Forschungsbericht 1997-98 | |
Institut für Siedlungs- und Wohnungswesen
Am Stadtgraben 9 48143 Münster Tel. (0251) 83-2 29 71 Fax: (0251) 83-2 29 70 e-mail: 17wimi@wiwi.uni-muenster.de WWW: http://www.wiwi.uni-muenster.de/~17/index.htm Direktor: Prof. Dr. Ulrich van Suntum | |
Forschungsschwerpunkte 1997 - 1998
Fachbereich 04 - Wirtschaftswissenschaftliche Fakultät Institut für Siedlungs- und Wohnungswesen Arbeitsmarkt und Beschäftigungspolitik | ||||
Weichenstellungen für eine stabilitätsorientierte Beschäftigungspolitik - Die Beispiele Neuseeland, Österreich und USA
Die hohe Arbeitslosigkeit ist noch immer das gravierendste wirtschaftspolitische Problem der
Industrieländer. Trotz positiver Konjunkturentwicklung halten sich die
Arbeitslosenziffern, vorwiegend in Europa, hartnäckig auf hohem Niveau. Es scheint, als
seien die Beschäftigung vom Wirtschaftswachstum abgekoppelt und das Ziel der
Vollbeschäftigung in absehbarer Zeit kaum mehr erreichbar.
Bei näherer Betrachtung ergibt sich jedoch ein differenzierteres Bild. Zum einen hat die
Arbeitslosigkeit in den einzelnen Industriestaaten eine sehr unterschiedliche Höhe, und
zum anderen sind einige Länder dem Ziel der Vollbeschäftigung in den letzten
Jahren sogar wieder näher gekommen. Im Rahmen des "Internationalen
Beschäftigungs-Ranking 1996" konnten drei Länder identifiziert werden, die im
Verlauf der achtziger und beginnenden neunziger Jahre offensichtlich erfolgreicher bei der
Bekämpfung der Arbeitslosigkeit gewesen sind als andere: Neuseeland, Österreich
und die USA.
Ziel des Projektes war es herauszufinden, welche wirtschaftspolitischen Weichenstellungen den
beschäftigungspolitischen Erfolg in den drei genannten Ländern ermöglicht
haben und inwieweit diese nationalen Beschäftigungskonzepte für andere
Länder, vor allem für Deutschland, Vorbildcharakter haben können.
Die in dieser Studie betrachteten drei Länder unterscheiden sich in ihrer Ausgangslage
und in ihrer Beschäftigungspolitik sehr deutlich. Am ehesten mit Deutschland
vergleichbar ist noch Österreich. Dies gilt sowohl in bezug auf die sektorale Struktur der
Wirtschaft als auch hinsichtlich der Grundzüge des politischen und sozialen Systems.
Das Bemühen um einen gesellschaftlichen Konsens in wichtigen wirtschaftspolitischen
Fragen und die entsprechend enge Zusammenarbeit zwischen der Politik und den
gesellschaftlich relevanten Gruppen, namentlich den Tarifparteien, ist in Österreich eher
noch ausgeprägter als in Deutschland. Dabei spielt auch eine Rolle, daß
Österreich ein verhältnismäßig kleines Land ist. Lange Zeit hat der
sogenannte Austro-Keynesianismus die Arbeitslosigkeit in engen Grenzen halten
können. Inzwischen mehren sich aber die Probleme. Dies liegt zum einen am Beitritt
Österreichs zur Europäischen Union und der zunehmenden Konkurrenz aus den
wirtschaftlichen Reformländern in Osteuropa. Es liegt vor allem aber auch daran,
daß ein Gutteil der österreichischen Erfolge auf dem Arbeitsmarkt nur dadurch
erreicht wurde, daß insbesondere Langzeitarbeitslose in der Frühverrentung
versteckt wurden, statt ihnen neue Arbeitsplätze zu verschaffen. In dieser Hinsicht ist
man inzwischen auch in Österreich an Grenzen der Finanzierbarkeit gestoßen.
Das österreichische System scheint aber flexibel genug zu sein, um auf die neuen
Herausforderungen reagieren zu können. Dies zeigt sich in der inzwischen vollzogenen
Liberalisierung des Außenhandels und der Dienstleistungsmärkte, aber auch an
den eingeleiteten Maßnahmen zur Konsolidierung des Staatshaushaltes. Unter dem
Druck steigender Staatsdefizite hat Österreich die Kraft gefunden,
ausgabenträchtige soziale Programme wie die Frühverrentung
zurückzuführen und gleichzeitig die Unternehmenssteuern zu senken. In der
Tarifpolitik hatte man trotz eines im Ansatz zentralistischen Systems schon immer
vergleichsweise flexibel auf die Erfordernisse des Arbeitsmarktes reagiert. Diese
Flexibilität ist noch erhöht worden, seitdem die österreichische Wirtschaft
nicht mehr auf den Schutz protektionistischer Handelsschranken vertrauen kann. Ob all dies
ausreichen wird, den künftigen Herausforderungen erfolgreich zu begegnen, ist offen.
Zumindest ist man aber in Österreich darangegangen, die Weichen dafür zu
stellen.
Ganz anders ist die Situation in Neuseeland. Dieses bis zu Beginn der 80er Jahre stark
regulierte und protektionistisch agierende Land hat seit 1984 eine beispiellose Kehrtwendung
hin zu marktwirtschaftlichen Prinzipien vollzogen. Auf nahezu allen wirtschaftspolitischen
Handlungsfeldern wurden teilweise radikale Reformen vollzogen, die auch vor tiefen
Einschnitten in soziale Besitzstände und einer nachhaltigen Liberalisierung der
Arbeitsmärkte nicht haltmachten. Besonders bemerkenswert ist, daß sowohl eine
deutliche Senkung der Unternehmenssteuern als auch eine Umkehrung der früher
vorherrschenden Staatsdefizite in Überschüsse erreicht wurde. Die
neuseeländische Reformpolitik zeigt deutlich, welche wirtschaftlichen Kräfte
durch den konsequenten Übergang zu marktwirtschaftlichen Prinzipien freigesetzt
werden können. Vergleicht man dies mit den eher buchhalterisch geprägten
Diskussionen in Deutschland darüber, ob etwa eine Nettoentlastung der Wirtschaft im
Rahmen der anstehenden Steuerreform finanzpolitisch verkraftbar sei, so wird der Unterschied
im grundsätzlichen ökonomischen Denkansatz augenfällig.
Die neuseeländische Arbeitsmarktbilanz ist beeindruckend, wenngleich nicht ohne
Schatten. Es gibt noch immer strukturelle Probleme wie etwa den geringen Ausbildungsstand
großer Bevölkerungsgruppen, die sich in entsprechend hoher
Beschäftigungslosigkeit dieser Menschen niederschlägt. Auch ist der
Bevölkerung einiges an sozialen Härten zugemutet worden. Zu nennen ist hier
insbesondere die Begrenzung des Arbeitslosengeldes auf das Existenzminimum sowie die
Begrenzung der Rentenansprüche bei gleichzeitiger Erhöhung des
Rentenzugangsalters. Ein Abbau von Sozialleistungen in ähnlichem Umfang, wie ihn
Neuseeland in den letzten zehn Jahren vollzogen hat, ist auf Deutschland schon aus politischen
Gründen wohl kaum übertragbar. Gleichwohl sollte man bei den aktuellen
Diskussionen beispielsweise um die Reform der Alterssicherung und des Gesundheitswesens,
die in Deutschland ja zumindest tendenziell in die gleiche Richtung gehen wie in Neuseeland,
das sehr viel konsequentere Vorgehen anderer Länder im Auge behalten und die Elle
nicht nur an den bisherigen Besitzständen anlegen.
Wiederum anders liegen die Dinge im Fall der USA. Das amerikanische Wirtschafts- und
Sozialsystem war schon immer durch vergleichsweise freie Märkte und ein geringes
Maß an sozialer Absicherung für den einzelnen gekennzeichnet. Als einziges
Industrieland ist in den USA kein langfristig steigender Trend der Arbeitslosigkeit
festzustellen; die Beschäftigungsschwankungen sind überwiegend konjunktureller
Natur und waren im Zuge des seit 1992 anhaltenden Aufschwungs mit einem überaus
kräftigen Zuwachs an Arbeitsplätzen verbunden. Während dabei anfangs
überwiegend niedrigqualifizierte Beschäftigungsverhältnisse im
Dienstleistungsbereich entstanden, hat das Beschäftigungswachstum seitdem zunehmend
auch höherqualifizierte Arbeitsplätze erfaßt. Zudem ist der amerikanische
Arbeitsmarkt durch eine hohe vertikale und horizontale Durchlässigkeit gekennzeichnet,
so daß arbeitslos gewordene Arbeitnehmer meist rasch wieder einen neuen Job an anderer
Stelle finden und danach auch gute Aufstiegsmöglichkeiten haben.
Gerade was die Mobilität und Anpassungsbereitschaft der amerikanischen Arbeitnehmer
betrifft, gilt es in Deutschland dazuzulernen. Man braucht nicht gleich zu einem
hire-and-fire-System überzugehen, um die Flexibilität des Arbeitsmarktes
merklich zu erhöhen. Vielmehr kann schon viel gewonnen werden, wenn die zahlreichen
Hemmnisse in dieser Hinsicht auf den Prüfstand kommen und jedes für sich
gegebenfalls gelockert wird. Zu denken ist hier an die Kündigungsfristen und
-voraussetzungen, an die sektorale und regionale Lohndifferenzierung, an Dauer und
Voraussetzungen für den Bezug von Lohnersatzleistungen sowie an mögliche
Kombinationen von Erwerbs- und Transfereinkommen namentlich für
Geringqualifizierte.
Gerade wenn man einen auskömmlichen Lebensstandard für jedermann
garantieren möchte, wird man an dem zuletzt genannten Punkt wohl kaum
vorbeikommen. Zwar ist das amerikanische System der negativen Einkommensteuer auf
deutsche Verhältnisse nicht ohne weiteres übertragbar, da es von einem sehr
geringen Mindestlebensstandard ausgeht. Würde man etwa auf die in Deutschland
geltenden Sozialhilfesätze noch eine negative Einkommensteuer nach amerikanischem
Muster aufsetzen, so würde das System vermutlich unfinanzierbar werden. Gleichwohl
gibt es Möglichkeiten, auch den Empfängern von Sozial- oder Arbeitslosenhilfe
eine Kombination von eigenem Erwerbs- und staatlichen Transfereinkommen anzubieten. Wer
davon keinen Gebrauch macht, weil ihm der materielle Zugewinn gegenüber dem reinen
Transferbezug nicht attraktiv genug erscheint, müßte dann freilich von dem
weiteren Leistungsbezug ausgeschlossen werden; zumindest wäre dieser empfindlich zu
kürzen. Vor allem aber erhalten namentlich die Langzeitarbeitslosen neue
Erwerbschancen, insbesondere wenn mit entsprechenden Programmen auch die
Möglichkeit der Weiterbildung und der Bewährung am Arbeitsplatz verbunden ist.
Nicht zuletzt wirkt man dadurch auch Kriminalität und Schwarzarbeit entgegen.
Die Kehrseite des amerikanischen "Beschäftigungswunders" sind lange Zeit
stagnierende oder gar sinkende Realeinkommen der Arbeitnehmer gewesen. Umstritten ist,
inwieweit dies auch in jüngster Zeit noch zutrifft und ob es nur im Durchschnitt oder
auch für den typischen Arbeitnehmer gilt. Es ist nämlich zu bedenken, daß
der in der Statistik ausgewiesene Durchschnittslohn schon dann sinkt, wenn bei
unverändertem Lohn des einzelnen vergleichsweise viele Niedriglohnbeschäftigte
neu in den Arbeitsmarkt eintreten. Dies wäre dann aber ein Fortschritt auf dem
Arbeitsmarkt und kein sozialer Rückschritt. Auch sind die Aufstiegsmöglichkeiten
zu sehen, die der einzelne gerade auf dem amerikanischen Arbeitsmarkt hat, wenn er sich im
Beruf bewährt und weiterbildet.
Auch in Deutschland wird man angesichts des hohen Sockels von Arbeitslosen auf geraume
Zeit von der Vorstellung Abschied nehmen müssen, der Reallohn müsse trotz
unveränderter Arbeitsleistung oder gar bei immer kürzerer Arbeitszeit in jedem
Jahr zunehmen. Vorrangig wird es nämlich in den nächsten Jahren darum gehen
müssen, den Produktivitätsanstieg für die Schaffung neuer
Arbeitsplätze zu nutzen statt für weitere Einkommenverbesserungen derjenigen,
die schon einen Arbeitsplatz haben. Dies ist jedenfalls der Weg, den die USA in den letzten 15
Jahren überwiegend gegangen sind. So gesehen ist das stagnierende Realeinkommen des
amerikanischen Durchschnittsbürgers der notwendige Preis dafür gewesen,
daß viele von ihnen neue Arbeitsplätze und damit neue Erwerbschancen gefunden
haben. Erst wenn der Arbeitslosensockel abgebaut ist und der Angebotsdruck auf dem
Arbeitsmarkt aufgrund der steigenden Erwerbspersonenzahlen nachläßt,
können wieder nachhaltige Einkommensverbesserungen für die Masse der
Beschäftigten in den Blick genommen werden.
Keines der hier untersuchten Länder kann als Kopiervorlage für die deutsche
Wirtschaft dienen. Eine radikale Reform wie in Neuseeland oder ein weitgehender
Politikwechsel hin zu amerikanischen Verhältnissen ist für Deutschland weder
politisch denkbar noch ökonomisch notwendig. Gleichwohl bieten gerade diese beiden
Länder vielfältige Anhaltspunkte dafür, wie die Arbeitsmärkte
flexibler gestaltet, die Wachstumsdynamik gestärkt und die Kosten der sozialen
Sicherung in Grenzen gehalten werden können. Das österreichische Beispiel
wiederum zeigt zumindest, daß marktwirtschaftliche Reformen auch unter
europäischen Bedingungen in weitgehendem Konsens erfolgen können.
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Beteiligte Wissenschaftler:
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Hans-Joachim Peter