunalpolitik in den Kreisen Nordrhein-Westfalens:
Die Untersuchung bietet einen ersten empirisch-quantitativen Einblick in die
Kommunalpolitik auf der Kreisebene. Als Beispiel dienen alle 31 Kreise des Landes
Nordrhein-Westfalen. Mit nahezu allen Landräten und Oberkreisdirektoren
wurden Interviews geführt. Mehr als 44 % der 1.807 Kreistagsmitglieder
antworteten auf eine schriftliche Befragung. Ausgangspunkt für die
Fragestellung der Arbeit ist der institutionelle Ansatz der Kommunalwissenschaften,
der einen Vergleich zwischen Verfassungsnorm und Verfassungswirklichkeit anstrebt.
Einer Darstellung der wichtigsten Regelungen der Kreisordnung und der faktischen
Grundlagen der Kreispolitik folgt die Analyse des umfangreichen empirischen
Datenmaterials.
Da im Unterschied zu den Städten und Gemeinden die Kreise bislang nur selten
Gegenstand empirischer Forschungsbemühungen waren, wurde bei der Anlage der
Untersuchung im wesentlichen an Erkenntnisse über die Kommunalpolitik auf der
Gemeindeebene angeknüpft. Dabei waren das Verhältnis zwischen Politik und
Verwaltung, die Bedeutung der kommunalen Aufgaben, die Struktur des Entscheidungssystems
und die Rolle der politischen Parteien von besonderem Interesse. Neben diesem Vergleich
wurde eine erste empirische Analyse von institutionellen Besonderheiten des
Kommunalverfassungssystems der Kreisordnung durchgeführt, in deren Mittelpunkt die
Verschränkung von kommunaler und staatlicher Verwaltung auf einer Ebene und die
Zusammenarbeit zwischen den Gebietskörperschaften im Gemeindeverband
»Kreis« standen. Um bei den Antworten der Kreistagsmitglieder feststellen zu
können, ob persönliche Merkmale der Befragten, ihre politischen Einstellungen
oder objektive Merkmale der Kreise wichtiger sind, wurden auch ihr Sozialprofil (Alter,
Bildung usw.) und relevante politische und ideologische Orientierungen erhoben.
Mit dem Sozialprofil und den politischen Einstellungen der Befragten lassen sich bei der
Analyse des empirischen Bilds des ehrenamtlichen Kreistagsmandats zwei wichtige Aspekte
herausarbeiten. Schon die Tätigkeit der Kreistagsmitglieder ist in besonderem
Maße vom Charakter des Kreises als Gemeindeverband geprägt. Die geringere
Orts- und Problemnähe des Kreises und seine bloß mittelbare Bedeutung für
die Bürger führt zu einer im Vergleich zu Ratsmitgliedern geringeren zeitlichen
Belastung der Mandatsträger und einem selteneren Bürgerkontakt. Dies gilt
allerdings in erster Linie für die Mehrzahl der »einfachen«
Kreistagsmitglieder. Diejenigen Befragten, die im Kreistag mehrere Funktionen wie die
Mitgliedschaft im Kreisausschuß, im Fraktionsvorstand usw. wahrnehmen (sog.
Ämterkumulierer), nehmen dagegen ihr Mandat aufgrund ihrer hervorgehobenen Stellung
im Entscheidungssystem extensiver wahr. Damit einher geht auch ein anderes
Selbstverständnis der Ämterkumulierer, die sich stärker als
Problemlöser und Projektinitiatoren verstehen.
Das Selbstverständnis der Kreistagsmitglieder lieferte erste Hinweise auf eine
grundlegende Einstellung der Befragten, die bei zahlreichen weiteren Analysen von Bedeutung
war. Dem Kreis haftet als Institution im Bewußtsein der Mandatsträger etwas
Konservatives an. Je konservativer die Kreistagsmitglieder in ihrer ideologischen und
gesellschaftspolitischen Wertorientierung sind, desto positiver ist ihre Einstellung
gegenüber der Institution »Kreis«. Daß es sich dabei um eine
individuelle Einstellung der Befragten handelt, läßt sich an der positiven Haltung
der CDU-Mitglieder im Vergleich zu den SPD-Mitgliedern und insbesondere den Grünen
unabhängig vom Gegensatz zwischen ländlichen und städtischen Regionen
ablesen. Ihre besondere Bedeutung erfährt diese Einstellung durch das Zusammenwirken
mit den örtlichen Gegebenheiten als Erklärungsfaktor für zahlreiche
Aspekte der Kommunalpolitik in den Kreisen.
Mit der Einschätzung einiger beispielhafter Thesen über einen modellhaften Kreis
(z.B. hoher Wissensstand der Bürger über die Kreisaufgaben, politisches
Gleichgewicht zwischen Kreis und Gemeinden) sowie der Bedeutung von 19
ausgewählten Kreisaufgaben (von Abfallbeseitigung bis Wirtschaftsförderung)
durch die Befragten konnte die unterschiedliche Stellung des Kreises in ländlichen und
städtischen Regionen des Landes empirisch bestätigt werden. Die Abweichungen
resultieren zum einen aus der unterschiedlichen Aufgabenverteilung zwischen den Kreisen und
ihren Gemeinden, die sich nach der Einwohnergröße der Städte und
Gemeinden bemißt. Aufgrund des höheren Anteils an Mittleren und Großen
kreisangehörigen Städten, die zahlreiche Aufgaben selbst wahrnehmen
können, kommt dem Kreis in den städtischen Regionen eine geringere Bedeutung
zu als in ländlichen Gebieten. Gleichzeitig besitzen die größeren
Städte auch ein stärkeres Selbstbewußtsein, was die Stellung des Kreises in
hoch verdichteten Regionen zusätzlich schwächt.
Obwohl im Gemeindeverband »Kreis« vielfältige Konflikte sowohl
zwischen den Städten und Gemeinden (horizontale Richtung) als auch zwischen dem
Kreis und seinen Gemeinden (vertikale Richtung) denkbar sind, ist das allgemeine
Konfliktniveau im kreisangehörigen Raum aus Sicht der Kreistagsmitglieder als nicht
sonderlich hoch anzusehen. In landesweiter Perspektive entzünden sich die meisten
Konflikte an der Festsetzung der Höhe des Kreisumlage-Hebesatzes, insbesondere in
vertikaler Richtung zwischen den Kreisen und ihren Gemeinden. Ansonsten sind die Konflikte
eher kreisindividueller Natur etwa im Bereich der Abfallbeseitigung oder des
öffentlichen Personennahverkehrs sowie bei der Wahrnehmung einzelner freiwilliger
Aufgaben durch den Kreis , die sich nicht verallgemeinern lassen. Der Vermeidung
von Konflikten dienen die vielfältigen Abstimmungsformen zwischen dem Kreis und
seinen Gemeinden (Konferenz der Hauptverwaltungsbeamten, Amtsleiterbesprechungen usw.).
Ebenfalls zur Konfliktvermeidung sowie zur Verschränkung zwischen den beiden Ebenen
tragen die Doppelmandatsträger bei, die sowohl im Kreistag als auch im Rat ihrer
Herkunftgemeinde ein Mandat innehaben und insgesamt etwas mehr als ein Drittel aller
befragten Kreistagsmitglieder stellen.
Die Mittelstellung des Kreises im Verwaltungsaufbau des Landes führt zu einer
Überlagerung verschiedenster Einflüsse auf die Kreispolitik. Wie auf der
Gemeindeebene haben zunächst die Akteure des engeren, durch die Kreisordnung
definierten Entscheidungssystems (Hauptverwaltungsbeamter, Ausschüsse usw.) den
größten Einfluß. Daneben sind jedoch auch Akteure des weiteren
Entscheidungssystems (Bürgerinitiativen, Verbände usw.) sowie andere politische
Ebenen bzw. Verwaltungsebenen (Land, Bund usw.) einflußreich. Die Stärke dieser
Einflüsse variiert allerdings mit der Bedeutung der verschiedenen Kreisaufgaben. Je nach
Aufgabenbereich können unterschiedliche einflußreiche Akteure identifiziert
werden. Insofern ist für die Kreisebene von einem vielschichtigen und nach
Aufgabenbereichen strukturierten Entscheidungssystem auszugehen.
Der besonders große Einfluß des Hauptverwaltungsbeamten auf die
Kommunalpolitik in den Kreisen steht aus Sicht der Kreistagsmitglieder in engem
Zusammenhang mit seiner Funktion als untere staatliche Verwaltungsbehörde. Je
größer die Bedeutung der staatlichen Aufgaben von den Befragten
eingeschätzt wurde, desto eher wurde auch ein größerer Einfluß des
Oberkreisdirektors bzw. des hauptamtlichen Landrats wahrgenommen. Der große
Einfluß des Kreisausschusses steht dagegen kaum in Beziehung zu seiner Mitwirkung an
Entscheidungen des Hauptverwaltungsbeamten in seiner Funktion als untere staatliche
Verwaltungsbehörde, da diese Mitwirkung quantitativ viel zu selten zum Tragen kommt.
Die besondere Stellung des Kreisausschusses ergibt sich vielmehr aus seiner Vorbereitungs-
und Entlastungsfunktion gegenüber dem Kreistag einerseits und seiner Besetzung durch
einflußreiche Kreistagsmitglieder andererseits.
Auch den Kreistagsfraktionen wurde von den Befragten ein großer Einfluß auf die
Kommunalpolitik zugesprochen. Hintergrund dafür ist die ausgesprochen starke
Parteipolitisierung der Kreisebene im Vergleich zur Gemeindeebene. Die großen
Differenzen zwischen den politischen Parteien, die auf der Kreisebene in ländlichen und
städtischen Regionen gleichermaßen vorliegen, resultieren allerdings weniger aus
programmatischen Unterschieden. Die starke Stellung der Parteien beruht vielmehr auf der
Vermittlungs- und Integrationsfunktion der Parteien, die im großen, wenig
überschaubaren und aufgrund seiner Stellung als Gemeindeverband heterogenen Kreis
eine herausragende Bedeutung hat. Daß die Parteipolitisierung in den ländlichen
Kreisen nach außen weniger stark zutage tritt, liegt an der Überlagerung durch die
besondere Machtstellung des Hauptverwaltungsbeamten, die in ländlichen Kreisen um
einiges stärker ausgeprägt ist als in städtischen Kreisen.
Die Parteipolitisierung und der damit einhergehende große Gegensatz zwischen den
Mehrheitsfraktionen und Minderheitsfraktionen in den Kreistagen bestimmt im wesentlichen
auch die Einschätzung der Bedingungen der Gremienarbeit durch die
Kreistagsmitglieder. Lediglich hinsichtlich besonders großer und besonders geringer
Erschwernisse der Kreistagsarbeit besteht Einhelligkeit. Als besonders belastend wird der
Informationsvorsprung der Verwaltung, die unzulängliche eigene Finanzausstattung der
Kreise sowie die geringe Entscheidungsautonomie durch staatliche Vorgaben empfunden.
Keine oder nur geringfügige Belastungen stellen dagegen die soziale Zusammensetzung
der Kreistage, die Organisation der Gremienarbeit und die ehrenamtliche Tätigkeit der
Kreistagsmitglieder dar.
Da sich die kommunale sowie die staatliche Verwaltung in Nordrhein-Westfalen zum
Zeitpunkt der schriftlichen Befragung in einer Umbruchsituation befand, wird auch der Stand
der Verwaltungsreformen aus Sicht der Kreistagsmitglieder in der Untersuchung behandelt. Die
Abschaffung der Doppelspitze aus ehrenamtlichem Landrat und Oberkreisdirektor durch die
Einführung des hauptamtlichen Landrats wurde von den Befragten insgesamt eher negativ
bewertet, was im wesentlichen auf die weitere Schwächung der
Vertretungskörperschaft auf der Kreisebene gegenüber der hauptamtlichen
Verwaltung zurückzuführen ist. Zu berücksichtigen sind dabei allerdings
unterschiedliche Erwartungshaltungen der Mehrheits- und Minderheitsfraktionen in den
Kreistagen, die in gleicher Weise beim etwas positiveren Urteil über die
Einführung direktdemokratischer Elemente in die Kreisordnung (Bürgerbegehren,
Bürgerentscheid) zum Tragen kommen. In beiden Fällen war die
Einschätzung davon beeinflußt, welche Vorteile die Reformmaßnahmen aus
Sicht der Befragten zur Erhaltung oder Durchbrechung der politischen
Mehrheitsverhältnisse bietet.
Daneben setzten sich die Kreistagsmitglieder zum Zeitpunkt der Befragung offensichtlich
intensiv mit der Verwaltungsmodernisierung allgemein und mit der Verwaltungsstrukturreform
im Land im besonderen auseinander. Bei der Modernisierung der eigenen Verwaltung kann
gezeigt werden, daß die Befragten sich zwar ein effizienteres und
bürgerorientiertes Verwaltungshandeln wünschen, die eigene Bereitschaft zur
Unterstützung der Modernisierungsmaßnahmen (etwa durch Rückzug der
Politik auf »strategische Entscheidungen«) allerdings schwächer
ausgeprägt ist. Die Diskussion um die Verwaltungsstrukturreform schlug sich bei der
Untersuchung nicht nur in der allgemeinen Forderung nach einer stärkeren
Aufgabendelegation von oben nach unten, insbesondere bei der Sozialhilfe nieder. Wie
anfänglich auf der Landesebene diskutiert, forderte eine ganze Reihe von
Kreistagsmitgliedern vielmehr auch eine Abschaffung der Landschaftsverbände. Trotz der
Umbruchsituation in der eigenen Verwaltung wie in der Verwaltung des Landes sieht die
Mehrheit der Befragten der Zukunft der kommunalen Selbstverwaltung auf der Kreisebene
optimistisch entgegen.
Beteiligte Wissenschaftler:
Veröffentlichungen: |
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Hans-Joachim Peter