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Münster (upm)
Jeder Ort auf der Welt kann eine Drei-Wort-Adresse erhalten – auch ein Nomadenzelt in der Mongolei<address>© what3words</address>
Jeder Ort auf der Welt kann eine Drei-Wort-Adresse erhalten – auch ein Nomadenzelt in der Mongolei.
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Pferde.Senden.Spielen: Ziel erreicht

Jeder Ort der Welt lässt sich mit drei Wörtern adressieren / WWU-Geoinformatiker erkennen Vor- und Nachteile

Mit dem Grillzeug auf dem Fahrrad geht’s an den Aasee. Aber wo sind bloß die anderen? Es wimmelt von Menschen. Plötzlich kommt die Nachricht über WhatsApp: "Wir sind bei Pferde.Senden.Spielen, kommst Du?" Wenn es nach den Erfindern von What3Words geht, ist künftig nichts leichter als das. Einfach "Pferde.Senden.Spielen" in die Suchmaske der App eintippen, und schon leitet das Navi den Suchenden zum exakten Picknickort, mitten auf der grünen Wiese.

Das System des britischen Startup-Unternehmens ist denkbar einfach. Es basiert auf einem Raster mit 57 Billionen Quadraten von drei mal drei Metern Größe. Jedem Quadrat ist eine einzigartige Kombination aus drei Wörtern zugeordnet. Der große Vorteil: Jeder Ort auf der Welt lässt sich mit dieser Methode auffinden, ob in den Wäldern Kanadas, in den Häuserschluchten Tokios oder in den Weiten der Mongolei.

Hätte es das System 2015 schon in der Mongolei gegeben, es hätte Thomas Bartoschek, Doktorand am Institut für Geoinformatik (ifgi), die Arbeit sehr viel leichter gemacht. Denn mit Hilfe von What3Words wären die mongolischen Nomadenvölker, die oft ihre Jurten nur für zwei bis drei Monate an einem Ort aufschlagen, um das Vieh weiden zu lassen, für Besucher leichter auffindbar. "Das ist im Moment nicht einfach", erklärt Thomas Bartoschek. Für ein Forschungsprojekt über die Lebensweise der Mongolen und ihres Viehs stattete der Geoinformatiker zusammen mit Kollegen insgesamt 800 Nomadenfamilien in der Mongolei und in Kirgisistan mit GPS-Geräten aus. Eine Mammutaufgabe. Zunächst fuhren die Forscher in die Dörfer. "Dort konnte man uns nur eine grobe Richtung nennen, aus der jemand kam." Keine sehr präzise Information. Mit What3Words hätte der Nomade seine exakte Position wie etwa "Geldsegen.Siedlungsspuren.Beitrag" mitteilen können.

Und sein Gegenüber hätte es sich garantiert gemerkt. Denn obwohl die Verteilung der Wörter über einen Algorithmus erfolgt, klingen manche Orte ungemein poetisch – sie brennen sich damit ins Gedächtnis ein. "Drei Wörter sind genau die richtige Menge. Eine Kombination aus Zahlen und Buchstaben oder gar Zahlenkolonnen überfordern die meisten Menschen", sagt der Geoinformatiker. Auch der Post soll What3Words in der Mongolei künftig die Arbeit erleichtern. Im Juli geht die mongolische Sprachversion des Systems online, bis Ende August wollen die Briten und die Post so weit sein, dass alles stabil läuft.

Thomas Bartoscheks Kollege Malumbo Chipofya kennt das Adressen-Problem aus eigener Erfahrung. In seiner Heimat Malawi, erzählt er, komme die Post nicht zu ihnen nach Hause, weil ihrem Haus keine Adresse zugeordnet ist. Man müsse stattdessen zur Post gehen, um sich die Briefe abzuholen. "Ob überhaupt etwas im Postfach liegt, weiß man aber natürlich erst, wenn man da ist", erläutert der Doktorand.

Das System könnte im Notfall helfen, Personen zu finden

Nicht nur die Mongolei oder Teile Afrikas kämpfen mit Straßen ohne Namen. Nach Angaben von What3Words gibt es in mehr als 135 Ländern, also in rund 75 Prozent aller Staaten der Erde, "uneinheitliche, komplizierte oder ungenügende Adresssysteme". 50 Prozent der in Städten lebenden Menschen hätten keine Adresse. Thomas Bartoschek hält diese Zahlen zwar für sehr hoch gegriffen. Fest stehe dagegen, dass vor allem Logistikunternehmen wegen unzureichender Adressen Verluste machten. "Sie müssen lange nach dem Eingang suchen oder weite Wege zu Fuß zurücklegen – das kostet Zeit und damit Geld", erläutert der Wissenschaftler.

Trotz aller Vorteile glauben Malumbo Chipofya und Thomas Bartoschek nicht, dass sich What3Words weltweit durchsetzen wird. In Afrika zum Beispiel seien die Vorbereitungen, um das Universal Postal Union System einzuführen schon zu weit gediehen. Zudem – und das ist der große Kritikpunkt an der innovativen Idee – sei es ein kommerzielles System. Das Unternehmen verdient sein Geld damit, dass es Gebühren für den Zugang zur API, also zur Programmierschnittstelle, berechnet und Verträge abschließt. "Als Land mache ich mich von einem Unternehmen dauerhaft abhängig", kritisiert Malumbo Chipofya. "Außerdem benötige ich entweder die App oder einen Internet-Zugang", ergänzt Thomas Bartoschek. Zwar lasse sich die Software auch komplett herunterladen, sodass das System offline nutzbar ist. Aber ohne GPS findet keiner den anderen, und "ohne die Karte weiß ich nicht, welche Adresse mein Nachbar ein Haus weiter hat". So schön die drei Wörter sind, vorhersagbar wie die Hausnummern einer Straße sind sie nicht.

Für Nichtregierungsorganisationen könnte sich What3Words dennoch lohnen. Sie sollen ebenso wie etwa einkommensschwache Länder einen kostenlosen oder günstigeren Zugang zu dem System erhalten. Erste Kooperationen sind bereits entstanden. "Flüchtlingslager in Krisengebieten oder Slums verändern sich schnell", sagt Malumbo Chipofya. "Es gibt keine Straßen. Und den Hütten können keine Nummer zugeordnet werden, weil sie vielleicht zwei bis drei Wochen später nicht mehr existieren." Bei einem medizinischen Notfall oder bei einer Naturkatastrophe wie einem Erdbeben wäre es jedoch wichtig zu wissen, wo sich Personen befinden. Auch die Versorgung mit Medikamenten oder das Zählen von Bewohnern ließe sich so organisieren.

Auf die Idee gekommen ist der What-3Words-Gründer Chris Sheldrick übrigens in seinem früheren Job im Musikgeschäft. Als Eventmanager verschickte er häufig teures Equipment. So manches Teil kam zu spät an oder ging verloren – mit einem Mathematiker-Freund tüftelte er eine einfachere Lösung aus.

BERNADETTE WINTER

Dieser Artikel stammt aus der Universitätszeitung "wissen|leben" Nr. 5, 20. Juli 2016.

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