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Münster (upm/ch).
Nebel ist auf Mount Lulin und in anderen Regionen Taiwans häufig.© Madeleine Falkowski
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Warten auf den Nebel

Der Klimatologe Otto Klemm und seine Studierenden erforschen Wolken mit Bodenkontakt

Oben auf Mount Lulin mitten in Taiwan, in 2.862 Meter Höhe, haben Robin Achtstetter und Madeleine Falkowski alles darangesetzt, den aufziehenden Nebel nicht zu verpassen. Gleich ob es Tag oder Nacht war – sobald der Sichtweitenmesser eine Sicht von unter 1.000 Meter anzeigte, fing für die beiden Studierenden der Landschaftsökologie die Arbeit an. Sie sammelten Nebelwasserproben und untersuchten unter anderem die Größe der Nebeltropfen. Die Proben froren sie ein, denn sie sollen an der National Central University (NCU) noch genauer analysiert werden, beispielsweise auf organischen Kohlenstoff, Nitrate und Sulfate hin – Indikatoren für die Luftverschmutzung.

Nebel ist eine Wolke mit Bodenkontakt. Was poetisch klingt, hat für die Forschung handfeste Vorteile. Während Wasserproben aus Wolken nur mit großem Aufwand und längst nicht in jedem Fall entnommen werden können, lassen sich Nebelproben vom Boden aus sammeln. „Wolken sind sehr heterogen, beispielsweise, was ihre chemische Zusammensetzung und ihre Lebensdauer angeht. Wir wissen bislang nur wenig über sie, dabei spielen sie eine extrem große Rolle im Klimasystem“, unterstreicht Prof. Dr. Otto Klemm vom Institut für Landschaftsökologie der Universität Münster, der mit seinen Kollegen von der NCU in Taoyuan City im Norden Taiwans dieses Langzeitprojekt verantwortet. Otto Klemms „Steckenpferd“ ist die Analyse der chemischen Zusammensetzung von Nebel beziehungsweise Wolken und ihr Zusammenhang mit deren physikalischen Eigenschaften. Ob es beispielsweise viele kleine Tropfen sind oder wenige große, macht klimatologisch betrachtet einen Unterschied, auch wenn man mit bloßem Auge keinen sieht. Denn die Tropfen reflektieren die Sonnenstrahlen unterschiedlich und entscheiden mit darüber, wie stark sich der Boden unter den Wolken aufheizt.

Otto Klemm schrieb bereits seine Diplomarbeit vor rund 40 Jahren zum Thema Nebel; in Taiwan forscht er seit 2001. Weltweit, unterstreicht er, seien „drastische Veränderungen der Nebelbildung“ zu beobachten. An vielen Stellen gebe es heute deutlich weniger Nebel als früher. Einer der Gründe: Durch den Klimawandel wird die Luft wärmer und kann mehr Wasser aufnehmen. Außerdem werde die Luft vielerorts sauberer, sodass das Wasser an einer kleineren Anzahl von Schmutzpartikeln kondensiert. Ausnahmen sind beispielsweise Regionen in Indien und Pakistan, wo Nebel häufiger auftritt.

„Wir möchten das Wechselspiel zwischen Luftverschmutzung und Nebel genauer verstehen“, sagt Otto Klemm. „Der Kipppunkt, bei dem Nebel entsteht, ist sehr empfindlich und unter anderem von den Partikeln in der Luft abhängig. Wir wissen aber nicht genau, was die treibenden Kräfte sind.“ Seine Arbeitsgruppe macht Grundlagenforschung. „Deren Nutzen für die Allgemeinheit ist nicht immer sofort ersichtlich. Aber es drängen sich auch Anwendungsaspekte auf.“ So bedeutet weniger Nebel, dass die Sonneneinstrahlung den Boden stärker aufwärmt. Klimawandel sorgt für weniger Nebel – und weniger Nebel dafür, dass der Klimawandel angetrieben wird. Weniger Nebel könne für Menschen aber auch etwas Gutes haben, betont der münstersche Forscher: weniger Verkehrsunfälle zum Beispiel.

Die Station auf Mount Lulin ist eine astronomische Station, seit etwa 20 Jahren wird dort auch eine Station für atmosphärisch-chemische Untersuchungen betrieben. Das Team aus Münster ist regelmäßig zu Gast, besonders im Frühjahr, wenn gute Nebelbedingungen herrschen. „In Taiwan gibt es viele weitere Stellen, an denen es häufig Nebel gibt“, berichtet Otto Klemm. In Münster können wir lange darauf warten.“ Apropos warten: Auch in Taiwan lässt sich der Nebel manchmal Zeit. „Unsere diesjährige Messkampagne dauerte vier Wochen. Während der ersten zehn Tage gab es keinen Nebel auf dem Mount Lulin, die beiden Studierenden brauchten Nerven wie Drahtseile. Dann kam der Nebel doch und sie waren sehr erfolgreich“, blickt Otto Klemm zurück.

Wer sich der Nebelforschung verschrieben hat, muss manchmal seine Komfortzone verlassen. „Man ist oft nachts unterwegs, und es ist dann dunkel, kalt, feucht und eben nebelig – man braucht ein hohes Maß an Selbstmotivation“, räumt Otto Klemm ein. Auch Robin Achtstetter und Madeleine Falkowski können ein Lied davon singen, obwohl sie auf einer etablierten und verhältnismäßig komfortablen Station arbeiteten. Beschwerliche Aufstiege bei tropischer Witterung, giftige Tiere, die Abgeschiedenheit auf dem Berg, die Nachtschichten – beide sind trotzdem begeistert von ihrem Forschungsaufenthalt und wollen die in Taiwan gesammelten Erfahrungen unter keinen Umständen missen. „Abgesehen von vielen tollen Begegnungen mit den taiwanesischen Kollegen, den spannenden Einblicken in die Kultur und der fantastischen Landschaft haben wir auch viel über die Forschung und über die Technik gelernt. Wir haben alle Probleme selbst gemeistert. Als zum Beispiel unser Datenlogger defekt war, haben wir ihn auseinandergebaut und den Fehler gefunden. Ich fühle mich jetzt um einiges sicherer, denn ich weiß: Auch wenn etwas in der Forschung schiefläuft, kann man einen Weg finden, damit umzugehen“, betont Robin Achtstetter.

Der Nebel auf dem Mount Lulin ist manchmal schmutzig, je nachdem, wie die Luftmassen strömen. „In China tut man viel für die Luftreinhaltung. Aber aus Thailand, Vietnam und Laos zum Beispiel kommen besonders im Frühjahr Schadstoffe aus vielen absichtlich gelegten Feuern. Dort wird Biomasse verbrannt, landwirtschaftliche Abfälle, und die Feuer geraten öfter außer Kontrolle. Wir haben das an unseren Nebelproben schon mit bloßem Auge gesehen. Wenn der Nebel rußhaltig war, waren die Proben nicht so hell wie sonst“, erinnert sich Madeleine Falkowski. Zum Beweis präsentiert sie ein Foto. Es zeigt rußige Papiertücher, mit denen sie die Probengefäße verschmutzter Nebelproben ausgewischt hatte.

Autorin: Christina Hoppenbrock

Dieser Artikel stammt aus der Unizeitung wissen|leben Nr. 4, 7. Juni 2023.

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