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Das Krameramtshaus im 19. und 20. Jahrhundert: Wechselnde Nutzungen und Provisorienvon Franz-Josef Jakobi
Auch
nach den einschneidenden Veränderungen, die die Zeit des Übergangs von
den alteuropäischen Staats- und Ständeordnungen zu den neuen
politischen, rechtlichen und sozialen Verhältnissen des 19.
Jahrhunderts mit sich gebracht hat, sind alte Traditionen und
Strukturen keineswegs schlagartig verschwunden. Vor allem die in den
krisenhaften Entwicklungen des 18. Jahrhunderts überlebensfähig
gebliebenen örtlichen Ausprägungen ganzheitlicher Lebensformen, wie es
die Gilden, Zünfte und Bruderschaften waren, wirkten bis tief ins 19.
Jahrhundert hinein weiter. Das galt in Münster besonders für die in
dieser Zeit bedeutendste der alteingesessenen Kaufleute-Gemeinschaften,
das Krameramt.
Dennoch muß man feststellen, daß die tiefgreifenden Wandlungsprozesse
der Zeit um 1800 alsbald auch für diesen Teil der gewachsenen
Strukturen in der Stadt wirksam wurden. Ein Symptom für das Ende einer
alten und den Beginn einer neuen Ära mit völlig gewandelten
Rahmenbedingungen für das Verhältnis der Münsterschen Kaufleute zu
ihrer Vaterstadt ist darin zu sehen, daß das Krameramtshaus nach 1810
nur noch kurze Zeit Heimstatt der Kaufmannschaft bleiben konnte.
Kaufmannschaft und Krameramtshaus nach der Zwangsauflösung des Krameramtes (1810-1842)Nach der Einbeziehung Münsters in das französische Staatsgebiet - bzw.
zunächst in das des französischen Satellitenstaates Großherzogtum Berg
hatte mit dem geltenden franzosischen Recht die alte fur die Stadt auch
in der Zeit der preußischen Besetzung weiter wirksame Gildeordnung ihre
Rechtsgrundlage verloren. Wie die anderen Gilden und Bruderschaften der
Handwerker und Gewerbetreibenden war auch das Krameramt mit der
entsprechenden Anordnung des Comte de Beugnot, des kaiserlichen
Kommissars im Großherzogtum Berg, vom 20. Februar 1810 aufgelöst
worden. Das Krameramtshaus gehörte zu den von der französischen
Besatzungsmacht beschlagnahmten Vermögenswerten und unterstand in der
Folgezeit der staatlichen Domänen-Administration, die daraus offenbar
durch Vermietung gewisse Einkünfte erzielte.
Die Preußen, die nach der Flucht der französischen Soldaten und Beamten
im Spätherbst 1812 das von ihnen schon 1802 okkupierte und bis 1806
verwaltete Fürstbistum sowie seine Hauptstadt wieder in Besitz genommen
hatten, ließen in ihren neuen Westprovinzen nach 1815 die von den
Franzosen etablierte Rechts- und Verwaltungsorganisation in Kraft. Für
Münster hieß das, daß die Auflösung der "Ämter" nicht revidiert wurde;
das beschlagnahmte Vermögen, vor allem die Amtshäuser, ging auf die
preußische Provinzialverwaltung über. Die alte Kramergilde hatte somit
seit dem 20. Februar 1810 definitiv aufgehört zu bestehen.
Auch wenn auf diese Weise die rechtliche Körperschaft 'Krameramt' nicht
mehr existierte, so bestand doch der soziale Körper zunächst weiter,
der ihre Existenz in der Stadt faktisch ausgemacht hatte, nämlich die
Gemeinschaft der Krameramtsverwandten. Fortbestand hatte vor allem der
Anspruch jedes einzelnen Mitglieds der Gilde - es waren nach Ausweis
der Auflistung von 1823 im Jahre 1810 142 an der Zahl - am
Gemeinschaftsvermögen des Krameramts, d. h. im wesentlichen am
Krameramtshaus. Die Geschicke des Hauses blieben also auch nach der
Auflösung der Gilde bis auf weiteres noch mit denen der Kaufmannschaft
verbunden.
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Eine der ältesten Aufnahmen vom Krameramtshausgiebel. Sie entstand
zwischen 1879 und 1896. Ausgewaschene BAcksteinfugen und verwitterte
Zierformen an den Werksteinteilen machen die Dringlichkeit der
Restaurierung deutlich (Westfälisches Amt für Denkmalpflege,
Alpers/Hannover)
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Nach der Konsolidierung der Verhältnisse in der neuen preußischen
Provinz Westfalen seit 1815/16 - seit in Münster die preußischen
Verwaltungsbehörden ihre kontinuierliche Arbeit aufgenommen hatten -
traten die ehemaligen Krameramtsgenossen denn auch ein letztes Mal in
Aktion: im Sommer 1818 wandten sie sich an die neue Königlich
Preußische Regierung in Münster mit der Bitte um Rückgabe des
Krameramtshauses und der Verwaltung ihres Vermögens, das jetzt noch
einmal nach Soll und Haben beziffert wurde. Unmittelbar vorausgegangen
war offenbar die Einbeziehung der Verwaltung des Krameramtshauses in
die geordnete Amtsführung der preußischen Bezirksregierung, denn in
diesem Jahre schloß der Domänenrentmeister A. Geisberg mit der gerade
gegründeten Musikalischen Gesellschaft, der Vorläuferin des
Musikvereins, einen Mietvertrag für die Nutzung des Erdgeschosses mit
großem Saal und Steinwerk.Dieses Mietverhältnis blieb bestehen, bis es zum 1. März 1824 von den
Besitzern des Hauses gekündigt wurde. Eine erste, fast sechsjährige
Wirkphase des für das kulturelle Leben Münsters im 19. und
20.Jahrhunderts so bedeutsamen Musikvereins fand also im Krameramtshaus
statt. Das Haus spielte somit wie schon vor 1775, bevor das
Komödienhaus seiner Bestimmung übergeben wurde, kurzfristig wieder eine
Rolle im Theater- und Kulturleben der neuen Provinzialhauptstadt. Besitzer des Krameramtshauses, die neu über seine Nutzung verfügen
konnten, waren im Jahre 1823 wieder die früheren, nämlich die
Mitglieder des ehemaligen Krameramtes. Die Kündigung des Mietvertrages
mit der Musikalischen Gesellschaft, die am 30. August 1823 erfolgte,
gehörte zu den Vorbereitungen für den noch im gleichen Jahr
abgewickelten Verkauf des Hauses. Dieser Verkauf wurde möglich und
erforderlich sozusagen als letzte Rechtshandlung der
Krameramtsgenossen, nämlich zur Auflösung des Gemeinschaftsvermögens. Er stand im Zusammenhang mit der von der preußischen
Provinzialverwaltung und ihren nachgeordneten Dienststellen in einem
vielschichtigen Verfahren zu Ende gebrachten Liquidation der
Vermögensmasse der säkularisierten bzw. aufgelösten Institutionen und
Vereinigungen in den neuen Territorien. In Münster waren daran die
ehemaligen Gilden selbst, die Stadtverwaltung mit dem Dirigierenden
Bürgermeister Schweling an der Spitze, die Bezirksregierung und hier
besonders der Domänenrentmeister A. Geisberg sowie das Oberpräsidium
beteiligt. Die das ehemalige Krameramt betreffenden Vorgänge zogen sich
insgesamt über einen längeren Zeitraum hin; sie sind geeignet, im
Wechselspiel der handelnden Personen exemplarisch die Ablösung der
alten durch die neuen Strukturen zu dokumentieren. Der schon erwähnte Vorstoß der Krameramtsgenossen von 1818 blieb
zunächst ohne Erfolg. Es sollte noch ca. fünf Jahre dauern, bis das
Problem der Auflösung der 'Amter' auch vermögensrechtlich endgültig
abgewickelt war. Der komplexe Vorgang wurde für die neuen preußischen
Westprovinzen insgesamt durch eine Königliche Kabinettsordre vom 31.
Mai 1823 in Gang gesetzt. Darin wurde verfügt, daß "in den Provinzen
des ehemaligen Großherzogtums Berg das Vermögen der aufgehobenen Zünfte
den ehemaligen Mitgliedern derselben, unter der Verpflichtung, die
unbereinigten Zunft- und Gildeschulden daraus zu bezahlen, zur
Verfügung zurückgegeben werden soll. Es erfolgte daraufhin - veranlaßt durch eine Anweisung der Königlich
Preußischen Regierung in Münster an den Dirigierenden Bürgermeister
Schweling und durchgeführt durch die Stadtverwaltung - eine umfassende
Bestandsaufnahme aller die ehemaligen Gilden und
Handwerkerbruderschaften betreffenden Vermögensangelegenheiten, und
zwar bezogen auf das Jahr 1810. Für das Krameramt wie für alle anderen
Gilden wurde außerdem der Mitgliederbestand von 1810 aufgelistet; die
seither Verstorbenen wurden nachgewiesen. Die Außenstände und die
Schulden wurden bilanziert. Nach Möglichkeit führte man durch
Aufrechnungen und Ablösungen einen Ausgleich der Bilanzen herbei. Für
das Krameramt stand als erheblicher Positivposten der Besitz des
Amtshauses zur Disposition, nachdem auch für dieses Objekt mit Hilfe
der penibel gesammelten Belege der preußischen Verwaltung die seit 1810
entstandenen Ausgaben und Einnahmen aufgerechnet waren. Zu den Ausgaben
gehörten auch Reparaturmaßnahmen, die in den Jahren 1821/22
durchgeführt wurden, u. a. die Erneuerung der Fenster. Das Haus selbst war, wie aus dieser Überlieferung und aus anderen
Quellen hervorgeht, in der Zwischenzeit neben der schon erwähnten
Vermietung an den Musikverein so weiter genutzt worden, wie das auch
schon in früheren Epochen der Fall gewesen war: es bildete als
repräsentatives Gebäude im Stadtzentrum mit dafür bestens geeigneten
Einrichtungen den Rahmen für die großen Festlichkeiten verschiedenster
bürgerschaftlicher Vereinigungen und Gemeinschaften, angefangen bei der
Großen Schützenbruderschaft über verschiedene, 'Straßen-Peter' genannte
Nachbarschafts-Bruderschaften, die Catharinen- und
Johannis-Bruderschaft bis hin zum vornehmen Zwei-Löwen-Club bzw. seinem
Vorgänger, der Schützenwäller-Gesellschaft. Ein besonders anschauliches
Bild von dieser Art altmünsterschen Gesellschaftslebens vermittelt die
Beschreibung des großen, von etwa 300 Personen besuchten
Fastnachtsballes des Zwei-Löwen-Clubs vom 20. Februar 1820. Diese Tradition der funktionalen Nutzung des Gebäudes als Zentrum
geselligen und gesellschaftlichen Lebens der Bürgerschaft setzte sich
also über die radikalen Veränderungen der beiden ersten Jahrzehnte des
19. Jahrhunderts hinweg weiter fort und hatte noch bis in die 1830er
Jahre hinein Bestand. Die sehr viel weiter zurückreichende Tradition der Kramergilde dagegen
erlosch - wie schon erwähnt - endgültig im Jahre 1823. Auf einer
letzten Versammlung der ehemaligen Amtsverwandten am 12. Juni dieses
Jahres wurden drei Deputierte bestimmt, die beauftragt und
bevollmächtigt waren, das Haus zu verkaufen. Nach zunächst vergeblichen
Bemühungen, einen höheren Preis zu erzielen, wurde das Gebäude bis auf
wenige Inventarstücke schließlich am 12. April 1824 an ein Konsortium
von vier Privatpersonen, bestehend aus den Kaufleuten Johannes
Hassenkamp, Clemens August Brockmann und Ignaz Hüger sowie dem
Buchhändler Johann Hermann Hüffer, zu einem Kaufpreis von 4.800 Talern
veräußert.
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| Das Haus blieb danach in Privatbesitz bis zum Jahr 1842. Allerdings
wurden die Besitzanteile anscheinend schon bald breiter gestreut durch
die Ausgabe von Anteilsscheinen im Wert von 100 Talern. Es bildete sich
so eine Art frühe Aktien-Gesellschaft aus schließlich annähernd 50
‘Konsorten’. Genutzt wurden während dieser Zeit Keller und Dachboden
als vermietete Lagerräume, unter anderem durch den Miterwerber Johann
Hermann Hüffer. Das Erdgeschoß mit dem Gildesaal und dem Steinwerk
stand weiterhin regelmäßig den oben angesprochenen gesellschaftlichen
Veranstaltungen zur Verfügung.
Während so die traditionelle und exklusive Gemeinschaft der
Krameramtsgenossen mit diesem letztmaligen gemeinsamen Handeln aus der
Geschichte Münsters verschwand, traten gleichzeitig die in der Stadt in
Handel und Gewerbe Tätigen bereits in einer neuen, den gewandelten
politischen und wirtschaftlichen Gegebenheiten besser angepaßten
Organisationsform auf den Plan: in Gestalt des Vereins der
Kaufmannschaft zu Münster von 1835. Um die Gründung dieses Vereins
hatte sich seit den frühen 1820er Jahren unter anderem auch einer der
Käufer des Krameramtshauses intensiv bemüht, eben der schon genannte
Verlagsbuchhändler Johann Hermann Hüffer. Nach langem und zähem Ringen
mit den preußischen Behörden um die Genehmigung eines Vereinsstatuts
konnte der neue Zusammenschluß allerdings erst im Oktober 1835 seine
öffentliche Tätigkeit aufnehmen. Als Vereinszweck wurde in der Satzung,
die in der vom preußischen König Friedrich Wilhelm III. genehmigten
Fassung im Amtsblatt. der Königlichen Regierung zu Münster am 10.
Oktober 1835 verkündigt wurde, „die Beförderung des Interesses des
Handels im allgemeinen und der Kaufmannschaft der Stadt Münster
insbesondere” angegeben.’
| Johann Hermann Hüffer, 1784-1855; Oberbürgermeister 1842-1848,
Mitbegründer des Vereins der Kaufmannschaft von 1835 (Stadtarchiv
Münster, Porträtsammlung) |
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Im Gegensatz zu der nach der alten Gildeordnung streng reglementierten
Aufnahme in das Krameramt und der damit verbundenen Zulassung zum
Gewerbe konnte nunmehr, im Zuge der Gewerbefreiheit, „jeder in Münster
wohnende Handeltreibende, ohne Rücksicht auf Religion und Geschlecht,
sowie wer Disponent einer Handlung ist”, Mitglied werden. Der Vorstand
hatte satzungsgemäß aus „1. einem Banquier, 2. einem
Materialwarenhändler, 3. einem Weinhändler, 4. einem Ellenwarenhändler
und 5. drei Mitgliedern, deren Wahl an keinen besonderen Geschäftszweig
gebunden ist” zu bestehen. Der Verein hatte 152 Gründungsmitglieder.
Als Versammlungslokal diente das Krameramtshaus. Das Recht, den
Kaminsaal zu Vorstandssitzungen und zu wichtigen Terminen zu nutzen,
besteht im übrigen bis heute. Diese Reminiszenz an die alte
Gildetradition sollte allerdings schon bald die einzige sein, durch die
das Gebäude mit der gesellschaftlichen und ökonomischen Gruppierung in
der Stadt, der sie jahrhundertelang als Heimstatt gedient hatte,
unmittelbar verbunden blieb. Im Jahre 1842 ging das Haus in den bis
heute nicht unterbrochenen Besitz der Stadt Münster über.
Das Krameramtshaus als städtisches Gebäude (1842-1989)Als die Stadt Münster am 23. Dezember 1842 den Kaufvertrag mit
‚,Hassenkamp und Konsorten”, d. h. mit den Anteilseignern des
Krameramtshauses bzw. deren Bevollmächtigen, schloß und das Gebäude für
6.000 Taler erwarb, begann die gegenwärtig noch andauernde Phase in der
Geschichte des Hauses, in der es für wechselnde öffentliche Aufgaben
genutzt bzw. zur Verfügung gestellt wurde. Insgesamt fünfmal erforderte
das unter anderem auch erhebliche bauliche Veränderungen im Inneren.
Die jeweils ganz unterschiedlichen Zweckbestimmungen - einschließlich
der Nutzung als Teilgebäude der Stadtbücherei - sollten sich nach mehr
oder weniger kurzer Zeitspanne als unbefriedigende Provisorien
erweisen, die auf Dauer weder den jeweiligen Nutzungsbedürfnissen noch
der Tradition und Bedeutung des Hauses in der Münsterschen
Stadtgeschichte gerecht zu werden vermochten.
Nutzung als Pfandleihanstalt (1842-1873)
Ausschlaggebend für den Erwerb des großen Gebäudes und die Aufbringung
der nicht unerheblichen Kaufsumme durch den Magistrat der Stadt sowie
für die dazu erforderliche Genehmigung durch die
Stadtverordnetenversammlung und die Königliche Bezirksregierung war
wohl das Zusammentreffen zweier Faktoren: die Stadt brauchte für den
vorgesehenen Nutzungszweck dringend Räumlichkeiten in entsprechender
Größenordnung, und die vorgesehene Nutzung versprach einen erheblichen
Gewinn abzuwerfen. Erworben wurde das Haus nämlich, um darin die
städtische Pfandleihanstalt unterzubringen. Diese Institution war im
Jahre 1828 zusammen mit der städtischen Sparkasse gegründet worden ; in
ihr wurden die als Sicherheit für Kredite hinterlegten Sachgüter aller
Art aufbewahrt und verwaltet. Bereits wenige Jahre nach Eröffnung der
Anstalt im alten Stadtsekretariat, einem hinter dem heutigen
Rathauskomplex gelegenen Gebäude, war der dort verfügbare Raum völlig
überfüllt. Die steigende Inanspruchnahme dieser neuen von der Stadt
abgesicherten Finanzierungsmöglichkeit kann als Zeichen für die im
Rahmen der Gewerbefreiheit sich bietenden wirtschaftlichen Chancen
angesehen werden, für deren Nutzung auch denjenigen, die nicht über
hypothekarisch zu belastenden Grundbesitz verfügten, eine solide
Kreditfinanzierung offenstand. Die Stadt mußte also - wollte sie die
lukrative und für die Prosperität in den eigenen Mauern vorteilhafte
Entwicklung weiter fördern - nach einer funktionsgerechteren
Unterbringung der Pfandleihanstalt Ausschau halten. Schon seit 1831
wurden gutachtliche Stellungnahmen verfertigt und neue
Unterbringungsvorschläge diskutiert’. Schließlich war im November 1843
nach offenbar schwierigen Verhandlungen und Auseinandersetzungen mit
den ehemaligen Käufern des Krameramtshauses bzw. mit deren Erben und
den sonstigen Anteilseignern der Erwerb des Hauses unter Dach und Fach.
Die erforderlichen Umbaumaßnahmen, die zusätzlich zu der Kaufsumme noch
einmal 1.400 Taler erforderlich machten, konnten offenbar erst 1844
durchgeführt werden.
Das Unternehmen warf, wie die weitgehend erhalten Bilanzen ausweisen,
Jahr für Jahr steigende Gewinne ab, die unter anderem auch den Beschluß
zu weiteren Restaurierungsmaßnahmen erleichtert haben dürften. Einziger
konkreter Hinweis darauf ist allerdings lediglich die Jahreszahl 1865
am Giebel des Hauses, die auf entsprechende Arbeiten hindeutet.
Wenn die neue Nutzung des altehrwürdigen Gebäudes auch Gewinn abwarf
und im Zuge des wirtschaftlichen Aufschwungs seit der Mitte des 19.
Jahrhunderts positiv erscheinen mochte, auf den Erhaltungszustand vor
allem des wertvollen Interieurs wirkte sich der Leihhaus-Betrieb
offenbar keineswegs vorteilhaft aus. Als die städtische
Pfandleihanstalt 1872 aufgelöst und das Krameramtshaus geräumt wurde,
waren nicht nur für die auch dann bereits wieder vorgesehene neue
Nutzung erneut Umbauarbeiten, sondern auch eine Gesamtrenovierung
erforderlich.
Domizil des Westfälischen Provinzialvereins für Wissenschaft und Kunst (1873-1908)Im Gründerzeit-Boom der frühen 1870er Jahre, nach dem Sieg der
preußischen Armeen und den gigantischen französischen
Kriegsentschädigungen, die auch in Münster zu erheblich anwachsenden
Kommunalausgaben führten, war die Form der dinglichen Sicherung von
Krediten durch Pfänder wohl nicht mehr zeitgemäß. Das Krameramtshaus
wurde frei für eine neue Verwendung, und nunmehr brachten sich die
Stimmen zur Geltung, die schon seit längerem eine angemessene
Unterbringung für die seit Gründung des Vereins für Geschichte und
Altertumskunde Westfalens im Jahre 1829 und des Westfälischen
Kunstvereins im Jahre 1831 gesammelten Kunstwerke und Sachzeugnisse für
die Geschichte Münsters und des Münsterlandes sowie für die in den
Bibliotheken beider Vereine angewachsenen Buchbestände forderten. Vor
allem der Kunstverein, der darüber hinaus auch noch geeignete Räume für
die von ihm initiierten und betreuten kunstpädagogischen Aktivitäten
suchte, hatte im Zusammenhang mit der Auflösung der Pfandleihanstalt
neben der generellen Forderung nach Einrichtung eines Landesmuseums
nach dem Beispiel anderer preußischer Provinzen als Zwischenlösung die
Anmietung des Krameramtshauses propagiert. Alle für die Errichtung des
Landesmuseums wirkenden Kräfte, nicht nur die in Münster, sondern auch
die in der gesamten Provinz, erhielten schließlich in dem 1872
gegründeten Westfälischen Provinzialverein für Wissenschaft und Kunst
eine gemeinsame und von offizieller Seite geförderte Dachorganisation.
Der Magistrat, der sich dem Begehren des Kunstvereins gegenüber noch
ablehnend verhalten und zunächst Möglichkeiten anderer Nutzungen für
das Gebäude geprüft hatte, kam nun zu einer anderen Haltung: noch im
Jahre 1872 wurde durch Magistrat und Stadtverordnetenversammlung eine
Kommission gebildet, die Vorschläge für die Vermietung des Hauses an
den neuen Verein sowie für die erforderlichen Umbaumaßnahmen erarbeiten
sollte. Der Mietvertrag zwischen der Stadt und dem Verein wurde am 27.
Oktober 1873 abgeschlossen. Es sollte auch diesmal wieder geraume Zeit
dauern, bis das Haus wirklich seiner neuen Bestimmung übergeben werden
konnte. Ende 1874 waren die für die Bedürfnisse des Provinzialvereins
notwendigen Umbaumaßnahmen beendet. Zu einer grundlegenden Renovierung,
vor allen Dingen der Vertäfelung des Steinwerks, wie sie gutachtlich
nachdrücklich gefordert worden war, konnte man sich angesichts der Höhe
der Kosten allerdings nicht entschließen. Aus demselben Grunde
scheiterte auch ein weiterer Vorstoß aus dem Jahre 1884. Erst 1895/96
ist es schließlich wenigstens zu einer Restaurierung des Giebels
gekommen, bei der beinahe alle Hausteine ausgetauscht worden sind.
Der Provinzialverein hatte durch die Anmietung des Krameramtshauses
erhebliche Kosten. Die Jahresmiete, die der Stadt zu entrichten war,
betrug 1.200 Mark, und für Reparaturen unter fünf Mark mußte er selbst
aufkommen. Dieses finanzielle Engagement ist durchaus als Zeichen dafür
zu werten, daß man in einer Stadt wie Münster während der
wilhelminischen Ära bereit war, für Kunst und Kultur einiges
aufzuwenden, und zwar nicht nur punktuell, sondern über einen längeren
Zeitraum hinweg. Daß sich das über mehr als dreißig Jahre hinziehen
würde, war allerdings 1872/73 nicht abzusehen. Es sollte nämlich noch
bis zum Jahre 1908 dauern, ehe das immer wieder geforderte Landesmuseum
endlich fertiggestellt und eine Beendigung des Provisoriums
Krameramtshaus ins Auge gefaßt werden konnte.
In der Zwischenzeit gewährte der Provinzialverein einer Reihe von
Untermietern Quartier, die einzelne Räume des Krameramtshauses im Sinne
des Vereinszwecks mitnutzen konnten. Nach der Kündigung des
Mietvertrages im Frühjahr 1907 führte der Vereinsvorsitzende Prof.
Niehues sie in einem Schreiben an die Stadt auf, in dem er sich dafür
verwendete, ihnen auch weiterhin Unterkunft zu gewähren; genannt sind
unter anderem ausdrücklich der Vaterländische Frauenverein mit
Vorstandssitzungen und Ausstellungen, die Kunstgenossenschaft mit
regelmäßigem Zeichenunterricht und eine private Malschule (Fräulein
Schöning). Einige der Mietverhältnisse, vor allem die mit der privaten
Malschule Schöning, wurde bis in die zwanziger Jahre hinein fortgesetzt.
Trotz des Gewinns, den die Vermietung des Hauses für die Stadt abwarf,
und trotz des durch die Mieter und Nutzer im Hause versammelten kunst-
und kulturgeschichtlichen Sachverstands, kam die über 30jährige Phase
der Vermietung des Krameramtshauses an den Provinzialverein dem
Erhaltungszustand des Gebäudes kaum zugute. Zwar wurde das eine oder
andere an notwendigen Großreparaturen ausgeführt, aber vor allem für
das wohl wertvollste Ausstattungsgut, die Holzvertäfelung des
Steinwerks, bestand akute Gefahr. Die Experten des Provinzialvereins
gingen schließlich davon aus, daß eine Erhaltung vor Ort - vor allen
Dingen auch angesichts der vorgesehenen Nachnutzung als Büchereigebäude
- nicht gewährleistet sei und nahmen die Vertäfelung bei der
Verlagerung der Sammlungen des Provinzialvereins in das Landesmuseum
gleich mit. Uber die Frage, wie mit der Vertäfelung an ihrem
ursprünglichen Platz weiter zu verfahren sei, entspann sich daraufhin
eine heftige, zum Teil öffentlich geführte Auseinandersetzung. Es
sollte bis zum Jahre 1913 dauern, ehe die Vertäfelung, und zwar dann in
hervorragend restaurierter Form, an ihrem Platz wieder hergestellt war.
Die Stadt hatte diesmal die erheblichen Gesamtkosten von über 4.500
Mark nicht gescheut, die erforderlich waren, um die uns heute grotesk
anmutende Minderung des Gesamtkunstwerks Krameramtshaus durch den
endgültigen Ausbau der Holzvertäfelung zu verhindern.
Nutzung als Büchereigebäude bis zum Ende des Zweiten Weltkriegs (1909-1945) Als der Provinzialverein nach Fertigstellung des neuen Landesmuseums
mit Schreiben an den Magistrat der Stadt vom 22. April 1907 den
Mietvertrag für das Krameramtshaus zum 1. Mai 1908 kündigte, stellte
sich wie schon 1872 für die Stadt wiederum das Problem der sinnvollen
Nutzung des Gebäudes. Auch in diesem Falle war sofort ein gewichtiger
Interessent zur Stelle, für den die Möglichkeit wie gerufen kam, seine
Raumbedürfnisse befriedigen zu können, und der die Stadtverwaltung der
Suche nach einem adäquaten Nutzungskonzept enthob. Es handelte sich um
den 1906 gegründeten Katholischen Bücher- und Lesehallenverein, einen
stadtweiten Zusammenschluß der verschiedenen vom Borromäusverein
getragenen Pfarrbüchereien. Der Vorsitzende, der Historiker und
Universitätsprofessor Dr. Josef Otto Plaßmann, wandte sich noch im
Jahre 1908 an den Magistrat der Stadt mit dem Gesuch, das
Krameramtshaus nach Freiwerden für die Zwecke des Lesehallenvereins und
damit der ‘Volksbildung’ im Sinne der katholischen
Volksbildungsbewegung zur Verfügung zu stellen. Der Magistrat, der
darin eine sinnvolle Fortsetzung der kulturellen Nutzung durch den
Provinzialverein sehen mochte - zumal ja die schon erwähnten
Mitnutzungen weiterhin bestehen bleiben konnten -, ging auf den
Vorschlag bereitwillig ein. Ende März 1909 wurde bereits ein
diesbezüglicher Beschluß der Stadtverordnetenversammlung gefaßt und im
Mai konnte der Vertrag abgeschlossen werden. Der Verein zog mit seinen
Buchbeständen, die bislang in der Martinischule provisorisch
untergebracht gewesen waren, in das Erdgeschoß des Krameramtshauses
ein. Der Gildesaal und der seiner Vertäfelung beraubte Kaminsaal wurden
als Büchermagazin und Leseraum intensiv genutzt. Der nach dem Ausbau
der Vertäfelung notdürftig für den neuen Zweck hergerichtete Kaminsaal
wurde dem Verein allerdings zu dessen Kummer im Zuge der Restaurierung
von 1912/13 als Magazinraum wieder entzogen. Er mußte in der
restaurierten Form den repräsentativen Zwecken der das Gebäude
mitnutzenden Vereine, unter anderem auch des Vereins der Kaufmannschaft
und des Altertumsvereins, verfügbar gehalten werden und konnte nur als
Lesesaal mitgenutzt werden.
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| Eingang des Krameramtshauses als Lesehalle, vor 1933 (Stadtarchiv Münster, Bildarchiv Werbe- und Verkehrsamt) |
Volksbildung durch Lesen, das war ein weithin anerkanntes Anliegen, vor
allem auch bei den katholischen Bevölkerungsteilen Preußens zu Anfang
des 20. Jahrhunderts. Es ist aber dennoch bemerkenswert, daß der
Magistrat der Stadt nicht nur auf Mieteinnahmen gänzlich verzichtete -
der lediglich symbolisch gemeinte Mietpreis betrug 1 Mark jährlich -,
sondern dem Lesehallenverein sogar einen jährlichen Zuschuß für die
Deckung seiner Kosten zahlte. Nachdem die Stadt zuvor mit der
Vermietung des Krameramtshauses an den Provinzialverein - er darf
durchaus als Interessenvertretung der besitz- und bildungsbürgerlichen
Oberschicht der Gesellschaft betrachtet werden - erhebliche Einnahmen
erzielt hatte, trat sie nunmehr für die Förderung der Interessen der
bildungshungrigen Unterschichten ein, der Gesellschaftsschichten, die
in der Klassengesellschaft des wilhelminischen Deutschland
benachteiligt, andererseits aber von intensiven
Emanzipationsbestrebungen erfüllt waren. Sicher ist darin auch ein
Indiz für den sich anbahnenden politisch-sozialen Umwälzungsprozeß zu
sehen, der in den revolutionären Ereignissen von 1918/19 seinen
Abschluß fand. Der Bücherei- und Lesehallenbetrieb konnte unter diesen
Konditionen eine kontinuierliche Ausweitung verzeichnen. Die
Benutzerzahlen und die Buchanschaffungen nahmen rapide zu, so daß schon
bald Raumprobleme auftraten und Erweiterungspläne nach sich zogen’.
Kurzfristige Unterbringung der Reichsbankstelle MünsterDiese Erweiterungspläne des Lesehallenvereins konnten zunächst jedoch
nicht zum Tragen kommen, denn im Jahre 1923 trat unvermittelt eine fast
zweijährige Unterbrechung der Nutzung des Krameramtshauses als
Büchereigebäude ein. Die Reichsbank suchte für ihre im Zuge der
Inflationswirren ausgeweitete Geschäftstätigkeit vor Ort ein geeignetes
Gebäude. Man verfiel auf das Krameramtshaus vor allem auch deswegen,
weil der Verein die in der Inflationszeit astronomische Höhen
erreichenden Betriebskosten nicht mehr aufwenden und die Stadt die
Zuschüsse nicht mehr zahlen konnte. Nachdem sich Prof. Plaßmann als
Vorsitzender des Lesehallenvereins mit dem Ausweichquartier für die
Bücherei sowie für den Leih- und Lesebetrieb, dem Gebäude der
ehemaligen Servatii-Mädchenschule, einverstanden erklärt hatte, wurde
am 5. Dezember 1923 der Mietvertrag mit der Reichsbank abgeschlossen.
Der Mietpreis betrug 3.000 Goldmark jährlich, jeweils in Monatsraten zu
zahlen und auf den entsprechenden Papiergeldwert umzurechen. Die
Motivation der Stadt für den Vorzug des potenten Mieters gegenüber dem
Zuschußbetrieb Lesehalle in Zeiten der Not liegt auf der Hand.
Die Episode, über die sich keine weiteren Informationen in den
städtischen Akten erhalten haben, währte nur kurze Zeit. Laut dem
städtischen Verwaltungsbericht kehrte die Bücherei schon im Jahre 1925
wieder in das Krameramtshaus zurück. Ob gelegentlich der Neuvermietung
des Gebäudes an die Reichsbank die Nutzung des Obergeschosses durch
private Mieter und die Vermietung der Kellerräume beendet wurde und ob
für die Bücherei bei ihrer Rückkehr die erforderliche räumliche
Ausweitung auf das gesamte Gebäude vorgenommen wurde, läßt sich nicht
mehr feststellen. Jedenfalls ist von Fremdnutzungen später nicht mehr
die Rede.
Die Jahre 1933 bis 1935 brachten für den Büchereibetrieb im
Krameramtshaus eine Veränderung der Rechtsform mit sich: sie wurde im
Zuge der ‘Gleichschaltung’ des öffentlichen Lebens in eine ‘städtische
Volksbücherei’ umgewandelt. Uber die Einzelheiten sind wir nur
unzureichend unterrichtet, doch hat sich diese Statusänderung offenbar
keineswegs negativ auf die Entwicklung der Buchbestände und des
Leihverkehrs ausgewirkt. Schon bald scheint nämlich ein umfangreiches
Ausbau- und Restaurierungskonzept in Angriff genommen worden zu sein,
das die Einbeziehung des Nachbargebäudes Alter Steinweg Nr. 6 in die
Bibliothek und die Errichtung eines Anbaus an der Nordwestecke der
beiden Gebäude vorsah. Für die Maßnahme war immerhin die erkleckliche
Gesamtsumme von 80.000 Reichsmark bereitgestellt. Alle diese Vorhaben,
die im Jahre 1938 bereits bis zur Einrüstung des Nordgiebels gediehen
waren, kamen jedoch nicht mehr zur Ausführung; sie fielen den
Kriegsvorbereitungen und den im Zusammenhang damit verfügten
Einsparungen in den öffentlichen Haushalten zum Opfer.
| Bevor es soweit gekommen war, bot ein besonderes Jubiläumsereignis
Anlaß, das Krameramtshaus nicht als Büchereigebäude, sondern in seiner
ursprünglichen Zweckbestimmung, als Heimstatt der münsterschen
Kaufleute, in den Mittelpunkt öffentlicher Aufmerksamkeit zu rücken:
gemeint ist das 100-Jahre-Jubiläum des Vereins der Kaufmannschaft zu
Münster, das am 21. Oktober 1935 festlich begangen wurde. Ein Festakt
im Rathaus, eine Begehung des Krameramtshauses durch die Festgäste und
ein Festmahl bildeten die Veranstaltungsfolge. Der Vereinsvorsitzende
Hölscher stellte in seiner Festrede die Kaufmannstradition in Münster
und das jahrhundertelang enge Zusammenwirken zwischen den Kaufleuten,
dem Rat und der Verwaltung der Stadt in den Mittelpunkt seiner
Ausführungen, während von den Parteigrößen mit dem
Regierungspräsidenten Klemm und dem Oberbürgermeister Hillebrand an der
Spitze Propagandareden über die Wirtschaftsorganisation im Führerstaat
gehalten wurden. Der Verein der Kaufmannschaft, der sich bis dato dem
Gleichschaltungsdruck erfolgreich widersetzt hatte, entzog sich solchen
und weiteren Instrumentalisierungsbemühungen, indem er seine
öffentliche Tätigkeit bis zum Kriegsende weitgehend einstellte.
Während der Kriegsjahre ist das Krameramtshaus - wenn auch in der
Statik insgesamt schwer erschüttert - im Gegensatz zu fast allen
Innenstadt-Gebäuden äußerlich unversehrt stehen geblieben. Sogar der
Büchereibetrieb konnte mit starken Einschränkungen und nach Auslagerung
eines großen Teils der Bestände fortgeführt werden. Ausgelagert wurde
schon 1942 zusammen mit dem sonstigen wertvollen Kunstbesitz der Stadt
die Vertäfelung des Kaminsaals, die in Schloß Wöbbel in Lippe den Krieg
zwar stark restaurierungsbedürftig, aber ohne wesentlichen
Substanzverlust überstanden hat.
| Das Krameramtshaus vor dem Zweiten Weltkrieg (Stadtarchiv Münster, Bildarchiv Werbe- und Verkehrsamt) |
Nachkriegszeit und neue Konzeption nach dem Wiederaufbau: Städtisches KulturzentrumObwohl das Krameramtshaus die Schrecknisse des Bombenkrieges äußerlich
unbeschädigt überstanden hatte, sollte es nach Kriegsende noch fast
genau sechs Jahre dauern, ehe es wieder seiner alten Bestimmung
übergeben werden konnte. Das städtische Baupflegeamt hielt das durch
die Bombeneinschläge in unmittelbarer Nähe bis in die Fundamente
erschütterte Gebäude für zu stark einsturzgefährdet, als daß man
Büchermagazine sowie Lesesäle und Ausleihe darin hätte wieder eröffnen
können. Die Stadtbücherei mußte in das alte Clemenshospital ausweichen.
Blick vom Turm der Lambertikirche auf das Krameramtshaus nach den
Zerstörungen des Bombenkrieges (Stadtarchiv Münster, Bildarchiv Werbe-
und Verkehrsamt)
Ein weiteres Provisorium als Zwischenspiel: Notkirche der St. Lamberti-PfarreNicht zu gefährlich erschien es demgegenüber das Erdgeschoß des
Krameramtshauses der benachbarten Lamberti-Pfarre, deren Kirche so
stark beschädigt war, daß sie nicht benutzt werden durfte, als
Notkirche zur Verfügung zu stellen. Nach Genehmigung durch die
Stadtverwaltung wurde der alte Gildesaal notdürftig gesichert und durch
improvisierte Zurüstungen als Kirchenraum hergerichtet. Er diente
diesem Zweck vom März 1946 bis zur Wiedereröffnung der Lamberti-Kirche
im Oktober 1949.
Parallel dazu wurden seit 1948/49 bereits Konzepte und Pläne für eine
grundlegende Sanierung des Gebäudes aus dem einzig übriggebliebenen
Zeugen bürgerlicher Profanbaukunst vergangener Jahrhunderte in Münster
entwickelt. Sie entstanden im Zusammenhang mit einer neuen
städtebaulichen Gesamtlösung für die wichtige Stadtraumsituation Alter
Steinweg/Ecke Kirchherrngasse. In sie einbezogen war vor allem das dem
Krameramsthaus benachbarte Hausgrundstück Alter Steinweg 6, das völlig
in Trümmern lag. Dieses Haus sollte in einer Art und Weise wieder
aufgeführt werden, die in Baumaterial, Baustil und vor allem
Fassadengestaltung dem Krameramtshaus angepaßt und mit ihm zu einem
Gebäudekomplex zusammengefaßt war. Das war ohne Substanzverlust an
historischen Befunden für das Krameramtshaus möglich, da die Westseite
ja schon immer durch das Nachbarhaus zugebaut war. In den Jahren 1949
bis 1951 wurden Pläne, für die der Stadtbaurat Scharf verantwortlich
zeichnete, zusammen mit dem Bibliotheksleiter Dr. Thiekötter
realisiert. Die Planungen bezogen sich von Anfang an nicht nur auf die
baulich Lösung. Verbunden war damit zugleich ein umfassendes neues
Nutzungskonzept des entstehenden Doppelhauses. Dieses Nutzungskonzept
ging auf den städtischen Kulturdezernenten Wilhelm Vernekohl zurück und
sah vor, den neuen Gebäudekomplex Alter Steinweg 6/7 nicht nur
städtebaulich, sondern auch kulturpolitisch stark akzentuiert. Die
umfassende neue Zweckbestimmung als ‘städtisches Kulturzentrum’ wurde
der Öffentlichkeit vorgestellt, als Pfingsten 1951 ein großer
überregionaler Fachkongreß der deutschen Bibliothekare mit über tausend
Teilnehmern in Münster stattfand und bei dieser Gelegenheit die
Stadtbücherei in ihren neuen Räumlichkeiten festlich wiedereröffnet
werden konnte.
Das Vernekohl-Konzept, das Krameramtshaus “neben den Stätten zur Pflege
von Theater und Musik als dritte Säule des kulturellen Lebens unserer
Stadt”, zu etablieren, wurde in der Presseberichterstattung wie folgt
beschrieben: “In dem erneuerten Zwillingsbau werden in Zukunft die
wesentlichsten Aufgaben städtischer Kulturpflege zusammengefaßt sein,
und zwar neben der Stadtbücherei das Stadtarchiv, das Kulturdezernat
und das Presseamt. Im Kaminsaal sollen nicht nur die Sitzungen des
Kulturausschusses, sondern auch die Pressekonferenzen mit der
Stadtverwaltung stattfinden. Das neue und erweiterte Krameramtshaus
wird ein Kulturzentrum nicht nur der Stadt, sondern auch weitergehender
westfälischer, geistiger und heimatpflegerischer Belange darstellen”.
Das Letztere bezog sich auf Vortragsveranstaltungen zum Beispiel des
Altertumsvereins und anderer Institutionen sowie auf Lesungen und
Rezitationen auf Münster und Westfalen bezogener Literaturtexte, die im
Gildesaal bzw. Kaminsaal vorgesehen waren.
Als
an den Geschicken des Hauses anteilnehmende und besonders engagierte
Gruppierung in der Stadt meldete sich auch der Verein der
Kaufmannschaft in Gestalt seines Vorsitzenden, des Verlegers Friedrich
Leopold Hüffer, zu Wort. Hüffer konnte in seinem Grußwort über die
Stiftung eines eigens zu diesem Zweck angefertigten neuen Kronleuchters
für den Kaminsaal durch den Verein der Kaufmannschaft informieren; er
führt dazu aus: "Wir freuen uns, durch die regelmäßige Benutzung des
Kaminsaales mit diesem Hause schon jetzt wieder eng verbunden zu sein.
Wir glauben deshalb dieser Verbundenheit anläßlich der Neueröffnung
dadurch Ausdruck geben zu sollen, daß wir als erste Morgengabe den in
der Trinkstube aufgehängten Kronleuchter stiften. So hoffen wir denn
eine beziehungsreiche Bleibe in diesem Hause zu behalten."
Als letzte Baumaßnahme wurde 1953 der abgetragene Nordgiebel
wiederhergestellt. Den vorläufigen Abschluß der Realisierung des
Vernekohl-Planes bildete im April 1953 die Unterbringung des
Stadtarchivs im Kellergewölbe des Krameramtshauses. Die umfangreichen
und wertvollen Archivalien, die in Schloß Wöbbel weitgehend
unbeeinträchtigt den Krieg überstanden hatten, waren als letzte der
ausgelagerten Kulturgüter in sieben großen Lastwagentransporten nach
Münster zurückgeführt worden. In einer neugeschaffenen, mehr als 500
lfdm. Ablagefläche bietenden Regalanlage wurden sie nun der Benutzung
durch Wissenschaft, Verwaltung und Öffentlichkeit wieder zugänglich
gemacht.
| | Magazin des Stadtarchivs im Keller des Krameramtshauses, nach 1953 (Stadtarchiv Münster, Bildarchiv Werbe- und Verkehrsamt) |
SchlußbemerkungLeider ist das Vernekohl-Konzept über die Anfangsphase der Realisierung
kaum hinausgekommen. Schon bald wurde es vor allem durch die
sprunghafte Weiterentwicklung der Stadtbücherei überholt. Nach der
Fertigstellung der Neubauten des Stadthaus-Komplexes am Syndikatsplatz
in der zweiten Hälfte der 1950er Jahre zogen das Kulturdezernat und das
Presseamt aus dem Krameramtshaus aus. 1967 bis 1969 wurde der neue
Gebäudetrakt für die Bücherei im Anschluß an das Büchereigebäude Alter
Steinweg Nr. 6 erreichtet, und 1978 schließlich räumte das Stadtarchiv
den Keller des Krameramtshauses sowie die Diensträume in den
Obergeschossen und bezog das eigens für Archivzwecke hergerichtete neue
Dienstgebäude Hörsterstraße 28, den Kapellenbau des Lotharinger
Klosters. Die Stadtbücherei rückte jeweils in die freiwerdenden Räume
nach, erreichte dadurch aber dennoch nie eine der stürmisch weiter
ansteigenden Benutzerfrequenz entsprechende Raumausstattung.
Quelle: F.J. Jakobi (Hrsg.), Das Krameramtshaus zu Münster 1589 - 1989.
Zeugnis für 400 Jahre Stadtgeschichte, Münster 1989, Verlag Regensberg.
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