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Münster (upm/vk/ja)
Atypische Arbeitsverhältnisse gibt es in vielen Berufen und Branchen<address>© Can Stock Photo Inc. / photography33</address>
Atypische Arbeitsverhältnisse gibt es in vielen Berufen und Branchen
© Can Stock Photo Inc. / photography33

Immer mehr Jobs abseits der "Norm"

Studie untersucht sogenannte atypische Beschäftigung / Experten sehen politischen Handlungsbedarf

Dass mehr und mehr Menschen in Deutschland abseits der "Norm" arbeiten, also ihr Einkommen als Zeitarbeiter, mit befristeten und geringfügig bezahlten Jobs sowie in Teilzeitarbeit verdienen, ist bekannt. Wie sich diese sogenannten atypischen Arbeitsverhältnisse – 2012 waren es laut Statistischem Bundesamt 22 Prozent (knapp acht Millionen Frauen und Männer) aller Beschäftigten – auf das gesamte Leben auswirken, ist hingegen wenig untersucht. Das "Forschungszentrum Familienbewusste Personalpolitik" (FFP) an der Universität Münster hat dies getan und damit Politik und Wirtschaft die Folgen der steigenden atypischen Beschäftigung im sozialen Leben der Betroffenen vor Augen geführt.

Zeitsouveränität versus Abstiegsgefahr

Im Fokus der FFP-Studie – gefördert von der Hans-Böckler-Stiftung – standen Partnerschaftsstabilität, Kinderbetreuung sowie soziale Netzwerke und Partizipation von atypisch Beschäftigten. Die Untersuchung betont den ambivalenten Charakter von atypischen Beschäftigungsformen. Zum einen bieten beispielsweise Teilzeitbeschäftigungen und geringfügig bezahlte Jobs Zeitsouveränität und Flexibilität – Faktoren, die vor allem für Eltern mit Blick auf die Kinderbetreuung interessant sind: Teilzeitarbeitende und geringfügig beschäftigte Frauen wenden deutlich mehr Zeit für die Kinderbetreuung auf als befristet Beschäftigte, Zeitarbeitende oder Beschäftigte im Normalarbeitsverhältnis.

Zum anderen zeigen die Studienergebnisse, dass einige atypische Beschäftigungsformen mit instabileren Partnerschaften einhergehen, unter fehlenden nachfragegerechten Kinderbetreuungslösungen leiden sowie mit einer verminderten sozial-politischen Teilhabe zusammenhängen. Dies gilt in erster Linie für Zeitarbeitende und befristet Beschäftigte.

Wie die Wissenschaftler des FFP darstellen, werden atypische Beschäftigungsverhältnisse oft unfreiwillig, etwa mit der Hoffnung auf langfristig veränderte Bedingungen oder aufgrund fehlender Alternativen aufgenommen. Der größeren Flexibilität und den höheren Beschäftigungsraten, die aus volkswirtschaftlicher und arbeitsmarktpolitischer Sicht als positive Aspekte hervorgehoben werden, stellen die Forscher die Abstiegsgefahren (Prekaritätsrisiken) entgegen: Ein unzureichendes Einkommen, mangelnde soziale Absicherung und eine geringere Beschäftigungsstabilität sind häufig direkte Nachteile der Arbeitsarrangements.

Vom atypisch Beschäftigten zum "Aufstocker"?

Zudem beinhaltet dies langfristige Folgekosten für den Einzelnen, zum Beispiel in Form von geringen Rentenansprüchen, derer sich die Beschäftigten nicht immer bewusst sind. Atypische Beschäftigung kann aber auch gesamtgesellschaftlich teuer werden, und zwar genau dann, wenn die Niedrig-Rente nicht zum Überleben reicht und Rentnerinnen und Rentner zu staatlich unterstützten "Aufstockern" werden.

Zentrale Empfehlung der Studie ist aus Sicht der FFP-Experten, Wahlmöglichkeiten auf dem Arbeitsmarkt zu schaffen, über ökonomische Risiken aufzuklären und die Vereinbarkeit von Familie und Beruf nachhaltig zu fördern. "Atypische Beschäftigung – mit all ihren Chancen und Risiken – muss zu einer unter mehreren Optionen werden, zwischen denen Beschäftigte wählen können", resümiert FFP-Leiterin Prof. Dr. Irene Gerlach. „Es ist wichtig, dass Arbeitnehmende informiert sind und unter bewusster Kalkulation von biografischen Risiken wählen können. Das gilt nicht zuletzt auch für die unter Vereinbarkeitsgesichtspunkten von Müttern oft bewusst gewählte Teilzeitarbeit."

Differenzierte Maßnahmen sind nötig

Eine Kernthese der Studie besagt, dass atypische Beschäftigung differenziert zu betrachten ist. Nicht nur die Bandbreite an Beschäftigungsformen ist komplex, sondern auch die Situation der Arbeitnehmenden. Politische Maßnahmen sind demnach aus vielfältigen Gründen erforderlich, müssen aber gezielt ausgerichtet werden.

Für die Untersuchung wurden Daten des Sozio-oekonomischen Panels (SOEP) und der Zusatzerhebung "Familien in Deutschland" des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW/Berlin) querschnittlich und längsschnittlich ausgewertet. Der Untersuchungszeitraum umfasst die Jahre 2001 bis 2012 und die Altersgruppe der 18- bis 65-Jährigen.

Das FFP

Das Forschungszentrum Familienbewusste Personalpolitik (FFP) ist ein wissenschaftliches Kompetenzzentrum für Familienpolitik und familienbewusste Personalpolitik, das im Jahr 2005 an der Universität Münster gegründet wurde. An seinen Standorten in Münster, Berlin und Bochum setzt sich das Team des FFP mit Fragestellungen an der Schnittstelle von Familien-, Wirtschafts- und Sozialpolitik auseinander und erforscht unter anderem die Potenziale und Effekte einer familienbewussten Personalpolitik.

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