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Münster (upm/ch/kk)
Mit dem Laser-Scanning-Mikroskop erhält Bente Winkler bei Taufliegen Einblicke in die Entzündungsprozesse im Gehirn.© WWU - Michael Moeller
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"Die Balance ist extrem wichtig"

Doktorandin Bente Winkler erforscht Entzündungsprozesse im Gehirn von Taufliegen

Betritt man das Institutsgebäude der Neuro- und Verhaltensbiologie an der Badestraße 9 und geht links die Treppe hoch, springen einem sofort die Bilder ins Auge, die im Treppenhaus und in den Fluren nebeneinander aufgereiht sind. Faszinierend sehen sie aus, leuchtend bunt – doch was darauf zu erkennen ist, erschließt sich Laien nicht auf den ersten Blick: Es sind mikroskopische Blicke in das Innere von Taufliegen.

Die Treppe führt in den ersten Stock zur Arbeitsgruppe von Prof. Dr. Christian Klämbt, der mit seinem Team seit vielen Jahren Taufliegen (Drosophila melanogaster) untersucht. Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler interessiert, welche molekularen Prozesse die Entwicklung des Gehirns steuern und wie das Zusammenspiel der verschiedenen Zellen des Gehirns das Insektenverhalten kontrolliert.

Doktorandin Bente Winkler beschäftigt sich speziell mit Entzündungsprozessen im Gehirn der kleinen Insekten. „Taufliegen eignen sich hervorragend, um grundlegende Mechanismen zu erforschen“, betont sie. „Ihr Gehirn ist einfacher aufgebaut als das von Mäusen, und man kann mikroskopisch verhältnismäßig leicht beobachten, was sich im Gehirn der lebenden Fliege tut.“ Taufliegen sind zudem gut erforscht, und genetische Veränderungen lassen sich bei diesem Modellorganismus relativ einfach durchführen, um Hinweise auf die Funktion von Genen zu erhalten. Die genetisch veränderten Fliegenstämme erhält das Team um Christian Klämbt von Wissenschaftler-Kollegen – oder es erzeugt die gewünschten Veränderungen mit modernen molekulargenetischen Methoden selbst.

In einem Laborraum deutet Bente Winkler auf mehrere hundert Plastikröhrchen, die jeweils mit einem luftdurchlässigen Pfropfen aus Schaumstoff verschlossen sind. Sie sind in Klimaschränken, auf zahlreichen Regalbrettern und in Kisten deponiert. Bei genauerem Hinsehen erkennt man: In manchen Röhrchen bewegen sich erwachsene Taufliegen, in anderen ruhen Eier oder Fliegenpuppen. Um die kleinen Insekten in saubere Röhrchen mit frischem Futter umzubetten, ist Fingerspitzengefühl gefragt – und ein Stereomikroskop, um die Taufliegen erkennen zu können, die sich durch verschiedene Merkmale gut unterscheiden lassen. „Die Züchtung nehmen wir auch selbst vor“, sagt die Biologin. „Dazu wählen wir am Mikroskop in stundenlanger Fleißarbeit die passenden Fliegen aus.“ Besonderes Geschick erfordert die Vorbereitung der Taufliegen für die Fluoreszenzmikroskopie. Dafür muss Bente Winkler die Tiere so präparieren, dass ein Blick in das Gehirn möglich wird.

Die Entzündungsprozesse im Gehirn der Taufliegen, die Bente Winkler interessieren, kommen in ähnlicher Form auch beim Menschen vor. Normalerweise ist das Gehirn beim Menschen und anderen Wirbeltieren, aber auch bei Insekten, durch die Blut-Hirn-Schranke geschützt und Immunzellen können nicht ins Gehirn gelangen. Infektionen oder Erkrankungen wie die Multiple Sklerose können jedoch Entzündungen im Gehirn hervorrufen. Als Folge davon können Immunzellen, darunter Makrophagen, die Blut-Hirn-Schranke überwinden, um in das Gehirn eingedrungene Bakterien und Viren zu bekämpfen. Jedoch kann diese Immunantwort – wenn sie nicht richtig gesteuert wird – im Gehirn Schäden verursachen, weil die Makrophagen auch die gesunden Nervenzellen angreifen können. „Die Balance der Immunantwort ist daher extrem wichtig“, betont Bente Winkler.

„Zum ersten Mal eröffnet sich die Möglichkeit, Drosophila als Modellorganismus für die Untersuchung dieser komplexen Immunreaktion zu nutzen."
Prof. Dr. Christian Klämbt

Dass auch bei Insekten bei einer bakteriellen Infektion des Gehirns eine solche Invasion von Makrophagen über die Blut-Hirn-Schranke stattfindet, ist eine neue Erkenntnis: Bente Winkler hat dies in Kooperation mit weiteren Wissenschaftlern aus der AG Klämbt sowie aus Forschungseinrichtungen in Frankreich und den USA kürzlich erstmals bei Taufliegen-puppen nachgewiesen.

„Wir haben molekulare Signale identifiziert, welche die Makrophagen in das Gehirn eindringen lassen“, berichtet die 30-jährige Nachwuchswissenschaftlerin. Nach einer Entzündung des Gehirns ist eine Aktivierung eines sogenannten NF-kappaB-Transkriptionsfaktors in Gliazellen nötig. Dadurch wird ein Signalprotein gebildet, welches das Eindringen der Makrophagen steuert. Gliazellen spielen nicht nur eine wichtige Kontrolle bei der Organisation der Immunantwort im Gehirn, sondern sie sind auch bei der Verschaltung von Nervenzellen während der frühen Gehirnentwicklung beteiligt. Außerdem sind sie für die Signalübertragung zwischen den Nervenzellen erforderlich.

„Die Entdeckung von Bente Winkler ist bedeutsam, auch im Hinblick auf die Untersuchung medizinischer Fragen“, unterstreicht Doktorvater Christian Klämbt. „Zum ersten Mal eröffnet sich die Möglichkeit, Drosophila als Modellorganismus für die Untersuchung dieser komplexen Immunreaktion zu nutzen. Wenn es uns gelingt, besser zu verstehen, wie Makrophagen die Blut-Hirn-Schranke überwinden und wie ihre Aktivität reguliert wird, kann dies helfen, neue Behandlungsstrategien für erkrankte Menschen zu entwickeln.“

Zurück durchs Treppenhaus, vorbei an den bunten Bildern, führt der Weg ins Erdgeschoss. Dort befinden sich weitere Laborräume mit hochmodernen Laser-Scanning-Mikroskopen, die für Einblicke in das Nervensystem lebender Taufliegen unerlässlich sind. Mit ihrer Hilfe möchte Bente Winkler nun in weiteren Studien versuchen, die molekulare Signalkaskade, die die Makrophagen anlockt, zu entschlüsseln. Nebenbei entstehen vielleicht weitere spektakuläre Aufnahmen des Taufliegengehirns, die sich in die Galerie im Flur einreihen könnten.

Autorinnen: Christina Hoppenbrock & Kathrin Kottke

Dieser Artikel stammt aus der Unizeitung wissen|leben Nr. 8, 15. Dezember 2021.

 

Originalpublikation:

Bente Winkler et al. (2021): Brain inflammation triggers macrophage invasion across the blood-brain barrier in Drosophila during pupal stages. Science Advances Vol 7, Issue 44; DOI: 10.1126/sciadv.abh0050

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