Am Beispiel Mailands, seiner Nachbarstädte sowie der zugehörigen Landgebiete
wird die Ausweitung pragmatischer Schriftlichkeit in den italienischen Stadtkommunen und
ihren Territorien exemplarisch erforscht. Im Vordergrund steht die rasante Verschriftlichung der
Lebensvollzüge im Bereich der kommunalen und territorialen Administration, der
Rechtsnormierung und des Prozeßwesens, aber auch des inneren Lebens kirchlicher
Institutionen. Zugleich wird der gesellschafts- und bildungsgeschichtliche Hintergrund der
Entwicklung untersucht und gefragt, welche Personengruppen und -kreise Prozesse der
Verschriftlichung vorangetrieben haben und in welchem Maße unterschiedliche
Lebensbereiche davon erfaßt wurden. Dabei werden auch die Wirkungen auf die
Wahrnehmung der eigenen Geschichte und Gegenwart, d.h. die Reflexe der Entwicklung im
Welt- und Selbstverständnis der Zeitgenossen beobachtet. Schwerpunkte der Arbeit im
Berichtszeitraum bildeten Untersuchungen über die Träger des
Verschriftlichungsprozesses sowie über die Formen der Verschriftlichung und die
Strukturen der Überlieferung. Die Studien über die Rolle der Schrift im
Gerichtswesen wurden fortgesetzt mit Untersuchungen des Wandels der
Kommunikationsstruktur während des Verfahrens und seine Auswirkung auf die
Akzeptanz der Entscheidungen. Die Analyse der Bologneser 'Artes notariae' gewährte
neue Einsichten in die theoretische Reflexion über die Produktion der im
Gerichtsprozeß anfallenden Schriftstücke. Eine exemplarische Studie stellt
Zusammenhänge zwischen der Institutionalisierung städtischer Administration und
dem Übergang zur schriftgestützten Lenkung der Kommune heraus, die eine neue
Funktion der Öffentlichkeit begründeten. Das Beispiel Genuas gestattet, die
Nutzung kommunaler Archive durch die Geschichtsschreiber zu untersuchen und die
städtische Aufbewahrungspraxis in eine vergleichende Perspektive mit Lübeck zu
stellen. Diesen Vergleich vertiefte eine Analyse des Verhältnisses der Notare zur
Schriftkultur in italienischen und deutschen Städten. Das politische Umfeld der
kommunalen Entwicklung wurde exemplarisch in den Blick genommen durch Untersuchungen
über die religiösen Konflikte in der Lombardei und der Toskana während der
frühkommunalen Phase und über die Stellung Mailands während der
Auseinandersetzung mit Friedrich II. Den pragmatischen Einsatz historiographischer
Texte in den Auseinandersetzungen der entstehenden Kommunen haben Studien über den
Einsatz von Wunderepisoden und das Umschreiben der sogenannten 'Historia Mediolanensis
Landulfi senioris' herausgearbeitet. Die Ergebnisse zum Schriftgebrauch innerhalb des
städtischen Gemeinwesens flankieren Untersuchungen kirchlicher Institutionen, die zum
einen liturgische Bücher und geschäftliche Aufzeichnungen des Mailänder
Stadtklerus, zum anderen das Archiv der Zisterzienserabtei Chiaravalle Milanese zum
Gegenstand haben. Die Studien des Einsatzes schriftlicher Aufzeichnungen im Dienste der
Inquisition und der kaufmännischen Buchführung wurden in exemplarischen
Einzelanalysen fortgeführt. Projektleiter und Mitarbeiter haben durch eigene Forschungen
auch das weitere Umfeld der Untersuchungen im SFB-Projekt beleuchtet (s. Historisches
Seminar).