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Münster (upm)
Prof. Dr. Peter Young<address>© UKM - Manfred Thomas</address>
Prof. Dr. Peter Young
© UKM - Manfred Thomas

Beschwerden wie bei einem Jetlag

Ein Gastbeitrag von Prof. Dr. Peter Young über die medizinischen Auswirkungen der Zeitumstellung

Ende Oktober könnte bei uns in Deutschland die letzte Zeitumstellung ins Haus stehen. Hintergrund ist das Ergebnis einer Online-Umfrage der EU-Kommission in allen Mitgliedsländern, in der eine große Mehrheit für die Abschaffung der seit vielen Jahren üblichen Zeitumstellungen im Frühjahr und Herbst plädierte. Teilgenommen hatten allerdings nur rund 4,5 Millionen Menschen, was weniger als einem Prozent aller EU-Bürger entspricht. Während die etwa drei Millionen Deutschen, die sich beteiligten, für eine dauerhafte Sommerzeit votierten, sind Ärzte und Chronobiologen skeptisch, was eine „Einheitszeit“ und die gesundheitlichen Folgen betrifft. Prof. Dr. Peter Young, Neurologe, Schlafmediziner und Schlafforscher der Universität, hat sich Gedanken gemacht:

Schlafen und Wachen – abhängig von äußeren Zeitgebern und inneren Taktgebern

Die meisten biologischen Prozesse in unserem Körper sind Schwankungen unterlegen, die durch innere (z.B. Hormonspiegel) und äußere Faktoren (z.B. Tag/Nacht) gesteuert werden. Äußere Zeitgeber sind in erster Linie Licht und Temperatur. Synchronisiert werden innere Taktgeber und äußere Zeitgeber in der Regel durch die unterschiedlichen Hell-Dunkel-Verhältnisse. In unserem täglichen Leben spielen diese Hell-Dunkel-Verhältnisse eine sehr wichtige Rolle, um den Körper auf den wachen Zustand oder auf den Zustand des Schlafens vorzubereiten. Allen bekannt ist die sogenannte 24-Stunden-Rhythmik: Sie spielt eine fundamentale Rolle für unser komplettes soziales Leben. Auf Veränderung, wie zum Beispiel den (schnellen) Wechsel von Zeitzonen bei Reisen zu weit entfernten Zielen, reagiert unser Organismus unterschiedlich stark. In der Regel leiden Menschen kurzfristig unter diesem Wechsel der Zeitzonen: Die auch als Jetlag bezeichnete „Störung“ geht einher mit gehäufter Müdigkeit oder Wachheit jeweils zur falschen Zeit. Diese Jetlag-Beschwerden dauern in der Regel nicht länger als zwei bis drei Tage an und sind für viele Menschen, insbesondere wenn es nur gelegentlich passiert, völlig unproblematisch.

Veränderung der äußeren Zeitgeber ohne das eigene Zutun – Umstellung der lokalen Zeit auf eine saisonale Zeit wie Sommer- oder Winterzeit

Die Umstellung auf eine Sommer- oder Winterzeit – das heißt die äußere Veränderung der Uhrzeit, ohne dass sich auch der Hell-Dunkel-Rhythmus ändert – bedeutet für uns, dass wir uns selbst in der gegebenen Lebenssituation auf die neue Zeit ein- und umstellen müssen. Das ist anders als bei vorübergehenden Reisen in andere Zeitzonen. Es bedeutet nämlich für den Organismus, dass er sich länger oder nachhaltiger erst an die neue Zeit gewöhnen muss. Uns ist bekannt, dass wir dann häufig mit längeren oder kürzeren Schlafphasen reagieren, wenn gerade – wie bald wieder in der Nacht vom 27. auf den 28. Oktober – von Sommer- auf Winterzeit oder im Frühjahr von Winter- auf Sommerzeit umgestellt wird. Für viele Menschen sind die Beschwerden vergleichbar mit denen des Jetlags. Die eigentliche Schlafdauer leidet, zum Beispiel für eine Woche, unter dieser Umstellung: Aus medizinischer Sicht ist dieser Zustand für den menschlichen Organismus völlig unsinnig. Es gibt keinerlei Hinweise, dass eine von außen erzwungene Zeitumstellung irgendeinen positiven Nutzen für den Menschen hat. Es gibt auch keinen Hinweis darauf, dass die eine oder die andere Zeit, also Sommer- oder Winterzeit, für den Körper als solches einen biologischen oder medizinischen Vorteil hat. Während manche Menschen in der Sommerzeit die langen hellen Sommerabende genießen, sind andere froh, mit der sogenannten Winterzeit wieder etwas früher am Tagesanfang Helligkeit zu haben. Medizinisch gibt es keinen sicheren, wissenschaftlich begründeten Vorteil der einen oder anderen Zeit. Die verhaltensbiologischen Aspekte der langen Abende mit Helligkeit könnten eventuell dazu führen, dass insgesamt ein etwas größeres Schlafdefizit entsteht, da viele Menschen in der Sommerzeit etwa 30 Minuten weniger schlafen als in der Winterzeit. Der daraus resultierende Schlafmangel wird immer wieder angeführt unter dem Aspekt, dass durch die Sommerzeit – zusätzlich in einer sich immer weiter verdichtenden Arbeitswelt – ein Schlafdefizit als gesellschaftliches Phänomen auftritt. Aus diesem Grund wird zu Recht die Winterzeit präferiert.

 

Prof. Dr. Peter Young ist Direktor des Instituts für Schlafmedizin und Neuromuskuläre Erkrankungen am Universitätsklinikum Münster. Bei der Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Schlafforschung und Schlafmedizin (DGSM) e.V. wurde er kürzlich in Nürnberg zu deren Vorstandsvorsitzendem gewählt.

 


Dieser Artikel stammt aus der Universitätszeitung "wissen|leben" Nr. 6, Oktober/November 2018

 

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