Jörn Küper
(1996)
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Die Thioborate Sr4,2Ba2,8(BS3)4S
und K4Ba11(BS3)8S stellen
in der Klasse der Orthothioborate die ersten Verbindungen
mit zusätzlichem, rein ionisch gebundenem Schwefel dar.
Das Li2CsBS3 ist das erste quaternäre
Orthothioborat mit zwei verschiedenen Alkalimetallkationen.
Die Verbindungen CsBS3, CsBSe3 und
Cs3B3Se10 vervollständigen
die bisherigen Kenntnisse über ternäre Perchalkogenoborate
der Alkalimetalle. Eine völlig neue Verbindungsklasse findet
man im Cs8B12(BSe3).
Ausgehend von Bor, Schwefel/Selen
und Metallsulfid/selenid wurden die Verbindungen durch
Reaktion zwischen 650 und 850 °C
in evakuierten, graphitierten Quarzglasampullen dargestellt.
Der Schutz der Ampullen durch eine Pyroglaskohlenstoffschicht,
die mittels thermischer Zersetzung von Aceton bei
1000 °C aufgebracht wurde, war notwendig, da Bor-Schwefel/Selen-Verbindungen
bei Temperaturen von 400 °C Quarzglas unter Bildung
von Siliciumdisulfid angreifen.
Bei einer alternativen Darstellung
von Thio- und Selenoboraten werden Tiegel aus Materialien
wie Graphit oder Bornitrid, die in Edelstahlampullen eingeschweißt
sind, verwendet. Dieses Verfahren eignet sich besonders
zur Züchtung von Einkristallen durch längeres Tempern
von mehreren Wochen bei Temperaturen bis zu 1000 °C.
Die Darstellung der Verbindungen
in einkristalliner Form für die Röntgenstrukturanalysen
wurde durch systematische Variation der Reaktionsbedingungen,
insbesondere Temperatur und Reaktionsdauer, erreicht.
Die ausgeprägten hygroskopischen Eigenschaften der
Substanzen gestattete deren Handhabung ausschließlich
in trockener Inertgasatmosphäre.

Das Orthothioborat
Sr4,2Ba2,8(BS3)4S wurde
aus Bor, Schwefel, Strontium- und Bariumsulfid bei
einer Reaktionstemperatur von 830 °C und anschließendem
Tempern bei 710 - 670 °C hergestellt. (IR-Spektrum
, Pulverröntgenbeugungsdiagramm).
Bor ist in diesem Orthothioborat,
wie auch in allen anderen Orthothioboraten, ausschließlich
trigonal-planar von Schwefel koordiniert. Die Struktur
ist charakterisiert durch isolierte [BS3]3--Anionen,
die schichtartig entlang der (101)-Ebene angeordnet sind.
Die Kationen Sr2+ und Ba2+ verbinden die Anionen
über ionische Wechselwirkungen. Im Unterschied
zu den anderen bisher bekannten Orthothioboraten
findet man im Sr4,2Ba2,8(BS3)4S
ein über rein ionische Bindungen an fünf Metallkationen
koordiniertes Sulfidion.
Die Metallkationen Ba2+
und Sr2+ zeigen eine Besetzungsfehlordnung. Sowohl für
Strontium als auch für Barium sind Koordinationszahlen
von acht und neun bei einem mittleren M-S-Abstand von 3,188 Å
akzeptabel.
In der tetragonalen Aufstellung
konnte die Struktur nicht gelöst werden. Verantwortlich
dafür ist die Besetzungsfehlordnung im Kationenteilgitter.

Die Synthese des
quaternären Orthothioborates K4Ba11(BS3)8S
gelang durch Reaktion eines Gemisches aus Bor, Schwefel,
Barium- und Kalimsulfid bei einer Reaktionstemperatur von 600 °C.
Durch langsames Abkühlen der Probe auf 350 °C konnten graue
Kristalle erhalten werden (IR-Spektrum,
Pulverröntgenbeugungsdiagramm).
Auch in der Kristallstruktur des K4Ba11(BS3)8S
ist die isolierte, planare [BS3]3--Einheit
das bestimmende Strukturelement. Bor ist trigonal-planar von
Schwefel umgeben, die Kationen sind über ionische Wechselwirkungen
an die Schwefelatome gebunden. Der mittlere M-S-Abstand von 3,32
Å bei Koordinationszahlen von acht und neun
sind typisch für die Kationen Ba2+ und K+.
Genau wie im Sr4,2Ba2,8(BS3)4S
liegt auch im K4Ba11(BS3)8S
ein Schwefelatom vor, das ausschließlich von Metallkationen
ionisch gebunden ist. Hierbei ist das Sulfid nahezu unverzerrt
oktaedrisch von den Metallkationen umgeben. Eine andere
Gemeinsamkeit der beiden Verbindungen ist die beobachtete
Besetzungsfehlordnung der Kationen
Ba2+ und K+.

Mit dem Orthothioborat
Li2CsBS3 konnte das erste
quaternäre Thioborat mit zwei verschiedenen Alkalimetallkationen
aus Bor, Schwefel, Kalium- und Cäsiumsulfid in einem
stöchiometrischen Ansatz bei einer Temperatur von
650 °C und anschließendem, langsamen Abkühlen
auf 200 °C dargestellt werden (IR-Spektrum,
Pulverröntgenbeugungsdiagramm).
Die Kristallstruktur wird aus
isolierten, planaren [BS3]3--Anionen aufgebaut, die
schichtartig entlang [0 0 1] angeordnet sind, wobei die Flächennormalen
der BS3-Dreiecke etwa entlang (1 0 1) oder (1 0 -1) verlaufen.
Die Cs+-Kationen sind in Form eines einfach
überkappten, verzerrten Würfels von neun
Schwefelatomen in einem mittleren Abstand von 3,809
Å umgeben. Die Lithiumkationen sind verzerrt tetraedrisch
mit Schwefel in einem mittleren Abstand von d = 2,440
Å umgeben.

Das in Form dünner,
farbloser Plättchen kristallisierende Cäsiumperthioborat
CsBS3 konnte aus Bor, Schwefel, und
Cäsiumsulfid bei einer Reaktionstemperatur von 600
°C und langsamen Abkühlen auf 300 °C erhalten
werden. Die Röntgenstrukturanalyse lieferte eine
monokline Metrik(IR-Spektrum,
Pulverröntgenbeugungsdiagramm).
Im Cäsiumperthioborat CsBS3
ist Bor ausschließlich tetraedrisch von Schwefel umgeben und bildet
eine zu RbBS3 und TlBS3 isotype
Struktur aus. Der kristalline Aufbau besteht aus polymeren,
kettenförmigen ([BS3]-)n-Anionen
entlang der b-Achse, die über ionisch an Schwefel
koordinierte Cäsiumkationen verknüpft werden.
Die Anionenketten werden aus
eckenverknüpften, praktisch unverzerrten BS4-Tetraedereinheiten
aufgebaut, wobei benachbarte Tetraeder zusätzlich
durch eine Disulfidbrücke verknüpft werden. Alternativ
kann dieser strukturelle Aufbau auch als polyspirocyclisches vSystem
nichtplanarer B2S3-Fünfringe mit den Boratomen
als Brückenköpfe beschrieben werden.
Die Cäsiumkationen
verbinden jeweils drei Anionenketten durch Kontakte zu zwölf
Schwefelatomen mit einem mittleren Abstand von 3,752
Å. Durch Vergleich der Kationenkoordination und Diskussion
von nichtbindenden Abständen zwischen verschiedenen
Anionensträngen in den isotypen Verbindungen
TlBS3, RbBS3 und CsBS3 wurde gezeigt,
daß das freie Elektronenpaar des
monovalenten Tl+-Kations im TlBS3 keine Kugelsymmetrie
aufweist. Eine Korrektur der Koordinationszahlen
bezüglich der Metall-Schwefelkoordination aus früheren
Arbeiten von zehn auf zwölf zeigte eindeutig den
Einfluß des freien Elektronenpaars des s2-konfigurierten
Thalliums im TlBS3.

Das Cäsiumperselenoborat
CsBSe3 läßt sich aus einem stöchiometrischen
Gemisch aus Bor, Selen und Cäsiumselenid bei
einer Temperatur von 700 °C und anschließendem
Tempern im Bereich von 400 - 200 °C herstellen (IR-Spektrum,
Pulverröntgenbeugungsdiagramm).
Diese Gitterparameter deuten auf die
Ähnlichkeit zum CsBS3 hin, mit dem CsBSe3
isotyp ist. So besteht auch CsBSe3 aus kettenförmig angeordneten
([BSe3]-)n-Anionen, zwischen
denen sich die Cäsiumkationen befinden. Die Anionenketten
verlaufen antiparallel zueinander entlang der kristallographischen
c-Achse.
Die Boratome sind tetraedrisch von Selen
umgeben. Die Cäsiumkationen verknüpfen
drei ([BSe3]-)n-Anionenstränge miteinander
und sind von zwölf Selenatomen mit einem mittleren
Abstand von 3,884 Å umgeben.

Das in Form tiefroter
Plättchen kristallisierende Cäsiumperselenoborat
Cs3B3Se10 erhält man aus
einem stöchiometrischen Ansatz von Bor, Selen und Cäsiumselenid
bei 650 °C und anschließendem Tempern (IR-Spektrum,
Pulverröntgenbeugungsdiagramm).
Das Cäsiumperselenoborat
Cs3B3Se10 bildet ebenso wie die vorher
beschriebenen Perthioborate CsBS3, RbBS3 und TlBS3,
und das Perselenoborat CsBSe3 eine Kettenstruktur,
wobei die polymeren ([B3Se10]3-)n-Anionen
im Cs3B3Se10 durch Cs+-Kationen
verknüpft sind.
Die Boratome sind in dieser Verbindung ausschließlich
tetraedrisch von Selen umgeben. Benachbarte BSe4-Tetraeder
sind über eine Diselenidbrücke und eine Ecke
oder über zwei Diselenidbrücken miteinander
verknüpft. Hieraus resultieren spirocyclisch verknüpfte,
nichtplanare B2Se3-Fünf- und B2Se4-Sechsringe
mit Sesselkonformation, welche im Verhältnis
2 : 1 vorliegen. Dieses Strukturprinzip ist aus dem Thalliumperthioborat
Tl3B3S10 bekannt, das zwar
auch ein triklines Kristallsystem aufweist aber nicht
isotyp zum Cs3B3Se10 ist.

Einen grundsätzlich
neuen Verbindungstyp stellt das Cäsiumhexaselenoborato-closo-dodecaborat
Cs8B12(BSe3)6 dar
[69]. Die Darstellung erfolgte aus einer stöchiometrischen
Mischung von Bor, Schwefel und Cäsiumselenid bei
700 °C. Das in Form farbloser Kristalle kristallisierende
Cs8B12(BSe3)6 besitzt bei Raumtemperatur
eine trikline Metrik (Strukturlösung, Pulverröntgenbeugungsdiagramm).
Die Kristallstruktur des Cs8B12(BSe3)6
besteht aus isolierten [B12(BSe3)6]8--Anionen
und Cs+-Kationen. Sechs [BSe3]3--Einheiten
sind dabei jeweils über zwei Selenatome an ein B12-Gerüst
gebunden, so daß ein vollständig substituiertes
Boran entsteht. Diese Festkörperstruktur ist erst
die zweite Verbindung in der das Boratom der [BSe3]3-
Einheit trigonal-planar von Selen umgeben ist. Das B12-Gerüst
bildet ein nahezu unverzerrtes Ikosaeder, das die WADE-
REGELN erfüllt.
Die Kationen sind über
ionische Wechselwirkungen mit den [B12(BSe3)6]8--Anionen
verknüpft. Dabei sind die Metallkationen von acht
bis neun Selenatomen mit einem mittleren Abstand von 3,79
Å umgeben. (vgl. Angew. Chem. im Druck)

Die B-S- und B-Se-Bindungslängen
und -winkel, dieser Thio- und Selenoborate, lassen sich
gut in die Reihe der bislang in anderen Bor-Chalkogen-Verbindungen
gefundenen Werte einfügen. Für trigonal-planar
und tetraedrisch von Schwefel umgebenes Bor
ergeben sich unterschiedliche Abstände, im Mittel
bei 1,81 Å und 1,93 Å, für trigonal-planar
von Selen koordiniertes Bor wurde ein Abstand von
1,94 Å und für die tetraedrisch von Selen umgebenen
Boratome ein Abstand von 2,06 Å gefunden.
Für die ausschließlich
trigonal-planar von Schwefel koordiniertes Bor enthaltenden
Verbindungen erhält man als Mittelwerte: Sr4,2Ba2,8(BS3)4S
1,822 Å, K4Ba11(BS3)8S
1,81 Å und Li2CsBS3 1,825 Å. Bei
dem aus tetraedrisch von Schwefel koordiniertem
CsBS3 ergab sich ein Mittelwert der B-S-Abstände
von 1,930 Å.
Das trigonal-planar von Selen
umgebene Boratom des Selenoborates im Cs8B12(BSe3)6
weist Unterschiede in den Bindungslängen von 1,902
Å für das exocyclische Selenatom und 1,979
Å für das im B3Se2-Fünfring liegende
Selenatom auf. Die häufiger beobachteten tetraedrischen
Bor-Selenkoordinationen, wie in den Cäsiumperselenoboraten
Cs3B3Se10 und CsBSe3, weisen
B-Se-Bindungsabstände um 2,05 Å auf.
Die von den neuen Bor-Chalkogen-Festkörperphasen
angefertigten Pulver-Röntgenbeugungsdiagramme stimmen
alle sehr gut mit den aus Strukturdaten berechneten überein.
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