Die Editio Critica Maior (ECM)

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Hintergrund

Heute sind ca. 5500 Handschriften des griechischen Neuen Testaments bekannt. Der Text wird in ihnen in einer hohen Zahl von Varianten überliefert. Den «Originaltext» einer neutestamentlichen Schrift dürfen wir in keiner Handschrift erwarten.

Das INTF hat die bekannten Handschriften erfasst und katalogisiert. Es besitzt von über 90 % Mikrofilme oder Fotos. Eine Digitalisierung des Bestandes und digitale farbige Neuaufnahmen der wichtigsten Texte stehen noch aus. Auch wenn sich immer wieder noch neue Handschriften finden, ist doch das Sammeln des Materials vor allem auch durch die Handschriftenreisen des INTF im Wesentlichen geleistet.

Erste Auswertung

Zunächst wurde ein Teststellenprogramm realisiert. Es schied die gleichförmigen Texte aus, die bekanntermaßen in der Überlieferung des Hochmittelalters den Hauptanteil ausmachten.  Die Ergebnisse sind in der Reihe «Text und Textwert» dokumentiert. Nach der Ausscheidung dieser Texte steht nun das für die Textgeschichte vor allem des ersten Jahrtausends relevante Material zur Verfügung: neben den Handschriften dieses Zeitraums auch die zahlreichen unter den späteren, die die ältere Textgeschichte spiegeln. Die eigentliche Editionsarbeit konnte beginnen.

Erweiterung der Materialbasis

Da nur relativ wenige Handschriften aus Spätantike und Frühmittelalter erhalten sind, ist es unverzichtbar, weitere Quellen einzubeziehen. So müssen die Zitate des Neuen Testaments bei den christlichen Schriftstellern dieser Zeit und die alten Übersetzungen des Textes vor allem in das Lateinische, Koptische und Syrische herangezogen werden. Für die Überlieferung im Koptischen und Syrischen muss das INTF dabei sogar eigene Grundlagenarbeit betreiben, ohne die die Editio Critica Maior nicht möglich wäre.

Vollständige Auswertung des relevanten Materials

Die immer noch sehr hohe Zahl textgeschichtlich relevanter Handschriften wird nach und nach transkribiert und einem vollständigen Textvergleich unterzogen (Vollkollation). Die Ergebnisse werden in Datenbanken festgehalten. Das erlaubt erstmals eine computergestützte Erforschung des Gesamtmaterials. Dabei ist vor allem die Gewinnung genealogischer Daten von Bedeutung, die die Textgeschichte und besonders ihre Anfänge erhellen. Die spezifischen Probleme, die es bei dieser Überlieferung gibt, treten nun deutlich hervor.

Die spezifische Problematik und ein neuer Ansatz in der Methode

Sieht man nämlich von Fragmenten mit geringem Textumfang ab, so hat keine Handschrift einen Text, der mit dem einer anderen identisch ist. Am Ende der Textgeschichte steht zwar eine Textform, die von Handschriften mit relativ wenigen Varianten überliefert wird; je weiter man jedoch in der Textgeschichte zurückgeht, um so mehr unterscheiden sich die Texte voneinander. Die Differenzen gerade in alten Überlieferungsschichten sind ganz erheblich.

Zu der starken Varianz der Texte kommt das Problem, dass sie hochgradig kontaminiert sind, d.h. die Kopisten haben immer wieder Lesarten einfließen lassen, die nicht in ihrer Vorlage standen, sondern die sie aus anderen Quellen kannten. Das erschwert genealogische Untersuchungen außerordentlich. Herkömmliche Verfahren sind für kontaminierte Überlieferungen nicht geeignet. So musste eine neue Methode (Kohärenzbasierte Genealogische Methode) entwickelt werden, die genealogische Zusammenhänge auch in sehr umfangreichem kontaminierten Material finden kann.

Perspektive

Es ist zu erwarten, dass die Kenntnis des Gesamtmaterials und eine dem Materialstand angemessene Methode zu einem neuen und besser fundierten Bild der Textgeschichte führen, als es bisher auf der Basis stark eingeschränkter Kenntnis der Quellen möglich war. Der für die Exegese wichtige Ausgangstext der Überlieferung muss entsprechend neu rekonstruiert werden. Dort, wo dieses nicht zur Veränderung des bisherigen Textes führt, wird sich doch die Begründung für den rekonstruierten Text von den herkömmlichen Argumenten sehr unterscheiden und wird vor allem auf das Gesamtbild der Überlieferung zurückgreifen können. Die Untersuchungen, die bisher an den Katholischen Briefen vorgenommen wurden, zeigen dieses schon sehr deutlich.

Die Publikation der Editio Critica Maior (ECM)

Neben der in Buchform publizierten Edition (jeweils mit den Teilbänden "Text", "Begleitende Materialien" und Untersuchungen") wird eine digitale Plattform entwickelt, die den Online-Zugriff auf alle Daten erlaubt, die während der Arbeit an der ECM gesammelt werden. Dazu gehören vor allem die diplomatischen Transkripte aller in der ECM verwendeten Handschriften und die Datenbanken, auf denen die ECM beruht. Aber auch die Verbindung zu den Fotos im Virtuellen Handschriften-Lesesaal soll sukzessive möglich sein. Teil der digitalen Plattform werden auch Programme sein, die das Material erschließen und dem Nutzer die eigene Anwendung der Kohärenzbasierten Genealogischen Methode ermöglichen.

Mit dem Band "Katholische Briefe" nimmt die ECM ihren Anfang. Die Teilbände "Text" und "Begleitende Materialien" sind inzwischen erschienen.

Kooperation
Die ECM ist offen für Kooperationen, die sich auf ganze Teilbände erstrecken. So wird die Herausgabe des Teilbandes "Johannesevangelium" von David Parker und seinem Team im Rahmen einer Kooperation des INTF mit dem International Greek New Testament Project (IGNTP) am Institute for Textual Scholarship and Electronic Editing in Birmingham vorbereitet.
Näheres zur Kooperation mit dem IGNTP.

Während im Rahmen der ECM die koptische und die syrische Überlieferung als Teilprojekte der ECM in Münster aufgearbeitet werden, greift das INTF auf wenigen Gebieten auch auf externe Kompetenzen zurück. So etwa nutzt die ECM zur Dokumentation der altlateinischen Überlieferung der Apostelgeschichte die Arbeit der Forschungsstelle "Neutestamentliche Textforschung - Die altlateinischen Actus Apostolorum", die in Mainz von Wilhelm Blümer geleitet wird.