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Münster (upm/ch)
Unzählige Medikamente sind im Handel erhältlich. Dennoch gibt es auch immer wieder Lieferengpässe.<address>© Symbolfoto: colourbox.de</address>
Unzählige Medikamente sind im Handel erhältlich. Dennoch gibt es auch immer wieder Lieferengpässe.
© Symbolfoto: colourbox.de

"Das Problem hat sich verschärft"

Lieferengpässe bei Arzneimitteln stellen Apotheker vor Herausforderungen

Bei der Versorgung mit Arzneimitteln kommt es in Deutschland und in anderen Industriestaaten regelmäßig zu Lieferengpässen, die das Organisationstalent von Apothekern auf die Probe stellen. "Das Problem hat sich in den letzten Jahren deutlich verschärft", meint Apothekerin Isabel Waltering vom Institut für Pharmazeutische und Medizinische Chemie der WWU. "Selbst bei gängigen Arzneimitteln wie Blutdrucksenkern kann es passieren, dass sie nicht kurzfristig erhältlich sind." Zwar gäbe es in den meisten Fällen Alternativprodukte. Jedoch nähmen manche Patienten sie nicht ein, weil sie anders aussähen als das gewohnte Medikament. In Fällen, in denen ein Wirkstoff durch einen anderen ersetzt werde, müsse man beispielsweise dadurch auftretende Nebenwirkungen überdenken.

Im Krankenhaus nehmen solche scheinbar kleinen Änderungen schnell große Dimensionen an. "Ist eine andere Dosierung bei einem Alternativ-Schmerzmittel nötig, müssen wir das medizinische Personal in den entsprechenden Kliniken informieren", berichtet Dr. Christoph Klaas, Leiter der Apotheke des Universitätsklinikums Münster (UKM). Schon die Kochsalzlösung für Infusionszwecke, die nicht in der benötigten Flaschengröße lieferbar ist, bedeute einen Mehraufwand. Die Herausforderung für die Krankenhausapotheker ist, zu gewährleisten, dass aus den permanent auftretenden Lieferengpässen kein Versorgungsengpass wird. "Wenn mir jemand sagt, dass er von solchen Schwierigkeiten am UKM nichts mitbekommt, ist es ein Zeichen, dass wir unseren Job gut machen", sagt Christoph Klaas.

Laut Definition des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte sind derzeit rund 30 Human-Arzneimittel in Deutschland von Lieferengpässen betroff en, darunter Antibiotika, Insulinpräparate und Zytostatika zur Krebstherapie. Die gelisteten Arzneimittel eint, dass sie verschreibungspflichtig sind, "überwiegend zur Behandlung schwerwiegender Erkrankungen" eingesetzt werden und es keine Alternativpräparate gibt. Die Liste basiert auf freiwilligen Meldungen der Zulassungsinhaber – eine Gewähr auf Vollständigkeit gibt es nicht. Die Zahl der von Apothekern wahrgenommenen Engpässe – also Fälle, in denen Arzneimittel vom Großhandel nicht kurzfristig beschafft werden können, es aber Alternativen gibt – ist um ein Vielfaches höher. Belastbare bundesweite Zahlen dazu gibt es nicht. Die Apotheke im UKM verzeichnete seit Februar 2014 etwa 300 Lieferengpässe.

So heterogen die betroffenen Medikamente sind, so vielfältig sind die Ursachen für die Engpässe. Jedoch spielen die Globalisierung und der steigende Preisdruck eine zentrale Rolle. Für die Herstellerfirmen rentiere sich wegen der geringen Gewinnmarge die Produktion auf Vorrat und die damit verbundene Lagerhaltung nicht, berichtet Christoph Klaas. Falle eine Charge aus, weil sie zum Beispiel nicht allen Vorgaben entspricht, seien die Arzneien im Handel schnell vergriffen. Isabel Waltering nennt ein weiteres Problem: "Häufig produzieren weltweit nur wenige Firmen bestimmte Wirkstoffe, manchmal sogar nur eine Firma. Gibt es dort Schwierigkeiten, hat das weltweit Auswirkungen."

Neben der Suche nach alternativen Medikamenten versuchen die Mitarbeiter der UKM-Apotheke, weitere Lösungen zu finden. Ein Beispiel ist die Aushandlung von Lieferkontingenten mit Herstellern, die der Apotheke gegen Aufpreis zusagen, ein bestimmtes Medikament im Lager vorrätig zu halten. "In Härtefällen, wenn es beispielsweise um dringend benötigte Krebsmedikamente geht, stimmen sich die Experten in den Krankenhäusern untereinander und mit den Herstellern ab, um eine sinnvolle Verteilung der Restbestände zu gewährleisten", sagt Christoph Klaas. "Das ist unser Beitrag zur Versorgungssicherheit in Deutschland."

CHRISTINA HEIMKEN

Dieser Artikel stammt aus der Universitätszeitung "wissen|leben" Nr. 5, 20. Juli 2016.

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