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Münster (upm/jus)
Auf dem Marktplatz in Eisleben, dem Geburts- und Sterbeort Martin Luthers, steht diese 1,5 Tonnen schwere Bronzestatue des Reformators. Deutschlandweit erinnern zahlreiche Skulpturen an sein Wirken im 16. Jahrhundert.<address>© AVTG/fotolia.com</address>
Auf dem Marktplatz in Eisleben, dem Geburts- und Sterbeort Martin Luthers, steht diese 1,5 Tonnen schwere Bronzestatue des Reformators. Deutschlandweit erinnern zahlreiche Skulpturen an sein Wirken im 16. Jahrhundert.
© AVTG/fotolia.com

Historiker Werner Freitag: Westfalen erlebte verspätete Reformation

Schwerpunkt Lutherjahr 2017: Religiöse Umwälzungen des 16. Jahrhunderts wirken bis heute nach

Deutschlandweit wird in diesem Jahr das 500. Reformationsjubiläum gefeiert – auch die Universität Münster beteiligt sich mit zahlreichen Veranstaltungen. Geht es nach Werner Freitag, Professor für westfälische Landesgeschichte an der WWU, ist 2017 für Westfalen jedoch gar kein Jubiläumsjahr. Hier dauerte es ein weiteres Jahrzehnt, bis Luthers Schriften wirkten. "In Westfalen machten Stadtreformationen um 1530 den Anfang, etwa in Münster, dann folgten um 1540 landesherrliche Reformationen", erläutert er. Die religiösen Umwälzungen, die folgten, hinterließen die Region als einen außergewöhnlich kleinteiligen politischen und religiösen Flickenteppich.

Erst kürzlich hat Werner Freitag, der wissenschaftlicher Vorstand des Instituts für vergleichende Städtegeschichte ist und am Exzellenzcluster "Religion und Politik" mitarbeitet, die erste historische Gesamtschau zur Reformation in Westfalen seit 25 Jahren vorgelegt. "Es gab nicht die eine Reformation", betont er. Die politische Landschaft Westfalens bestand aus Grafschaften, Fürstbistümern, zahlreichen Autonomiestädten, kleinen Herrschaften und Dörfern. "Auf engstem Raum lassen sich deshalb mehrere Typen der Reformation konturieren."

In Münster beispielsweise war die Reformation – das heißt das neue Bekenntnis, die neue Liturgie (Deutsche Messe) und die neue Kirchenorganisation – im Jahr 1533 vom Bischof anerkannt worden. Doch indem sich der charismatische Reformator der Stadt, Bernd Rothmann, von Luthers Verständnis vom Abendmahl löste und die Erwachsenentaufe propagierte, stützte er wesentlich das auf die Endzeit gerichtete Täuferreich. Dessen Untergang führte 1535 zur Wiedereinführung des Katholizismus.

Aus heutiger Sicht kann die Reformation zweifelsohne als Wendepunkt hin zur Entwicklung der modernen Gesellschaft der Neuzeit gesehen werden. So verweist Werner Freitag unter anderem auf den Ausbau des Schulwesens, für den sich die Reformatoren einsetzten. Die Vereinheitlichung der deutschen Sprache nahm in dieser Zeit ebenfalls ihren Anfang, die niederdeutsche Sprache wurde in Westfalen durch das Hochdeutsche ersetzt. Ferner war die Reformation auch eine Medienrevolution: Die Zahl der Publikationen von Büchern und Flugschriften nahm zu. 1524 wurde im westfälischen Lippstadt eine erste Sammlung reformatorischer Predigten gedruckt.

Auch der Theologe Prof. Albrecht Beutel von der Evangelisch-Theologischen Fakultät betont die Bedeutung der Reformation: "Ohne Luther würde sich die Welt unserer Gegenwart wesentlich ärmer darstellen." Das Gedankengut stelle bis heute einen unerschöpflichen Reichtum an religiöser, theologischer und lebensgestalterischer Daseinsdeutung bereit.

Werner Freitag<address>© WWU/Joachim Busch</address>
Werner Freitag
© WWU/Joachim Busch
"Die Reformation – und hier schließe ich die sogenannte Zweite Reformation im Sinne des Franzosen Calvin und des Schweizers Zwingli mit ein – zeigt sich heute natürlich in der Existenz einer evangelischen Großkirche und diverser Freikirchen", sagt Werner Freitag. "Zu erinnern ist auch daran, dass bis in die 1950er-/ 1960er-Jahre Konfessionsgrenzen Lebenswelten und Milieus abschotteten, denken wir an Heiratsbeziehungen und Brauchtum."

Hätte es Luther und die in Westfalen tätigen charismatischen Prädikanten nicht gegeben, wären andere innerkirchliche Reformströmungen erfolgreich gewesen, vermutet der Landeshistoriker. "Ich denke hier an die verstärkte Seelsorge der Bettelorden, an die auf die Heilige Schrift in der Volkssprache abzielende Bewegung 'Devotio moderna' und an den Humanismus. Die vielfältigen Ansätze der humanistischen Reform wurden jedoch von der Reformation überrollt."

Autorin: Julia Schwekendiek

Dieser Artikel stammt aus der Universitätszeitung "wissen|leben" Nr. 1, 25. Januar 2017.

 

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