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Münster (upm/anb).
<address>© Unsplash - Thomas Park</address>
© Unsplash - Thomas Park

"Die Pandemie hat die Herausforderungen in unserem Bildungssystem aufgedeckt"

Dr. Christiane Fischer-Ontrup über Inhalte und Ziele des 7. Münsterschen Bildungskongresses

Seit 2003 richtet das Internationale Centrum für Begabungsforschung (ICBF) mit dem Landeskompetenzzentrum für Individuelle Förderung NRW den Münsterschen Bildungskongress aus. Vom 22. bis 25. September 2021 findet die siebte Auflage statt – erstmals ausschließlich digital. Dr. Christiane Fischer-Ontrup, die zum wissenschaftlichen Leitungsteam des Kongresses zählt, spricht im Interview mit André Bednarz über nachhaltige Bildung und wie diese junge Menschen dazu befähigen kann, die lokalen und globalen Herausforderungen zu bewältigen. Zudem erklärt sie, was der Kongress der Politik empfiehlt und wie sich die Coronapandemie auf die Bildungsarbeit, aber auch auf die Ausrichtung des Kongresses auswirkt.

Was sind die wichtigsten Themen dieses Kongresses?

Der Titel des Kongresses lautet ,Potenziale erkennen, Talente entwickeln, Bildung nachhaltig gestalten‘: Diese drei Aufgaben sind nicht voneinander zu trennen. Es ist unser Ziel, aktuelle Forschungs-Ansätze und -Ergebnisse sowie Förderkonzepte zur langfristigen Potenzial- und Talententwicklung vorzustellen und zu diskutieren. Nicht zuletzt die globalen Herausforderungen, etwa die Hochwasserkatastrophe in Deutschland, aber vor allem die weltweite Klimakrise und die Coronapandemie machen deutlich, dass Bildung im 21. Jahrhundert entsprechend nachhaltig im Sinne der ,Sustainable Development Goals‘ der Vereinten Nationen gestaltet und vermittelt werden muss. Wir stellen uns deswegen vor allem die Frage, wie die Schülerinnen und Schüler durch eine gezielte und individuelle Förderung ihrer Begabungen und Talente darauf vorbereitet werden können, sich dieser Herausforderungen engagiert, lösungsorientiert, kreativ und konstruktiv anzunehmen.

Inwiefern kann das (deutsche) Bildungssystem im Allgemeinen sowie die Begabungs- und Begabtenförderung im Speziellen einen Beitrag dazu leisten, diese Art von Herausforderungen zu meistern?

Dr. Christiane Fischer-Ontrup<address>© Hermann Köhler</address>
Dr. Christiane Fischer-Ontrup
© Hermann Köhler
Vor allem die individuelle Begabungs- und Begabtenförderung kann eine langfristige Entfaltung der Entwicklungspotenziale von Kindern und Jugendlichen unterstützen. Und wir müssen uns damit beschäftigen, wie diese vielfältigen Potenziale bestmöglich für eine aktive und verantwortliche Mitgestaltung in Schule und Gesellschaft gewonnen werden können, auch mit Blick auf gesamtgesellschaftliche Herausforderungen wie die Globalisierung und Digitalisierung. Wenn Sie danach fragen, was das deutsche Bildungssystem im Allgemeinen dazu beitragen kann, diese Herausforderungen zu bewältigen, dann spielt dabei sicher der Staat eine entscheidende Rolle – insbesondere die Bildungspolitik, die sich mit der Festlegung neuer Unterrichts-Inhalte und -Methoden mit einer nachhaltigen Bildung befassen muss. An der Universität Münster als eine der größten lehrerbildenden Hochschulen in Deutschland gewinnt die Bildung für nachhaltige Entwicklung zunehmend an Bedeutung, wobei auch die Potenzialentwicklung von Studierenden und Schülern in den Blick genommen wird.

Welche Mitwirkung und Entscheidungen der Politik und ihrer Funktionsträger erhoffen Sie und Ihre Kongress-Teilnehmer sich?

Kernziel schulischer Arbeit sollte die bestmögliche Förderung der individuellen Potenziale aller Schüler unter angemessener Beachtung der jeweiligen Lebens- und Lernvoraussetzungen sein – das gilt auch für die potenziell besonders leistungsfähigen Kinder und Jugendlichen. Ungleiches ungleich zu behandeln, darum geht es. Wo Ungleiches gleichbehandelt wird, kann eine individuelle Förderung nicht gelingen.

Was schlagen Sie stattdessen vor?

Es gilt mittelfristig, länderübergreifend und in Kooperation mit außerschulischen Akteuren eine Gesamtstrategie zur Begabungsförderung und Potenzialentwicklung aller Schüler zu entwickeln. Das bietet den Schulen Orientierung, zeigt ihnen Wege zu einer individuellen Förderung auf und berücksichtigt Erkenntnisse und Erfahrungen aus der Bund-Länder-Initiative ,Leistung macht Schule‘. Priorität hat neben der Professionalisierung des pädagogischen Personals die Entwicklung von praxisnahen Schul- und Unterrichtskonzepten sowie von landesweiten und regionalen Erziehungs- und Bildungspartnerschaften – verbunden mit einer systematischen wissenschaftlichen Schulbegleitforschung. Aus diesem Grund haben wir erneut ein Positionspapier erstellt, das sich an die Akteure im Bildungswesen richtet. Dafür haben wir die sogenannten ,Münsterschen Empfehlungen‘ aus dem Jahr 2015 aktualisiert. Sie sollen den Entscheidungsträgern dabei helfen, die vielfältigen Potenziale im Sinne einer nachhaltigen Bildung zu verfolgen.

Die Coronapandemie ist für die gesamte Gesellschaft eine Herausforderung. Wie beurteilen Sie die Schwierigkeiten für Eltern und Schüler während der Pandemie?

Bildung hat eine zentrale Rolle, um die Auswirkungen der Coronapandemie abzumildern. Durch den Lockdown im März 2020 verlagerte sich der schulische Unterricht in Form von Distanzunterricht in private Lernorte. Die Pandemie hat die Herausforderungen in unserem Bildungssystem aufgedeckt. Sie verstärkt bestehende und erzeugt gleichzeitig neue Bildungsungleichheiten. Wir müssen diese Schwächen mit Blick auf die Bildungsgerechtigkeit für alle jungen Menschen angehen.

Wie muss mit diesen Schwächen umgegangen werden?

Dazu bedarf es gezielter Angebote für bildungsbenachteiligte junge Menschen. Differenzierte Bildungsangebote sind für alle jungen Menschen erforderlich, um im Sinne der Chancengerechtigkeit auch potenziell leistungsstärkeren Schülern Lernfortschritte zu ermöglichen.

Der diesjährige Kongress findet zu großen Teilen digital statt. Was bedeutet das für die Umsetzung und den Austausch mit den Teilnehmern?

Durch die Teilnahme an internationalen digitalen Kongressen hatten wir viele Möglichkeiten, positive Gestaltungsmerkmale kennenzulernen sowie Formate, die in der Umsetzung weniger erfolgreich waren.

Überwiegen die Herausforderungen oder unterstützt das Format sogar das Kongressthema der Nachhaltigkeit?

Wenn wir die ökologische Bilanz, beispielsweise die Reiseaktivität von Referenten und Teilnehmern, in den Vordergrund stellen, unterstützt der Kongress das Thema Nachhaltigkeit. Auch dass die aufgezeichneten Vorträge länger auf der Kongressplattform einzusehen sind, kann als Beitrag zur Nachhaltigkeit betrachtet werden. Der unmittelbare Austausch, die persönlichen Kontakte und die langfristige Vernetzung fehlen jedoch. Um diesen Verlust ansatzweise auszugleichen, haben wir Angebote eingebunden, die einen persönlichen Austausch auch im digitalen Raum ermöglichen sollen. Wir nutzen ein Tagungs-Managementsystem, mit dem die Teilnehmer die Möglichkeit haben, auf digitalem Wege miteinander Kontakt aufzunehmen. Durch eine Live-Bühne, auf der einzelne Beiträge in Präsenz gehalten werden, versuchen wir, die besondere Münstersche Kongressatmosphäre zu übertragen.

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