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Münster (upm)
Symbol für eine gespaltene Gesellschaft: Durch mehrere Stadtteile von Belfast läuft eine Mauer aus Beton, Stahl und Stacheldraht, die „Peace Line“ (Friedenslinie). Nach dem Ausbruch des Nordirlandkonflikts wurde sie ab 1969 Stück für Stück als Trennlinie zwischen katholischen und protestantischen Wohnblocks errichtet. 20 Jahre nach den Friedensgesprächen steht sie noch immer. Im Gegensatz zur ehemaligen Berliner Mauer gibt es jedoch Durchgänge.<address>© Mark Henderson / Alamy Stock Foto</address>
Symbol für eine gespaltene Gesellschaft: Durch mehrere Stadtteile von Belfast läuft eine Mauer aus Beton, Stahl und Stacheldraht, die „Peace Line“ (Friedenslinie). Nach dem Ausbruch des Nordirlandkonflikts wurde sie ab 1969 Stück für Stück als Trennlinie zwischen katholischen und protestantischen Wohnblocks errichtet. 20 Jahre nach den Friedensgesprächen steht sie noch immer. Im Gegensatz zur ehemaligen Berliner Mauer gibt es jedoch Durchgänge.
© Mark Henderson / Alamy Stock Foto

"Spaltungen sind ein Phänomen aller Epochen"

Althistoriker Prof. Dr. Peter Funke über das Leitmotiv des 52. Deutschen Historikertags

Zahllose politische und soziale Zerreißproben stellen uns heute vor erhebliche neue Herausforderungen. Soziale Ungleichheit, religiös grundierte Auseinandersetzungen oder auch neue Formen des Nationalismus, der auf eine zunehmende Globalisierung reagiert, spalten viele Gesellschaften. In einer globalisierten Welt wirken sich derartige Spannungen spürbar international aus, wodurch sich auch die Lösungsmöglichkeiten und Mitspracherechte verändern. Für viele Zeitgenossen scheint der hergebrachte Konsens innerhalb der eigenen Gesellschaft zu bröckeln. Wesentliche Grundlagen der modernen Gesellschaft und des Zusammenlebens geraten damit auf den Prüfstand. Vor allem die Spaltung zwischen arm und reich oder zwischen 'fremd' und 'einheimisch' lässt das Gefühl von Teilhabe und Gerechtigkeit schwinden, sodass Gruppen erstarken und zu überzeugen vermögen, die einfache Lösungen propagieren.

Diese Herausforderungen sind jedoch keine Besonderheit unserer Zeit. Soziale, kulturelle, ökonomische, aber auch religiös, ethnisch oder rechtlich begründete Spaltungen sind ein Phänomen aller Zeitepochen und Weltregionen. In allen Jahrhunderten hat man um den Konsens innerhalb der Gesellschaft ebenso wie mit den Nachbarn immer wieder existentiell gerungen. Das zeigen die tiefgreifenden Konflikte, die sich in der antiken griechischen Staatenwelt als eine sozio-politische Grundkonstante in permanenten Bürgerkriegen (staseis) äußerten, ebenso wie die erbitterten Auseinandersetzungen um die Stellung und Rechte der Geistlichen gegenüber den Laien im hochmittelalterlichen Investiturstreit. Die konfessionellen Spaltungen der Frühen Neuzeit zogen lange Verwerfungen bis in die einzelnen Kommunen nach sich, während die Diktaturen und Kriege des 20. Jahrhunderts oft eine Einheit erzwangen, die Differenzen nur blutig überdeckte. Die Kolonialisierung bewirkte außerhalb, aber auch innerhalb Europas große gesellschaftliche Umwälzungen, die in der Regel auch mit der Dekolonialisierung nicht befriedet werden konnten. Die Geschichtswissenschaft kann in der aktuellen Debatte dazu beitragen, Prozesse gesellschaftlicher Spaltung und deren Wahrnehmung einzuordnen, zu hinterfragen und zu einem vertieften Verständnis beizutragen.

Daher findet der 52. Deutsche Historikertag in Münster unter dem Motto "Gespaltene Gesellschaften" statt. Hier wird unter anderem der Frage nachgegangen, welche konkurrierenden Narrative und Utopien sich innerhalb von Gesellschaften ausbilden und welcher Umgang mit ihnen zu beobachten ist. Was geschieht mit Gesellschaften, die durch autokratische oder diktatorische Systeme in besonderer Weise in sich abgeschlossen werden, um nach außen Einheit und Stärke zu demonstrieren? Inwieweit gehören – umgekehrt gefragt – Formen der Spaltung zu einer offenen Gesellschaft und können durchaus produktive Entwicklungen auch im positiven Sinne anstoßen? Die jeweiligen Geschichtsdeutungen oder Weltsichten legitimieren in der Regel den eigenen Standpunkt und lassen sich deshalb politisch instrumentalisieren. Da sie ihrerseits wirklichkeitsformende Kraft entwickeln, betrifft diese Dynamik nicht zuletzt auch das ebenso vielschichtige wie gerade in jüngster Zeit wieder viel diskutierte Spannungsverhältnis von historischen Fakten und Fiktionen.

Gastbeitrag-Autor Prof. Dr. Peter Funke<address>© WWU - Julia Holtkötter</address>
Gastbeitrag-Autor Prof. Dr. Peter Funke
© WWU - Julia Holtkötter
Die Problematik der "gespaltenen Gesellschaften" gehört deshalb zu den zentralen Fragen der Geschichtswissenschaft, ihrer methodischen Zugänge und nicht zuletzt auch des Selbstverständnisses des Faches. Denn es gilt ebenso zu fragen, welche Ordnungsvorstellungen der Diagnose einer 'Spaltung' bzw. 'Einheit' zugrunde liegen. Auch methodische Grundsatzdebatten, die sich mit dem Phänomen "gespaltener Gesellschaften" in historischer Perspektive auseinandersetzen, werden in verschiedenen Sektionen und Podiumsdiskussionen zum Tragen kommen.

Wie auch auf den vergangenen Historikertagen werden nicht alle Sektionen auf das Motto bezogen sein. Vielmehr wird sich ein gewisser Anteil am Gesamtprogramm auf andere Gegenstandsbereiche beziehen, um der Spannweite aktueller Forschungen hinreichend Raum zu geben. So ergibt sich ein vielseitiges und perspektivenreiches Veranstaltungsprogramm, das auch Interessierten offensteht, die nicht Mitglieder des Verbandes der Historiker und Historikerinnen Deutschlands sind.

Prof. Dr. Peter Funke ist Direktor des Seminars für Alte Geschichte sowie des Instituts für Epigraphik und Sprecher des Ortskomitees Münster des 52. Deutschen Historikertags.

 

 



Programmhöhepunkte

24. September, 19.00 Uhr (Rathausfestsaal, Prinzipalmarkt 10): "Zusammenhalt und Demokratie in der Krise – ein Blick zurück nach vorn", Vortrag und Gespräch mit Herfried Münkler.

25. September, 18.30 Uhr (H 1, Schlossplatz 46): Eröffnungsfeier u. a. mit WWU-Rektor Prof. Dr. Johannes Wessels, NRW-Ministerpräsident Armin Laschet (Schirmherr), Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble und Khadija Arib, Präsidentin der Zweiten Kammer des Niederländischen Parlaments (bereits ausgebucht).

26. September, 19.30 Uhr (Haus der Niederlande, Alter Steinweg 6/7): Diskussionsabend "Brücken bauen" mit dem niederländischen Autor und WWU-Ehrendoktor Geert Mak.

26. September, 19.00 Uhr ("Elephant Lounge", Roggenmarkt 15): History Slam – temporeiche und unterhaltsame Kurzvorträge zu historischen Forschungsprojekten, Eintritt acht Euro.

28. September, 16.30 Uhr (Rathausfestsaal): Schlussvortrag des Migrationsforschers Prof. Aladin El-Mafaalani; er spricht über "Spaltungen und Radikalisierung in den sozialen Medien".

26. bis 28. September (Zelte im Innenhof des Juridicums und an der Petrikirche): große Fach- und Verlagsausstellung.

Mit dem Kongress- oder Tagesticket erhalten Sie Zugang zu den über 100 Sektionen. Sofern nicht anders angegeben, sind die hier genannten Veranstaltungen frei zugänglich.

Dieser Artikel stammt aus der Universitätszeitung "wissen|leben" Nr. 5, 18. Juli 2018

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