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Münster (upm)
Prof. Dr. Nadine Riedel ist Direktorin des Instituts für Wirtschaftspolitik und Regionalökonomik der WWU.
Prof. Dr. Nadine Riedel ist Direktorin des Instituts für Wirtschaftspolitik und Regionalökonomik der WWU.

Die Schuldenbremse ist sinnvoll – trotz Corona

Ab 2023 sollten die Konsolidierung der Haushalte und neue Investitionen im Fokus stehen – ein Gastkommentar

Die Coronakrise hat das wirtschaftliche Leben in Deutschland stark eingeschränkt. Im Jahr 2020 fiel das Bruttoinlandsprodukt (BIP) um rund fünf Prozent. Die Rückwirkungen auf den Staatshaushalt sind immens. Die Steuereinnahmen sind gesunken, und Millionen Menschen wurden und werden über Transferprogramme unterstützt. Konjunkturmaßnahmen wurden auf den Weg gebracht. Die Neuverschuldung des Bundes, der das Gros der Corona-Lasten trägt, belief sich 2020 auf 215 Milliarden. Euro. Für 2021 und 2022 sind neue Schulden in Höhe von 240 Milliarden und 82 Milliarden Euro geplant. Die Staatsschuldenquote – das Verhältnis von Staatsverschuldung zum Bruttoinlandsprodukt – wird in Deutschland von knapp 60 Prozent im Jahr 2019 auf in diesem Jahr voraussichtlich knapp 75 Prozent steigen. Sind diese immensen Staatsschulden tragbar?

Die Schuldenquote ist in der Pandemie stark gestiegen. Aber sie liegt nicht höher als nach der Finanzkrise und ist auch im internationalen Vergleich noch moderat. Im Nachgang zur Finanzkrise konnte der deutsche Fiskus seine Schuldenquote ohne Probleme auf das Vorkrisen-Niveau senken. Wenn die Wirtschaft schnell in Gang kommt, kann das auch nach der Covidkrise gelingen. Eine frühzeitige Haushaltskonsolidierung über Steuererhöhungen oder Ausgabensenkungen wirkt in dieser wirtschaftlich sensiblen Phase kontraproduktiv und kann die ökonomische Erholung empfindlich dämpfen.

Es besteht auch kein unmittelbarer Konsolidierungsdruck. Die staatlichen Zinslasten sind vernachlässigbar, da Deutschland auf den Finanzmärkten hohes Ansehen genießt und sich zu günstigen Bedingungen finanzieren kann. Gläubiger bezahlen aktuell sogar dafür, dass sie dem deutschen Fiskus Geld leihen dürfen.

Mittelfristig muss die Konsolidierung des Staatshaushaltes aber in den Blick rücken. Das gilt schon allein deswegen, um in möglichen zukünftigen Krisen Handlungsspielräume zu haben. Auch wegen der Haushaltsdisziplin der Vor-Corona-Jahre konnte der deutsche Fiskus mit beherzten Stützungsprogrammen auf die Coronakrise reagieren. Zudem hat die Vergangenheit gezeigt, dass plötzliche Zinsanstiege auf Staatsanleihen nicht ausgeschlossen werden können. Bei hohen Schuldenständen geraten Staaten in diesen Fällen erheblich unter Druck.

Auch die grundgesetzliche Schuldenbremse fordert mittelfristig Haushaltskonsolidierung. Unter Berücksichtigung konjunktureller Einflüsse erlaubt sie in Normalzeiten für den Bund ein geringes Defizit von 0,35 Prozent des BIP. Für die Bundesländer verlangt sie ein ausgeglichenes Budget. Auf größere Schocks wie die Corona-Krise kann über Ausnahme-Tatbestände reagiert werden. Die Neuverschuldung muss aber konjunkturgerecht und innerhalb eines angemessenen Zeitraums abgebaut werden. Für 2020 und 2021 war und ist die Schuldenbremse ausgesetzt. Mit Blick auf die Nachwehen der Krise erscheint ein Aussetzen in 2022 vertretbar, um eine rasche wirtschaftliche Erholung nicht zu gefährden. 2023 sollte die Regel aber wieder gelten.

Ab dann müssen die Covid-Schulden teilweise getilgt werden. Das wird zweifelsohne eine Herausforderung, stellt aber auch keine extreme Einschränkung der öffentlichen Hand dar. Es gibt eine Reihe schädlicher Positionen im Staatsbudget, über deren Kürzung Tilgungen sinnvoll gegenfinanziert werden können. Eine Abschaffung der Schuldenbremse, wie gelegentlich gefordert, sollte keine Option sein.

Die Schuldenregel ist sinnvoll. Sie zwingt die Politik zur effizienten Bereitstellung öffentlicher Güter und verhindert stetig steigende Staatsschulden. Mit ihr wird nicht jedes Sonderinteresse bedient und jedes Wahlgeschenk finanziert. Letzteres ist nämlich vor allem dann attraktiv, wenn die Rechnung auf zukünftige Steuerzahler verlagert werden kann. Bei Steuerfinanzierung regt sich gegen wenig zielführende Projekte oft Widerstand.

Auch bei Vorschlägen zur Reform der Schuldenbremse gilt es genau hinzusehen. Vertreter in Politik und Akademia fordern aktuell die Schuldenbremse zu modifizieren und eine Schuldenfinanzierung von staatlichen Nettoinvestitionen zuzulassen.

Richtig ist, dass wir erheblichen öffentlichen Investitionsbedarf haben – unter anderem bei der Infrastruktur, der Digitalisierung und beim Klimawandel. Trotzdem: Die Schuldenbremse hat kaum Anteil an der staatlichen Investitionsschwäche der Vor-Corona-Jahre. Verantwortlich sind vielmehr Kapazitätsengpässe im Baugewerbe, fehlende kommunale Planungskapazitäten und die Finanzschwäche von Kommunen. Anpassungen bei der Schuldenbremse allein können den Investitionsstau nicht lösen. Und sie bergen Gefahren. Denn in der Praxis sind Investitionen häufig schwer von anderen staatlichen Ausgaben abzugrenzen. Es bedarf guter Kontrollstrukturen, um opportunistisches Verhalten zu verhindern. Eine gute Alternative besteht in der Gründung öffentlicher Investitionsgesellschaften. Sie können Planung und Durchführung öffentlicher Investitionen erleichtern – und juristisch gegebenenfalls gar Investitionen jenseits der Schuldenbremse kreditfinanzieren.

Autorin Prof. Dr. Nadine Riedel ist Direktorin des Instituts für Wirtschaftspolitik und Regionalökonomik der WWU.

Dieser Artikel stammt aus der Unizeitung „wissen|leben“ Nr. 4, 16. Juni 2021.

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